# taz.de -- Machtkampf im Iran: Jetzt geht es auch um Hexerei | |
> Immer mehr Konservative wenden sich von Präsident Ahmadinedschad ab. Die | |
> Justiz will 50 Fällen nachgehen, in denen die Regierung gegen die | |
> Verfassung verstoßen haben soll. | |
Bild: Eine Jubelvereranstaltung für Ahmadinedschad und Chamenei: einst kämpft… | |
BERLIN taz | Seit Wochen stehen der iranische Staatspräsident Mahmud | |
Ahmadinedschad und seine engsten Mitarbeiter im Zentrum der Kritik. Der | |
seit langem schwelende Machtkampf im Lager der Konservativen brach offen | |
aus, als der Regierungschef am 17. April seinen Geheimdienstminister zum | |
Rücktritt zwang. Wenige Stunden danach wurde jedoch der Minister durch | |
Revolutionsführer Ali Chamenei zu seinem Posten zurückbeordert. | |
Brüskiert von dieser Einmischung sagte Ahmadinedschad sämtliche Termine ab | |
und tauchte elf Tage lang unter. Dieser ungewöhnliche Protest rief seine | |
Gegner auf den Plan. Sie warfen ihm vor, sich dem Willen des | |
Revolutionsführers widersetzt und das System des Welayat-e Faghien (der | |
absoluten Herrschaft der Geistlichkeit) missachtet zu haben. | |
Inzwischen hat sich eine regelrechte Front gegen den Staatschef gebildet. | |
Das Parlament, in dem die Konservativen die absolute Mehrheit haben, wirft | |
Ahmadinedschad seit langem vor, die Beschlüsse der Legislative zu | |
ignorieren. Nun erklärte ein Abgeordneter, das Fass der Geduld sei | |
übergelaufen und die Zeit der loyalen Kompromisse sei vorbei. | |
Parlamentpräsident Ali Laridschani griff den Präsidenten persönlich an und | |
warf ihm im Zusammenhang mit Unstimmigkeiten über eine Fusion von | |
Ministerien vor, gegen das Gesetz zu verstoßen. | |
"Falls die Regierung Probleme hat, das Gesetz zu verstehen, kann das | |
Parlament es ihr erklären", sagte er. Ahmadinedschad erwiderte, Laridschani | |
glaube, er sei "die Inkarnation des Gesetzes". Dieser solle das Gesetz | |
besser noch einmal lesen. Zugleich warf er ihm vor, das politische Leben zu | |
stören. | |
## Korrupte Abweichler | |
Noch deutlicher als Laridschani äußerte sich der einflussreiche Abgeordnete | |
Ahmad Tawakoli. Die Fehler der Regierung seien substanziell und | |
systemzerstörend, sagte er. Ahmadinedschad habe dem Volk Gerechtigkeit | |
versprochen, habe jedoch nur unter den Armen Almosen verteilt. "Schauen sie | |
sich die wichtigsten Personen in der Regierung an. Sie sind entweder | |
Abweichler oder korrupt oder beides", sagte Tawakoli in einem Interview. | |
Auch die Justiz fährt immer härtere Geschütze gegen den Präsidenten auf. | |
Justizchef Sadegh Laridschani sagte: "Wichtige Instanzen der Islamischen | |
Republik" hätten ein hartes Vorgehen gegen den Kreis um den Präsidenten | |
gefordert, der Hexerei betreibe. Einige aus diesem Kreis seien bereits | |
verhaftet worden. | |
Oberstaatsanwalt und Justizsprecher Gholamhossein Ejehi sagte, die Justiz | |
werde nun den Vorwurf des Parlaments gegen die Regierung, in fünfzig Fällen | |
die Verfassung missachtet zu haben, ernsthaft verfolgen. | |
Selbst der erzkonservative, mächtige Wächterrad, der bislang immer dem | |
Präsidenten den Rücken deckte, Schloss sich der Front der Kritiker an. Als | |
Ahmadinedschad am 15. Mai die Fusion einiger Ministerien ankündigte und | |
drei Minister entließ, wobei er selbst das zusammengelegte Öl- und | |
Energieministerium übernahm, legte der Wächterrat, der unter anderem für | |
die Auslegung der Verfassung zuständig ist, dagegen sein Veto ein. | |
Ratsvorsitzender Ahmad Dschannati sprach von einer "Bande von Abweichlern | |
und Verderbern" um den Präsidenten. | |
## Chamenei befürchtet Machtverlust | |
Die wachsende Front gegen den Präsidenten, in die sich inzwischen die | |
Kommandanten der Revolutionswächter und der Basidsch-Milizen eingereiht | |
haben, wäre für Ahmadinedschad nicht weiter tragisch, wenn der | |
Revolutionsführer ihn, wie in den vergangenen sechs Jahren, in Schutz | |
nehmen würde. Doch offenbar sieht Chamenei in dem Kurs, den die Regierung | |
eingeschlagen hat, große Gefahren für seine eigene Macht und die Macht des | |
Klerus. | |
Denn was Ahmadinedschad und der Kreis um ihn anstreben, ist in letzter | |
Konsequenz eine Islamische Republik ohne die traditionelle Geistlichkeit. | |
Er und vor allem sein Stabchef, Rahim Maschai, der als Ideologe der | |
Regierung gilt, sprechen von einem Islam iranischer Prägung. | |
Die national orientierte Idee, bei der die vorislamische Kultur Irans als | |
Wegweiser angepriesen wird, soll zu der Mobilisierung insbesondere der | |
Mittelschicht dienen. Zudem erklären die neuen Ideologen, einen direkten | |
Draht zum verborgenen Imam Mahdi, dem schiitischen Messias, zu haben. Die | |
Aufgabe der Regierung sei es, Gerechtigkeit zu schaffen und damit die | |
Rückkehr des Imam vorzubereiten. | |
## Sürzt der Präsident? | |
Diese Idee richtet sich gegen die Geistlichkeit, die sich als Vermittler | |
zwischen Gott und den Gläubigen sieht. Sie richtet sich aber auch gegen das | |
System der Herrschaft der Geistlichkeit und folglich gegen die absolute | |
Macht des Revolutionsführers. | |
Um den Präsidenten ist es einsam geworden. Als er letzte Woche eine | |
Raffinerie in Abadan einweihen wollte, kam es zu einer Explosion, bei der | |
es zwei Tote und zahlreiche Verletzte gab. Sollte der Präsident aus dem Weg | |
geräumt werden? Wird das Parlament, wie einige Abgeordneten bereits | |
angekündigt haben, einen Misstrauensantrag gegen ihn stellen? | |
Ein Abgeordneter erinnerte bereits an die Absetzung des ersten Präsidenten | |
der Islamischen Republik, Abolhassan Banisadr. Legal oder illegal, im Iran | |
ist es kein Tabu mehr, über das Ende der Ära Ahmadinedschad zu spekulieren. | |
31 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Bahman Nirumand | |
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