# taz.de -- Nach der Verhaftung von Ratko Mladic: Kerzen für den Helden | |
> Niemand will etwas gewusst haben. Aber auf den Exgeneral Ratko Mladic | |
> lassen die Dorfbewohner von Lazarevo nichts kommen. Für sie ist er ein | |
> Held. | |
Bild: Anhänger von Mladic in Lazarevo. | |
LAZAREVO taz | So viel Aufmerksamkeit hat das kleine Dorf Lazarevo im | |
Norden Serbiens noch nie erfahren. An der nur knapp zwei Kilometer langen | |
Hauptstraße parken am Donnerstagnachmittag reihenweise Autos mit Belgrader | |
Kennzeichen: Kamerateams, Fotografen, Reporter mit Notizblock in der Hand | |
stehen mehr oder weniger ratlos herum. | |
Misstrauen ist kein Ausdruck für das, was ihnen hier entgegenschlägt. Die | |
Stimmung ist aggressiv, die Polizei nervös. Etwa 100 meist angetrunkene | |
Dorfbewohner blockieren die Sicht auf das Haus in der Vuka Karadzica 2, in | |
dem Ratko Mladic verhaftet worden ist. Aus alten Kombis schallt laute | |
serbische Volksmusik. | |
Bürgermeister Radmilo Stanisic hält eine offizielle Ansprache für die | |
Fernsehkameras, er steht unter Druck. Um ihn herum brechen immer wieder die | |
Sprechchöre der Menschen durch. "Lang lebe Ratko Mladic! Präsident Tadic | |
soll sterben!" Stanisic erklärt: "Wir sind kein Volk von Mördern, aber für | |
mich persönlich ist Ratko Mladic ein Held." Es ist der Versuch, eine Brücke | |
zu schlagen zwischen der Regierung in Belgrad und der Dorfbevölkerung, die | |
sich ausnahmslos zu Mladic bekennt. | |
Viele Gerüchte gehen mit der Verhaftung von Mladic einher. Keiner will | |
etwas von seiner Anwesenheit im Dorf bemerkt haben. Ob er erst am Tag vor | |
der Festnahme hierhergebracht worden war und sein Aufenthaltsort der | |
Geheimpolizei bereits seit Längerem bekannt war, will auch niemand | |
bestätigen. Eine Briefträgerin soll ihn schon vor einigen Tagen in dem Haus | |
gesehen haben. Fest steht für die Menschen aus Lazarevo: Wenn Ratko Mladic | |
in Den Haag vor Gericht gestellt wird, kehrt er nicht nach Serbien zurück. | |
## 2.000 Euro für ein Foto | |
Eine Prozession, angeführt von einem orthodoxen Geistlichen, zieht mit | |
serbischen Flaggen und der schwarzen Fahne der nationalistischen | |
Tschetnik-Bewegung die Hauptstraße entlang, um in einer Kirche Kerzen für | |
Mladic anzuzünden. Der Priester erzählt stolz, er habe den General in | |
seiner Kirche gesegnet. Wann das war, sagt er nicht. Für Fotos, die ihn | |
angeblich mit Mladic zeigen, verlangt er 2.000 Euro - damit seine Kirche | |
fertig gebaut werden kann, erklärt er mit sarkastischem Grinsen. | |
Die Menschen sind aufgeregt, im Mittelpunkt der Berichterstattung zu | |
stehen. Aber sie zeigen sich stolz. Es ist der Stolz derer, die sich | |
ungerecht behandelt fühlen. Eine eingeschworene Gemeinschaft, die bereit | |
ist, alles zu tun, um das "Andenken" ihres Helden zu verteidigen. Letztlich | |
gewinnt dann doch das Mitteilungsbedürfnis Oberhand. | |
Trotzdem bleibt es in der Nacht zum Donnerstag ganz und gar nicht | |
friedlich. Etwa einhundert Einheimische umzingeln das Haus, in dem sich | |
Ratko Mladic versteckte, singen patriotische Lieder und attackieren jeden, | |
der fotografieren oder aufnehmen will. "Haut ab!", schreien sie den | |
Journalisten zu, und: "Ihr seid doch alle Lügner!" Dem Kameramann des | |
TV-Senders B92 werden die Kabel aus der Kamera gerissen, einige Fotografen | |
angegriffen. Anwesende Polizisten schauen ruhig zu. | |
In Belgrad und der Provinzhauptstadt Novi Sad kommt es in der Nacht auf | |
Freitag ebenfalls zu Krawallen zwischen der Polizei und vorwiegend jungen | |
Demonstranten, die gegen die Verhaftung von Mladic protestieren. Dutzende | |
Menschen werden verhaftet. In Belgrad wird "aus Sicherheitsgründen" ein | |
Versammlungsverbot verhängt. | |
## Verhaftung sei "Schande für das Dorf" | |
Freitag früh ist die Stimmung im Café Zentrum an der zentralen Kreuzung von | |
Lazarevo entspannter. Mürrisch lässt sich eine Männerrunde auf ein Gespräch | |
ein. Nein, sie hätten keine Ahnung gehabt, dass sich Mladic in Lazarevo | |
befindet, und der Name Milorad Komadic sagt ihnen nichts. Ja, natürlich | |
wussten sie, dass seine Familie hier lebt. Die habe drei Häuser hier, man | |
habe Ratko ja in dem Haus seines Neffen Branislav Mladic verhaftet. | |
Branislav sei ein Netter, etwas zurückgezogen, ein Landwirt eben, er lebt | |
allein. "Den haben die gestern auch verhaftet und Gott sei Dank gleich | |
wieder freigelassen", sagt ein bärtiger Mann. Die Anwesenden kommentieren | |
das aktuelle Foto von Mladic: ein alter, dürrer Mann, der dem bulligen | |
General Mladic überhaupt nicht ähnlich sieht. Angeblich habe er einen | |
Schlaganfall gehabt und sein linker Arm sei gelähmt geblieben. | |
Die Männer erzählen, dass Mladic im Morgengrauen im Schlaf festgenommen | |
worden sein soll. "Sonst hätte er sich das Leben genommen", ist sich einer | |
der Männer sicher, zwei Pistolen habe er ja bei sich gehabt. Ob sie es | |
ihnen denn ernst damit sei, den Namen des Dorfs von Lazarevo in Mladicevo | |
zu ändern? Oh ja, man ist ja stolz auf den General, und es ist eine Schande | |
für das ganze Dorf, dass er gerade hier verhaftet worden ist. | |
3.000 Einwohner zählt Lazarevo. Alles ist grün und flach rund herum in der | |
Banater Ebene, keine Erhebung, so weit der Blick reicht. Es heißt, dass | |
viele Menschen hier wegen der Eintönigkeit der Landschaft an chronischer | |
Depression leiden. | |
Gegründet wurde Lazarevo Anfang des 19. Jahrhunderts von Donauschwaben. | |
Nach dem Zweiten Weltkrieg flüchteten sie oder wurden von den Partisanen in | |
Sammellager gesteckt. Kriegsveteranen, vor allem aus Bosnien, besiedelten | |
das Dorf und änderten den Namen von Lazarfeld in Lazarevo. In den 1990er | |
Jahren kamen Veteranen aus dem jugoslawischen Bürgerkrieg hinzu. Ratko | |
Mladic passte irgendwie in dieses Bild. Er habe gar keine falsche Identität | |
gehabt, verkündete die serbische Polizei, sondern einen abgelaufenen | |
Personalausweis auf seinen eigenen Namen. Nun wird Ratko Mladic von Belgrad | |
nach Den Haag überstellt. | |
27 May 2011 | |
## AUTOREN | |
A. Ivanji | |
S. Riedel | |
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