# taz.de -- Die FDP vor ihrem Parteitag: Tiefe Ratlosigkeit | |
> Die FDP steckt in einem Dilemma. Seit den Achtzigern verkümmert ihre | |
> Programmatik. Vor dem Parteitag: ein Hin und Her. Ein Antrag zu | |
> Westerwelle wurde jetzt zurückgezogen. | |
Bild: Es ist angerichtet: Die Halle in der Messe Rostock, wo sich die FDP zu ih… | |
ROSTOCK taz | Feigheit kann man Christian Lindner nicht vorwerfen. Wenige | |
Tage vor der Wahl eines neuen FDP-Vorsitzenden hat der Generalsekretär die | |
Frage aufgeworfen, die sich angesichts des Niedergangs seiner Partei viele | |
Beobachter stellen: "Wozu Liberalismus?" Unter dieser Überschrift | |
skizzierte Lindner in einem Gastbeitrag für die FAZ, was jene Partei, die | |
sich als Hüterin des Liberalismus darstellt, eigentlich noch will. Oder | |
genauer, warum sie noch jemand wählen soll. | |
Obwohl die FDP mittlerweile 63 Jahre alt ist, greift Lindner auf kein | |
einziges identitätsbildendes Ereignis der Parteigeschichte zurück. | |
Stattdessen muss Adam Smith, der Erfinder der Theorie von der "unsichtbaren | |
Hand des Marktes" zur Begründung des Liberalismus her halten. Smith war | |
Schotte und starb 1790. | |
Das Dilemma der FDP: Seit den achtziger Jahren verkümmerte ihre | |
Programmatik zusehends, bis nur noch die blanke Forderung "Mehr Netto vom | |
Brutto" übrig blieb. Als diese uneingelöst blieb, demontierte die Partei | |
ihren allgegenwärtigen Vorsitzenden. Nun hat die Partei nicht nur kein | |
Thema, sonder auch kein Image. Die FDP ist ratlos. | |
Bei der Suche nach Inhalten wird Lindner fündig beim Datenschutz. Doch | |
dieses Thema haben schon die Grünen besetzt. Die Förderung frühkindlicher | |
Bildungsangebote erklärt der Generalsekretär mit der "Stärkung von | |
Persönlichkeiten". Doch mit unterschiedlichen Begründungen plädieren | |
inzwischen alle Parteien für mehr Geld für die Kleinsten. Die FDP kommt zu | |
spät. | |
## Keine Antworten | |
Diese tiefe Ratlosigkeit hat viele Gründe. Auf die Frage, was Liberalismus | |
in Deutschland ausmacht und wofür er streiten soll, hat die FDP nie eine | |
Antwort gefunden. Das Problem der Partei ist älter als sie selbst. | |
Ihre Vorgänger bieten der FDP bei ihrer Sinnsuche auch keine Orientierung. | |
In der Weimarer Republik rückte die national-liberale Deutsche Volkspartei | |
(DVP) nach dem Tod ihres Vordenkers Gustav Stresemann nach rechts und | |
versuchte noch kurz vor ihrem Ende, sich bei den Nazis anzubiedern. Die | |
linksliberale Deutsche Staatspartei (DStP) bestand nur drei Jahre und war | |
bei ihrem Ende 1933 nur noch mit fünf Abgeordneten im Reichstag vertreten. | |
Sie stimmten für das "Ermächtigungsgesetz" Hitlers. | |
## Eher braun als schwarz-rot-gold gefärbt | |
Nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs die Partei von unten nach oben. Erst drei | |
Jahre nach dem Zusammenbruch fanden ihre regional unterschiedlichen Teile | |
in der Freien Demokratischen Partei zusammen. Die Frage der deutschen | |
Einheit beschäftigte auch sie. "Im Unterschied zur SPD jedoch war die | |
nationale Ausrichtung der FDP in einigen Regionen jedoch mehr braun als | |
schwarz-rot-gold gefärbt." So schreibt es der Potsdamer Politologe Jürgen | |
Dittberner, selbst Parteimitglied, in seiner Chronik "Die FDP". | |
In ihren ersten Jahrzehnten verstand sich die Partei im Kontrast zum | |
Koalitionspartner CDU/CSU als Garantin der Trennung von Staat und Kirche. | |
Doch deren Einfluss ist geschwunden, und heute fordern nicht einmal mehr | |
die Jungen Liberalen, dass der Gottesbezug in der Präambel Grundgesetz | |
gestrichen werden müsse. | |
## Liberale Themen nicht glaubhaft besetzt | |
Wenn heute von einer Rückkehr der FDP zu ihren Wurzeln die Rede ist, dann | |
sind damit zumeist die Jahre von 1969 bis 1982 gemeint. Während der | |
Koalition mit der SPD gewann das erste und bisher letzte Mal der | |
sozialliberale Flügel die Oberhand. Ostpolitik, Reformen in den Bereichen | |
Bildung, Familien- und Strafrecht sowie betrieblicher Mitbestimmung | |
veränderten die Bundesrepublik. | |
Dreißig Jahre später gibt es kaum jemanden in der Partei, der diese Themen | |
glaubhaft besetzen könnte. Zudem ist der Bürgerrechtspartei FDP auf diesen | |
Feldern mit den Grünen längst ein mächtiger Konkurrent erwachsen. | |
So bleibt das alte und neue Feld - der Markt, dessen "überlegene Weisheit" | |
Christian Lindner noch heute lobt. Diese Weisheit vergisst seine Partei, | |
sobald es um die Interessen der Stammwähler geht. Zu den ersten Maßnahmen | |
nach ihrem Regierungsantritt 2009 zählte es, niedergelassene Ärzte vor | |
unliebsamer Konkurrenz durch Medizinische Versorgungszentren zu schützen. | |
Apotheker bewahrte sie vor den Segnungen des Marktes, indem sie den | |
Versandhandel mit Medikamenten stark erschwerte. Steuerberater erhielten | |
ebenso Steuererleichterungen wie Firmenerben und Hoteliers. | |
Wenn der neue Parteichef am Samstag mit einer programmatischen Rede vor die | |
rund 600 Delegierten tritt, wird er den Druck spüren, der auf seiner Partei | |
lastet. Seine Parteifreunde werden ihm zujubeln. Aber die Frage, wozu | |
Deutschland die FDP noch braucht, wird Philipp Röslers Amtszeit prägen. | |
Nur, wenn er darauf eine zeitgemäße Antwort findet, hat seine Partei noch | |
eine Zukunft. | |
13 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Matthias Lohre | |
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