| # taz.de -- Theater in Almagro: Ein barocker Sommernachtstraum | |
| > Im Juli findet in der zentralspanischen Kleinstadt das internationale | |
| > Festival des klassischen Theaters statt. | |
| Bild: Die ungewöhnliche Plaza Mayor von Almagro/La Mancha. | |
| Wir verabreden uns beim Dicken. Denn jetzt im Monat Juli ist die Plaza | |
| Mayor von Almagro unübersichtlich. Touristen aus Madrid und Barcelona, | |
| Theaterfans und Spanischkundige aus England und Deutschland sind zum | |
| Festival Internacional de Teatro Clásico angereist. Dieses Theaterfestival, | |
| das jedes Jahr im Juli drei Wochen lang stattfindet, ist das wichtigste | |
| klassische Theaterfestival Spaniens und bei Theaterleuten international | |
| bekannt. | |
| Aber wer sonst kennt Almagro? Das verschlafene Nest in der Mancha, im | |
| heißen Zentrum Spaniens, war zwar in Almodóvars Film „Volver“ dörfliche | |
| Kulisse, aber der Ruhm des Films gehört zweifellos der schönen Penélope | |
| Cruz. | |
| Almagro führt weiter sein verschlafenes Statistendasein. Dort, wo Spanien | |
| ländlich, traditionell und eigenwillig ist. Wo die Landschaft meist flach | |
| ins Unendliche läuft, wo Weinstöcke und Olivenbäume die in der Hitze | |
| flirrende Steppe beleben, wo die Sockel der Hauswände und die Fensterrahmen | |
| königsblau bepinselt sind. Im Sommer jagt die Hitze zur Mittagszeit jeden | |
| Hund von der Straße. | |
| Hier im Süden der Mancha findet man die alten weißen Windmühlen und immer | |
| wieder das Bild des reitenden Don Quichotte. Er galoppiert selbst auf den | |
| typischen Türvorhängen in den Dörfern, die im Sommer etwas Wind in die | |
| überhitzten Zimmer lassen. Don Quichotte ist die Touristenattraktion von la | |
| Mancha. Ihr Logo. Teil ihrer Identität. Der dürre Ritter, eine Schöpfung | |
| des Schriftstellers Cervantes, jagte in der ländlichen Region mit dem | |
| würzigen Käse, dem guten Wein und der alten Ritterherrlichkeit seinen | |
| ehrenvollen Phantasmen nach. Das heute bedeutungslose Almagro war einst | |
| Hauptsitz des mächtigsten und ältesten (1158 gegründeten) spanischen | |
| Ritterordens, des Ordens von Calatrava. | |
| Beim Dicken sind am Abend auf der Terrasse alle Plätze besetzt. Wir | |
| begnügen uns mit einem Tinto an der Bar des El Gordo, die nach der | |
| selbstbewusst zur Schau getragenen Leibesfülle seines Besitzers benannt | |
| ist. Der Dicke zapft eigenhändig das Bier und erzählt uns von seiner | |
| Leidenschaft, dem Stierkampf. Er kennt die persönlichen Schicksale der | |
| lokalen Stierkämpfer, die in der Heldengalerie hinter seiner Theke in reich | |
| verziertem Kampfoutfit abgebildet sind. | |
| Sitzt man zwei Abende auf der Terrasse des El Gordo bei Pisto Manchego oder | |
| Migas del Pastor, glaubt man, sie alle zu kennen: den Alten mit den | |
| hellblauen Hausschuhen, der allabendlich nach Sonnenuntergang im grauen | |
| Anzug auf dem Platz auf und ab geht; der Grauhaarige ohne Arme, immer in | |
| Begleitung zweier Freunde. Familien mit in der Regel zwei Kindern setzen | |
| sich auf einen Wein, ein Bier und Tapas auf die Terrassen und überlassen | |
| ihre springlebendigen Sprössling vertrauensvoll dem Platz. | |
| Vorbeispazierende ältere Ehepaare aus Deutschland, Holland oder England | |
| trifft man nachmittags am Pool des wunderschönen Paradores im ehemaligen | |
| Franziskanerkloster von Almagro wieder. | |
| Die rechteckige Plaza Mayor ist von einem Wandelgang mit Steinsäulen | |
| umgeben. Ein ungewöhnlich schöner, alter Platz. Auffallend ist vor allem | |
| die grün-weiß gestrichene Fachwerkfenstergalerie der Häuser, die den Platz | |
| umgeben. Von dort konnten früher die Señoras nicht nur die Stierkämpfe auf | |
| der Plaza beobachten. Heute sind kleine Läden mit den typischen filigranen | |
| Stickereien, Fächern in allen Farben und Spezialitäten der Region, in den | |
| Arkaden untergebracht - aber vor allem eine Bar neben der anderen. Der | |
| Platz wird von Tischen und Stühlen umrahmt und ist abends zu Zeiten des | |
| Festivals im Juli gerammelt voll. | |
| „Im 16. Jahrhundert gehörte Almagro zu den glanzvollen Kleinstädten | |
| Spaniens. Es war eines der wichtigsten Zentren der damaligen Weltwirtschaft | |
| unter der Regie der Augsburger Fugger“, erzählt die Fremdenführerin | |
| Cristina Sánchez. Wir besichtigen gemeinsam den Almacén de los Fúcares, den | |
| Palast der Fugger mit maurischer Anmutung. Auch hier wie im alten barocken | |
| Stadttheater oder in der alten Universität finden drei Wochen lang täglich | |
| Theateraufführungen statt. | |
| Im Jahre 1525 überschrieb Kaiser Karl V. dem Augsburger Bankiershaus die | |
| größte Quecksilbermine der Welt im nahe gelegenen Almadén. „Seine | |
| Krönungsschulden bei den Fuggern ließen dem Kaiser keine andere Wahl, denn | |
| die Fugger hatten die deutschen Fürsten mit beträchtlichen Geldsummen dazu | |
| gebracht, für Karl zu stimmen“, sagt Cristina. Neben dem Quecksilber aus | |
| Almadén, das man zur Bearbeitung des Silbers aus den Minen Südamerika | |
| brauchte, wurden in Almagro vor allem Wolle und Wein gehandelt. Der neue | |
| Geldadel stiftete Kirchen, baute Paläste und den ungewöhnlichen Marktplatz | |
| von Almagro. „Im 17. und 18. Jahrhundert wurden die königlichen | |
| Spitzenmanufakturen gegründet, die mehr als 8.000 Arbeiter beschäftigten. | |
| In dieser Zeit wurde Almagro Hauptstadt der Provinz La Mancha“, sagt | |
| Cristina. Das Klöppeln ist noch heute Tradition in La Mancha. Die Fächer | |
| aus handgemachter Spitze sind teure Mitbringsel. | |
| In der Kirche des Convento Asunción de la Calatrava, dem mormorüberladenen | |
| Dominikanerkloster, treffen wir den 70-jährigen Mönch Baldomero, den | |
| jüngeren der beiden noch verbliebenen Mönche. Baldomero, auf sein Kloster | |
| angesprochen, wettert sofort über den Verfall der Sitten, der Familien. | |
| Kein Wunder, dass nur noch wenige alte Damen, die das Familienprogramm | |
| längst absolviert haben, seiner Predigt beim anschließenden Gottesdienst | |
| lauschen. „Almagro ist gesegnet mit über drei Dutzend monumentalen, meist | |
| renovierungsbedürftigen Kirchen. | |
| Die Stadt hofft, dass die Unesco diesem architektonischen Ensemble den | |
| Titel eines Weltkulturerbes verleiht“, sagt Cristina. Anfang des 19. | |
| Jahrhunderts fiel die wichtige Handelsmetropole durch die Wirtschaftskrise | |
| nach den Befreiungskriegen gegen Napoleon in einen anhaltenden | |
| Dämmerschlaf. Hätte sie nicht den Corral de Comedias, wäre die historische | |
| Stadt wohl von der touristischen Landkarte verschwunden. | |
| „Dieses Renaissancetheater aus dem 17. Jahrhundert ist eines der ältesten | |
| Spaniens. Es wurde 1621 eingerichtet, als sich die Kirchenväter über die | |
| unzüchtigen Aufführungen fahrender Theatergruppen auf der öffentlichen | |
| Plaza Mayor erregten“, erzählt Cristina. Der Schauplatz wurde kurzerhand | |
| hinters Haus, in den Innenhof, den Patio verlegt. Der berühmte Corral de | |
| Comedias von Almagro ist schlicht und fürs Volk errichtet: ein | |
| überschaubarer Innenhof eines zweistöckigen Hauses direkt an der Plaza | |
| Mayor mit Bühne. Auf beiden Ebenen, im Patio und auf der Balustrade, stehen | |
| kleine Holzstühle dicht an dicht. „Oben saßen die Damen, unten die Herren�… | |
| weiß Cristina. „Es ging ja damals recht herb zu.“ | |
| Im Corral de Comedias werden heute bevorzugt die Dramen der spanischen | |
| Klassiker, Lope de Vega (1562-1635) und Calderón de la Barca (1600-1681) | |
| aufgeführt. Aber auch Shakespeare und Molière werden gezeigt. Wir besuchen | |
| „Tartuffe“ von Molière. Die Aufführung beginnt um 23 Uhr unter klarem | |
| Sternenhimmel. Eine kleine Zeitreise, denn selbst unsere regionaltypischen | |
| Holzstühle mit Korbgeflecht stammen zumindest im Design noch aus dem | |
| Goldenen Zeitalter Almagros: Sie sind hart, klein, mit unbequem aufrechter | |
| Lehne. | |
| Nach der Aufführung, es ist nun halb zwei Uhr nachts, sind die von alten | |
| Laternen erleuchteten Gassen im Zentrum von Almagro laut und lebendig. Die | |
| Besucher der insgesamt sieben Theaterschauplätze treffen sich auf ein | |
| letztes Glas bei nun sehr erträglichen Temperaturen. „Ich liebe das | |
| Theaterfestival von Almagro“, gesteht Cristina auf der Terrasse beim | |
| Dicken. „Danach fällt die Stadt in den elfmonatigen Dornröschenschlaf.“ A… | |
| wäre alles nur Theater. Eine Illusion von Don Quichotte. | |
| 25 May 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Edith Kresta | |
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