# taz.de -- Pressefreiheit in Großbritannien: Twitter schlägt Maulkorb | |
> Mit einer speziellen Gerichtsverfügung können Prominente Gerüchte in | |
> Großbritannien im Zaum halten. Doch gegen Twitter-Nachrichten ist die | |
> britische Justiz machtlos. | |
Bild: Klatsch und Tratsch auf allen Kanälen. Nur die Presse darf nicht immer. | |
Die britische Yellow Press ist bekannt für ihre Aggressivität: [1][Deftige | |
Schlagzeilen], [2][abgehörte Telefongespräche], [3][geheime Sex-Videos] - | |
Prominente haben im Kampf der Klatschblätter um Skandale und Auflagen wenig | |
zu lachen. Gleichzeitig haben sie aber auch ein Mittel gegen die Presse, | |
was in Europa ihresgleichen sucht: mit einer "super injunction", einem | |
juristischen Maulkorb, können Richter den Medien pauschal die | |
Berichterstattung zu bestimmten Themen verbieten. Mehr noch: Selbst über | |
das Verbot dürfen die Medien nicht berichten. | |
Die Umgehung dieser Berichtsverbote ist ein Politikum. So landete das | |
Whistleblower-Portal Wikileaks bereits 2009 einen ersten Achtungs-Treffer, | |
als es Dokumente über einen Giftmüllskandal in Afrika veröffentlichte, den | |
der Ölkonzern Trafigura per britischem Gerichtsbeschluss aus der | |
Öffentlichkeit halten wollte. Schließlich schalteten sich sogar | |
[4][Parlamentsabgeordnete ein], um den Presse-Knebel zu beseitigen. | |
Doch in den nun veröffentlichten Berichtsverboten geht es nicht um Giftmüll | |
oder Korruptionsskandale, sondern in erster Linie um Prominentenklatsch. | |
Zwei Schauspieler haben eine Affäre. Ein Komiker ist Stammgast in einem | |
SM-Studio. Und ein Fußballer hatte Sex mit einem Big-Brother-Star. Obwohl | |
die Nachrichten kurz und ohne Details veröffentlicht wurden, schnellten die | |
Zugriffszahlen von Twitter in Großbritannien [5][um 14 Prozent hoch], wie | |
die Analysten der Firma Hitwise ermittelten. So viel Zugriffe hatte das | |
Kurznachrichtenportal auf der Insel noch nie. Immer weitere Verfügungen | |
werden publiziert. | |
Die Justiz will sich das nicht bieten lassen. Laut einem Bericht des | |
Telegraph hat ein Gericht nun eine Verfügung speziell gegen die Verbreitung | |
von Berichten auf sozialen Medien wie Twitter erlassen. In diesem | |
speziellen Fall geht es um eine Mutter, die die lebenserhaltenden Maßnahmen | |
bei ihrer hirngeschädigten Tochter abschalten lassen will. Reporter dürfen | |
sich der Frau nicht mehr nähern oder ihre Verwandten und Bekannten zu dem | |
Fall befragen. Gegen Twitter selbst können britische Gerichte aber nicht | |
direkt vorgehen. Denn Server und Unternehmenszentrale sind in den USA. | |
Wikipedia-Gründer Jimmy Wales hat sich [6][gegenüber der BBC] kritisch über | |
die weitreichenden Verfügungen geäußert. Diese seien ein Verstoß gegen die | |
Menschenrechte: "Sie sollten so schnell wie möglich abgeschafft werden", | |
sagte Wales. "Es darf kein Gesetz geben, dass die Veröffentlichung von | |
legal erworbenen und korrekten Informationen verbietet." | |
Gleichzeitig räumt er auch eine gewisse Wirksamkeit der Verfügungen ein. | |
"Die Wikipedia-Community erlaubt solche Gerüchte nicht auf der Seite, wenn | |
keine verlässliche Informationsquelle dafür existiert", erklärt Wales. Wenn | |
Gerüchte alleine auf Twitter verbreitet werden, dürfen sie keinen Eingang | |
in Wikipedia-Artikel finden. Indem die britische Presse an | |
Veröffentlichungen gehindert wird, tauchen die´Gerüchte auch nicht in der | |
Internet-Enzyklopädie auf. | |
Das britische Recht ist für viele amerikanische Internet-Unternehmen ein | |
Dorn im Auge - denn es ist ein regelrechter Gerichtstourismus entstanden, | |
um Kritik zu unterbinden. So hat der US-Milliardär Louis Bacon laut dem | |
[7][Guardian] bei einem britischen Gericht eine Verfügung gegen drei | |
Plattformen eingereicht, um den Namen eines Nutzers zu erfahren, der laut | |
Bacon verleumderische Gerüchte über ihn verbreitet habe. | |
Zwar wurden die Beiträge bereits vor der Klage auch aus der Wikipedia | |
entfernt, Bacon möchte aber offenbar die Quelle für die Behauptungen | |
endgültig unterbinden. Ob eine britische Gerichtsverfügung ihm dabei weiter | |
hilft, ist jedoch zweifelhaft: auch die Server der Wikipedia stehen in | |
Amerika, nicht in Großbritannien. | |
13 May 2011 | |
## LINKS | |
[1] /1/sport/artikel/1/der-praktische-suendenbock/ | |
[2] http://www.stern.de/lifestyle/leute/prinz-charles-wanzen-im-schlafzimmer-56… | |
[3] http://www.urheberrecht.org/news/p/1/i/4273/ | |
[4] /1/leben/medien/artikel/1/knebel-fuer-die-presse/ | |
[5] http://weblogs.hitwise.com/robin-goad/2011/05/twitter_has_biggest_ever_day_… | |
[6] http://www.bbc.co.uk/news/technology-13372839 | |
[7] http://www.guardian.co.uk/media/2011/may/09/us-billionaire-wikipedia-defama… | |
## AUTOREN | |
Torsten Kleinz | |
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