# taz.de -- Umwelt: Das Tegeler Fließ soll öko werden | |
> Das vermeintliche Idyll ist ökologisch eine Katastrophe: Das Tegeler | |
> Fließ muss bis 2015 saniert werden. Eine Herkulesaufgabe - auch weil sich | |
> die Bürger beteiligen sollen. | |
Bild: Nur vermeintlich eine Idylle: Das Tegeler Fließ. | |
Draußen sieht es aus wie im Bilderbuch. Durch üppig wachsendes Gras windet | |
sich träge das Tegeler Fließ. Weiden und Birken spiegeln sich im Wasser des | |
kleinen Flusslaufs, sonst wandert der Blick frei über die Pferdekoppeln. Am | |
Horizont dreht sich einsam ein Windrad. Hier in Lübars, ganz oben im Bezirk | |
Reinickendorf, ist die Welt offensichtlich noch in Ordnung. | |
Drinnen sieht es aus, als platze Uwe Koenzen gleich der Kragen. Der | |
Landschaftsplaner steht vor rund 100 Zuhörern in einem stuckverzierten | |
Ballsaal am Lübarser Dorfanger. Eine geschlagene Stunde hat er dargelegt, | |
warum die Welt da draußen am Fließ nicht ganz so in Ordnung ist, wie sie | |
scheint - und was man dagegen unternehmen will. "Ökologisch entwickelt" | |
werden sollen das Gewässer und seine Auen, unter ausführlicher Beteiligung | |
aller interessierten Bürger. Koenzen hat noch einmal daran erinnert, dass | |
hunderte Anregungen in Beteiligungswerkstätten beraten wurden. Aber jetzt | |
melden sich wieder die Miesmacher zu Wort: Der selbsternannte | |
Gewässerexperte in der letzten Reihe schwadroniert über trockenfallende | |
Böden, und der ältere Herr in der ersten hält den Planungsprozess für | |
Augenwischerei. Koenzen reißt sich zusammen und bittet um Fairness: "Wir | |
haben genau das getan, wofür wir einen Auftrag hatten", sagt er. Dass das | |
nicht reicht, weiß er selbst. | |
Ein unbedarfter Ausflügler käme wohl nicht im Traum darauf, dass | |
ausgerechnet das Tegeler Fließ eine ökologische Sanierung nötig hat. Es hat | |
im Norden der Stadt eine Auenlandschaft geschaffen, die so urwüchsig wirkt | |
wie keine andere in Berlin. Zwischen Blankenfelde und dem Tegeler See | |
schlängelt sich das Gewässer in unzähligen Mäandern durch waldiges und | |
sumpfiges Gelände, an einigen Abschnitten führen Naturlehrpfade auf Stegen | |
am Ufer entlang. Tafeln informieren über seltene Tierarten, die sich hier | |
beobachten lasen. Flusskrebse gibt es hier, Eisvögel und Fischotter. Das | |
gesamte Fließtal ist als "FFH-Gebiet" eingestuft, als schutzwürdig gemäß | |
der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der EU. | |
Einer anderen Richtlinie ist nun zu verdanken, dass der kleine Fluss in den | |
kommenden Jahren in einen "guten ökologischen Zustand" versetzt werden | |
soll. Die im Jahr 2000 verabschiedete Europäische Wasserrahmenrichtlinie | |
(WRRL) verpflichtet alle Mitglieder der Union dazu, ihre Gewässer bis 2015 | |
in einen "guten ökologischen und chemischen Zustand" zu versetzen - durch | |
Renaturierung, durch Reduzierung von Schadstoffeinträgen, durch nachhaltige | |
Bewirtschaftung der Einzugsgebiete. Für viele Seen und Flüsse ein viel zu | |
knapper Zeitraum, zumal die Planung in allen Phasen unter "offensiver | |
Beteiligung der Öffentlichkeit" geschehen soll. | |
In Berlin muss die Senatsumweltverwaltung das Wasserhaushaltsgesetz | |
umsetzen, in das die Ziele der EU-Richtlinie eingegangen sind. Mit der | |
"ökologischen Entwicklung" des Tegeler Fließes, ursprünglich eine | |
nacheiszeitliche Schmelzwasserrinne, hat das Land allerdings erst das | |
zweite Projekt in Angriff genommen - nach der Panke, für deren Umbau das | |
Planfeststellungsverfahren 2012 beginnen soll. | |
Uwe Koenzen, dessen Planungsbüro von der Senatsverwaltung mit dem | |
Sanierungsprozess beauftragt wurde, kennt die 14,5 Kilometer, auf denen | |
sich das Tegeler Fließ durch Berlin schlängelt, in- und auswendig. Bei der | |
Veranstaltung in Lübars, dem "2. Informationsforum", hat er die | |
Problemzonen vorgestellt: von der fast baumlosen Aue in Lübars, wo die | |
Sommersonne das Wasser manchmal so stark aufheizt, dass die Fische sterben, | |
über den von Verschlammung und Algenblüte bedrohten Hermsdorfer See bis hin | |
zu der vollkommen begradigten und mit Spundwänden gesicherten Mündung in | |
den Tegeler See. | |
Die geplanten Renaturierungsmaßnahmen erschließen sich beim ersten Hören | |
kaum einem Laien: Von "Stromrinnenmahd" und "Sohlkrautung" ist die Rede, | |
von "Totholzeinbringung", "Rückbau von Querbauwerken" und | |
"Uferdynamisierung". Es geht, grob gesagt, darum, Uferbefestigungen zu | |
entfernen, geschwungene Verläufe wiederherzustellen, Auenflächen zu | |
bepflanzen. Lebewesen sollen Nischen besiedeln, die neu geschaffen werden - | |
etwa durch abgestorbene Bäume, die an strategischen Stellen im Wasser | |
platziert werden. | |
Einem wie Koenzen geht jede romantische Verklärung dabei ab: "Der einzelne | |
Fisch ist mir relativ egal", sagt er. "Ich verstehe die Tiere als | |
Indikatoren für ein intaktes Ökosystem, von dem am Ende auch der Mensch | |
profitiert." Mit dieser Sicht stößt er beim Informationsforum nicht auf | |
Kritik. Die kommt von Besitzern anderer Tiere: den Betreibern der | |
Pferdehöfe von Lübars. Sie befürchten, der Senat könnte ihnen im Dienste | |
der Natur ihre Weiden wegnehmen oder deren Bewirtschaftung stark | |
einschränken. Hier müssen Leute wie Koenzen und die Mitarbeiter der | |
Senatsverwaltung zähe Aufklärungsarbeit leisten. | |
Andrea Wolter weiß, dass es für die Entwicklung des Fließes einen langen | |
Atem braucht. Sie arbeitet im Referat Wasserwirtschaft der | |
Umweltverwaltung. "Es wird in der Praxis nicht möglich sein, alle Ziele der | |
Wasser-Rahmenrichtlinie bis 2015 umzusetzen", sagt Wolter. Eine | |
Fristverlängerung bis 2021 müsse auf alle Fälle beantragt werden, | |
vermutlich auch eine weitere bis 2027. Von den anderen Berliner Gewässern | |
ganz zu schweigen. Immerhin können für Wasserstraßen wie Spree und Havel | |
gewisse Ausnahmekriterien geltend gemacht werden. | |
Begeistert hat Wolter, die gerade den Endbericht des Beteiligungsverfahrens | |
"Tegeler Fließ" vorbereitet, das Engagement der Bürger. Auch wenn sie ihr | |
Lob gleich ein wenig zurücknimmt: "Mir persönlich kann man es nicht recht | |
machen, ich werde mir immer noch vollere Säle wünschen", sagt sie. "Aber | |
verglichen mit anderen Prozessen in Deutschland ist die Beteiligung hier | |
sehr rege." Auch im Vergleich mit dem Panke-Projekt. Denn obwohl im | |
Einzugsgebiet des Tegeler Fließes deutlich weniger Menschen leben, war der | |
Zulauf zu den Workshops größer. "Die Bürgerschaft ist so aktiv, weil sie | |
mit der Umwelt ihres Bezirk stärker verwachsen ist", weiß Wolter. | |
Auch Umweltverbände loben das Projekt "Tegeler Fließ" - jedenfalls im | |
Grundsatz. Als "gute Vorlage", die auch für interessierte Laien | |
verständlich sei, betrachtet Katrin Koch vom Berliner Nabu die bisherigen | |
Planungen. Bei der kommenden Umsetzung sieht sie aber "riesige Probleme". | |
Etwa die Verfügbarkeit der angrenzenden Flächen, ohne die sich ein | |
Flusslauf nicht umgestalten lässt. Über mehrere Kilometer ist das Tegeler | |
Fließ ein Berlin-Brandenburger Grenzfluss, hier kommen Gemeinden im | |
Landkreis Oberhavel ins Spiel, deren Planung längst nicht so weit gediehen | |
ist wie die der Berliner. Viele Privatanlieger gibt es am Fließ, Gärten, | |
Felder. Hier Einfluss zu nehmen, kostet eine Menge Geld, glaubt Koch, | |
möglicherweise müssten Flächen angekauft werden. Geklärt sei das alles noch | |
lange nicht. | |
Was Fachleute wie Koch, Wolter und Koenzen auch wissen: Der ökologischste | |
Flussumbau greift zu kurz, wenn sich nichts an dem ändert, was im | |
Planungsjargon "stoffliche Belastung" heißt. Oder, wie es ein Bürger auf | |
dem Informationsforum ausdrückt: "Wenn hinten weiter die janze Kacke | |
rinlooft, bringt dit doch allet nüscht." Am Oberlauf liegt das Fließ im | |
Einzugsbereich der Rieselfelder von Blankenfelde, Schönerlinde und | |
Mühlenbeck. Hier sind fast 100 Jahre lang Berliner Abwässer versickert, in | |
den Böden haben sich Unmengen an Schadstoffen angesammelt, die langsam | |
ausgeschwemmt werden. Das Klärwerk Schönerlinde, 1985 als das "modernste | |
der DDR" in Betrieb genommen, ändert daran nichts: Es bereitet heutige | |
Abwässer auf und leitet sie anschließend ins Fließ ein. Bis dessen Wasser | |
genauso sauber ist, wie die Idylle an seinen Ufern vermuten lässt, werden | |
also noch viele Jahre ins Land gehen. | |
20 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
## TAGS | |
Gewässerschutz | |
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