# taz.de -- Ausstellung "Über die Metapher des Wachstums": Vom Werden und Verg… | |
> Der Begriff des Wachstums hat in der Ökonomie Karriere gemacht. Nun | |
> meldet sich die Kunst zu Wort: Im Kunstverein Hannover sind Arbeiten von | |
> 28 Künstlern zu sehen, die sich mit Wachstumsdenken beschäftigen. | |
Bild: Einstellung aus der Videoprojektion "Flooded McDonalds". | |
HANNOVER taz | Lange geplant war der Auszug der Menschen aus dieser | |
McDonalds-Filiale nicht. Halb volle Pommes Frites-Packungen stehen zusammen | |
mit Getränkebechern und Big Macs auf den Tabletts. Es muss ein | |
fluchtartiger Aufbruch gewesen sein. Und es ist auch sofort klar, warum: | |
Weil das Wasser steigt. Lautlos, aber stetig läuft dieser McDonalds voll. | |
Erst kippt der Plastik-Ronald McDonald um, dann erreicht das Wasser die | |
Tischkanten und räumt das Fastfood ab. | |
Festgehalten wird der Vorgang aus verschiedenen Perspektiven von einer | |
Filmkamera. 21 Minuten dauert dieser Film der dänischen Künstlergruppe | |
Superflex, und zum Ende hin sind nur noch Unter-Wasser-Aufnahmen möglich. | |
Aufgefaltete Hamburger-Verpackungen schwimmen wie Quallen durch das Bild. | |
Es ist Friede eingekehrt in dieser Welt. Dann startet der Film namens | |
"Flooded McDonalds" von vorne: Er ist ein Teil der Ausstellung "Über die | |
Metapher des Wachstums", die derzeit im Kunstverein Hannover zu sehen ist. | |
## Konzern des Rinderfurzes | |
Insgesamt 28 Beiträge gibt es in dieser sehr empfehlenswerten Ausstellung | |
zu sehen. Die beteiligten Künstler sind alle Zeitgenossen und international | |
unterwegs. Ausgesucht wurden sie vom Kunstverein Hannover, vom Frankfurter | |
Kunstverein und dem Kunsthaus Baselland - die drei Häuser haben die | |
Ausstellung als Kooperationsprojekt auf die Beine gestellt. Alle Arbeiten | |
setzen sich mit dem Thema Wachstum auseinander. Im Falle des gefluteten | |
McDonalds wäre das das "Wachstum" des Meeresspiegels. McDonalds als global | |
agierender Konzern des Rinderfurzes wird zum Opfer des Klimawandels. | |
Gewachsen wird in Hannover aber in mehrerlei Hinsicht, schließlich kennt | |
die Metapher des Wachstums viele Kontexte. Besonders beliebt ist das | |
Wachstum in der Wirtschaft: Selbst wenn die Wirtschaft schrumpft, ist die | |
Rede vom "negativen Wachstum". Bereits 1972 forderte die Studie "Über die | |
Grenzen des Wachstums" eine Kurskorrektur - mit mäßigem Erfolg. | |
Eine konkrete Folge wachsenden Konsums ist die gute alte Müllhalde, die | |
sich der Däne Tue Greenfort vorgenommen hat. Auf Farbfotos zeigt Greenfort | |
den Müllhalden-Müll als eigene Welt aus Plastik und organischen Abfällen. | |
Der Trick dabei ist die Nahaufnahme, die im zufällig zusammengekippten | |
Müllarrangement eine eigene Qualität erkennbar macht. | |
Abstrakter wird das Wachstumsprinzip bei San Kellers Arbeit "Mein | |
Kontostand". Vom 27. April 2005 bis zum 9. Juli 2005 veröffentlichte der | |
Schweizer Keller täglich den aktuellen Stand seines Girokontos in Form | |
eines Kontoauszugs. Die Unikate bot er zum Verkauf an, und zwar jeweils zu | |
jenem Preis, der auf dem jeweiligen Auszug ausgewiesen war. In Hannover | |
hängen nun Kellers Kontoauszüge an der Wand. Geld kommt, Geld geht und | |
allein damit wird - im Erfolgsfall - Geld vermehrt. | |
Geklaut hat die Wirtschaft die Wachstums-Metapher bei der Biologie, was | |
schlau ist, weil die Rede vom Wirtschaftswachstum dann so wirkt, als | |
handele es sich um ein über alle Zweifel erhabenes Naturgesetz. Reden die | |
Ökonomen vom Wachstum, dann blenden sie eine Tatsache aus, die beim | |
biologischen Wachsen wesentlich ist: Zum Wachsen gehört nicht nur das | |
Werden, sondern auch das Vergehen. Ferner gibt es beim natürlichen Wachstum | |
den Zustand des Ausgewachsenseins - auch den kennen die Ökonomen nicht. | |
## Das Vergehen gehört dazu | |
Einer, der das Werden und Vergehen sinnlich darstellt, ist der Monegasse | |
Michel Blazy. Seine Installation "Fontaine de Mousse" besteht aus | |
Kunststoffcontainern, aus denen Schaum herauswächst - jener Schaum, den man | |
vom Abspülen kennt. Der Schaum wächst unablässig nach, zerfällt aber sofort | |
wieder. Das Werden und das Vergehen gehen einen Kreislauf ein - und das | |
sogar mit industriell gefertigten Materialien. | |
Für organische Stoffe interessiert sich dagegen die amerikanische | |
Künstlerin Rachel Sussman. Ihre Fotoserie "The Oldest Living Things in the | |
World" zeigt Organismen, die seit mindestens 2.000 Jahren am Leben sind. | |
Dazu gehören beispielsweise die 9.555 Jahre alte schwedische Fichte "Spruce | |
Gran Picea" oder die Wüstenpflanze Llareta, die nur 1,4 Millimeter pro Jahr | |
wächst, aber mittlerweile eine Flächenausdehnung von 35 Quadratmetern | |
erreicht hat. | |
Sussmans Fotos sind nicht weiter spektakulär, schließlich sieht man den | |
Pflanzen ihr Alter nicht von außen an. Der Idee vom Wachstum fügen sie aber | |
eine erfreuliche Facette hinzu: Es geht auch langsam. Ein Gedanke, der den | |
Ökonomen fremd ist. Bei denen gilt: Zeit ist Geld. Und weil viel Geld her | |
muss, bleibt wenig Zeit übrig. | |
9 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Klaus Irler | |
Klaus Irler | |
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Kunst | |
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