# taz.de -- die wahrheit: Kolumne: Das Wunder von Hannover | |
> Katja Ebstein rechnet ja immerhin mit der Möglichkeit. "Wunder gibt es | |
> immer wieder, heute oder morgen können sie geschehn." Aber wer hätte | |
> gedacht, ... | |
Bild: Ein Kleid, blau wie der blaue Planet: Katja Ebstein bei einem Fernsehauft… | |
... dass sich das Mirakel in so etwas gänzlich Profanem offenbart wie den | |
knochentrockenen, immer genau zwischen die Augen zielenden | |
Drei-bis-vier-Akkorde-Riffs von Malcolm Young, diesem unermüdlichen Stoiker | |
an der Rhythmusgitarre bei AC/DC? Ich, zum Beispiel. | |
Ein Open Air im Niedersachsenstadion, es sind die frühen Neunziger. Bei "If | |
You Want Blood (Youve Got It)" peitscht Malcolm seine Herde voran, und | |
Angus gibt seinen Ritt auf des Lieblingsroadies Schultern durch die Menge, | |
als plötzlich - vermutlich hat er sich zu weit von der Bühne entfernt, die | |
Reichweite des Senders überschritten ist -, es sind die Neunziger, und es | |
ist Niedersachsen! - und die Sologitarre ausfällt. | |
Was dann folgte, ist schwer in Worte zu fassen, wie immer, wenn der | |
Dornbusch lichterloh brennt und man gerade einer Epiphanie teilhaftig wird. | |
Malcolm Young sah nicht einmal auf, geschweige denn vor Überraschung seine | |
Mitmusikanten an; Angus Youngs Leadgitarre gab nichts mehr von sich, war | |
tot, mausetot. Bruder Malcolm indes schlug weiter seine Akkorde. Er wurde | |
nicht schneller, nicht langsamer, gab keine einzige Note, keine einzige | |
rhythmische Variante dazu und ließ auch nichts weg. Er schlug einfach seine | |
Akkorde, so wie man es ihm und wie er es sich beigebracht hatte. Und | |
schlug. Und schlug … | |
Minutenlang war nur diese längst und sattsam bekannte Riff-Folge zu | |
bestaunen. Aber dann, so als hätte eine unbekannte, unbegreifliche Macht | |
dem Song plötzlich Leben eingehaucht, begann der nun buchstäblich zu atmen, | |
sich zu strecken, seine langen Arme auszubreiten und dem staunenden | |
Auditorium auf die Schultern zu legen wie nur je ein bester Freund. Malcolm | |
sah immer noch nicht auf, ihn und seine zerschundene, abgerockte Gretsch | |
umspielte aber nun eine überirdische Lumineszenz, ein Heiligenscheinchen, | |
das möglicherweise voll auf die Kappe des gewieften Lichtmixers ging - und | |
dessen metaphysische Qualität trotzdem außer Frage stand. Und was taten | |
wir? Wir sahen zu, und hörten auch, bewegt, ergriffen, manch einer | |
überwältigt gar: "Ja, nu wirds Tach!" Bis Angus endlich wieder in | |
Reichweite seines Senders geritten kam und mit einer finalen | |
Solo-Phrasierung den Song wieder zurück auf die Bühne holte. | |
Ich lese ungern Interviews mit Musikern, weil das, was sie zu sagen haben, | |
wohl oder übel weit hinter dem zurückbleibt, was ihnen im Spiel | |
gelegentlich auszudrücken gelingt. Und weil der Künstler, wenn er das | |
Kunstwerk fertiggestellt hat, seine Schuldigkeit getan hat und meinetwegen | |
ruhig gehen kann. "Den schäbigen Rest", rät Arno Schmidt, "besieht man sich | |
besser nicht." Aber an dem Abend hätte ich Malcolm Young gern gefragt, ob | |
dieser demütige Rhythmusknecht nur wieder einmal seine verdammte Pflicht | |
getan hat, nicht mehr, aber auch nicht weniger, oder ob er auch etwas | |
gespürt hat vom, na ja, sagen wir mal Heiligen Geist. | |
18 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Frank Schäfer | |
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Schwerpunkt Eurovision Song Contest | |
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