# taz.de -- Fahhradsternfahrt in Berlin: "Es könnte noch grüner werden" | |
> Rund 250.000 Menschen nahmen an der 35. Fahrradsternfahrt in Berlin teil | |
> - nicht alle aus rein politischen Motiven. Trotzdem: Zufrieden mit dem | |
> aktuellen Radwegsystem ist praktisch niemand. | |
Bild: Sternradfahrer am Großen Stern im Berliner Tiergarten | |
Die Auffahrt zur A 100 Richtung Tempelhof ist von Polizeiwannen zugeparkt. | |
"Immer mit der Ruhe", versucht ein Beamter die wartende Menge zu beruhigen. | |
Vor dem Nadelöhr stauen sich tausende Radfahrer und klingeln ungehalten. | |
Frauen, Männer, Jugendliche, Kinder. Manche sitzen seit dem Morgengrauen im | |
Sattel, andere sind erst wenige Kilometer gefahren. | |
An 19 Punkten in und um Berlin ist die Fahrradsternfahrt 2011 am Sonntag | |
gestartet. Sogar aus Polen hat sich eine Gruppe angekündigt. Losgefahren | |
ist sie um ein Uhr nachts in Stettin. Ziel für alle: das Umweltfestival am | |
Brandenburger Tor. Um dahinzukommen, muss jeder über ein Teilstück der | |
Stadtautobahn. Von Westen Kommende nehmen die Auffahrt Spanische Allee, um | |
über die Avus zu radlen. Die Ostroute führt über die A 100, Auffahrt | |
Buschkrugallee. | |
Da stehen die Massen nun und bimmeln wie verrückt. Jedes Outfit ist | |
vertreten. Die Profis geben sich durch Vollausstattung - Helm, Handschuhe, | |
atmungsaktives, enganliegendes Ganzkörperplastik - zu erkennen. | |
Familienverbände gehen es mit kurzen Hosen, Röckchen und Suntops eher | |
locker an. | |
Ein 56-jähriger Elektriker aus Neukölln mit altem Fahrrad sticht heraus - | |
nicht nur, weil er lange Jogginghose und Weste trägt. Seine schüttere graue | |
Mähne reicht ihm bis zu den Brustwarzen. In breitem Berlinerisch bekennt | |
er, "aus Spaß und Freude" mittenmang zu sein. Auf den Gepäckträger hat er | |
eine kleine Kühltasche geschnallt. Kalter Tee sei drin: "Keen Alkohol an | |
der Klingel", sagt er fachmännisch. "Schon jar nich bei so eener Hitze". | |
Dass es sich bei der Sternfahrt um eine Demonstration mit politischen | |
Inhalten handelt, interessiert ihn weniger. Aber dann fällt ihm doch ein | |
Misstand ein, der ihm schon lange unter den Nägeln brennt: das viele | |
Wurzelwerk unter dem Radweg auf der Neuköllner Weserstraße. Das sei so | |
schlimm, dass er lieber auf der stark befahrenen Sonnenallee zum | |
Hermannplatz radele. Dabei sei die ruhige Parallelstraße eigentlich als | |
Radroute ausgewiesen. | |
"Freie Fahrt für freie Räder", lautet das diesjährige Motto der Sternfahrt. | |
Es geht um die Anerkennung des Fahrrads als vollwertiges Verkehrsmittel. | |
Fragt man die an der Buschkrugallee wartenden Radfahrer, was ihnen am | |
wichtigsten ist, heißt es nahezu unisono: "Mehr Radwege natürlich". | |
Ein agiles Paar - er Yogalehrer, sie Atemlehrerin, beide um die 60 - | |
überzeugt durch Radikalität und Ideenreichtum: "Räder müssen absoluten | |
Vorrang bekommen". Das heißt: Wo immer möglich Vorfahrt, aber auch Ausbau | |
der Radstrecken in Nebenstraßen. Unpasssierbare Straßen und S-Bahngleise | |
müssten für Radfahrer überbrückt werden. Auch für Autofahrer würde das den | |
Verkehr entzerren. "Jetzt gibt es schon die Elektroräder. Der nächste | |
Schritt könnte sein, ein Dach mit Solarzellen oben drauf zu packen, um den | |
eigenen Energiebedarf zu decken", sagt er. Sie stört, dass die Radwege | |
ständig zugeparkt werden. "Das muss aufhören". Einig ist sich das Paar: Die | |
Politik muss viel mehr tun. "Berlin ist für die Radfahrer die optimale | |
Stadt", findet er. In der Tat: Schon jetzt werden in der Innenstadt 25 | |
Prozent aller Fahrten mit dem Rad zurückgelegt. | |
Gerade die Grünen seien auf diesem Sektor gefordert, sagt ein Pensionär. | |
Soll heißen: Den Autoverkehr zugunsten der Zweiräder zurückdrängen. "Es | |
könnte durchaus noch grüner werden." Seine Wahlentscheidung will er aber | |
nicht von Versprechen auf diesem Gebiet abhängig machen. "Die steht schon | |
fest". | |
## Kaum Konkretes | |
Apropos Grüne. Die verteilen unter der Autobahnbrücke Buschkrugallee | |
gasgefüllte Luftballons. Mit von der Partie: der grüne Direktkandidat für | |
Treptow-Köpenick, Harald Moritz, im blauen T-Shirt mit durchgestrichenem | |
A-100-Logo auf der Brust. Der Ausbau des Radwegenetzes verlaufe sehr | |
schleppend. "Daran muss noch viel gearbeitet werden", sagt er. Auch sein | |
Parteifreund Axel Zeppelin von der grünen Bezirksgruppe Neukölln wird kaum | |
konkreter und verweist pauschal auf das 120 Seiten starke Wahlprogramm | |
"Sozial, ökologisch, alternativ". | |
Um 12.45 Uhr gibt die Polizei den Weg zur Autobahn frei. Dann kommt der | |
Tunnel. Lauthals kreischend treten alle in die Pedale. Einer hat Boxen auf | |
dem Rad und beglückt mit HipHop. Wilde Überholmanöver finden statt. In den | |
Notausgängen des Tunnels stehen Polizisten. Er finde das gar nicht gut, | |
sagt einer sauertöpfisch. Es habe schon zwei Karambolagen gegeben. Anders | |
sein junger Kollege ein paar hundert Meter weiter. Gerade sei die | |
Teilnehmerzahl durchgegeben worden: 250.000 Menschen sollen es sein, | |
erzählt der Beamte. Noch nie im Leben habe er so viele Radfahrer gesehen, | |
bekennt er beeindruckt. | |
5 Jun 2011 | |
## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
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