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# taz.de -- Berliner Mauerpark-Spektakel: Wo tout le monde chillt und grillt
> Bis zu 50.000 Besucher zählt der Mauerpark an Sonntagen. Es ist voll,
> laut und vermüllt. Trotzdem hat es der Ex-Todesstreifen mit
> Karaoke-Spektakel in den Lonely Planet geschafft.
Bild: Hauptsache die Performance stimmt: Karaokesängerinnen im Mauerpark.
Im Norden des Mauerparks ist die Welt noch in Ordnung. Das Gras ist grün,
in den Baumwipfeln rauscht der Wind, auf Decken liegen Besucher, lesen,
plaudern, trinken Bier. Eine Familie hat ihr blaues Faltkanu mitgebracht,
mit einem Segel ausgerüstet und sorgt so für ein bisschen Strandgefühl -
gute Voraussetzungen für einen erholsamen Sonntag im Park.
Erst auf dem zweiten Blick fällt auf: Das Boot soll wohl gebrauchte
Kinderkassetten, Bücher und Spielwaren bewerben, die zum Verkauf auf einer
grünen Decke ausgebreitet sind. Es ist ein Vorbote des lauten Chaos, das
einem beim weiteren Weg durch den Park Richtung Süden erwartet. Sonntag für
Sonntag zieht dort der Flohmarkt sowie der weit über Berlin hinaus bekannte
Mauerpark-Karaoke tausende Menschen an. Sie sorgen in der überschaubaren
Grünfläche zwischen Mitte und Prenzlauer Berg für Müllberge, laute Musik
und eine vor den Massen kapitulierende Wiese.
"An einem Sonntag besuchen bis zu 50.000 Personen die Anlage", sagt
Polizeipressesprecher Thomas Goldack. Da es sich um gänzlich unorganisierte
Zusammenkünfte ohne verantwortlichen Leiter handle, gebe es keine
speziellen Sicherheitsvorkehrungen. Dennoch seien täglich Polizisten im
Park unterwegs. "Derzeit arbeiten wir gemeinsam mit dem Bezirk Pankow und
dem Verein "Freunde des Mauerparks" an einem Nutzungs- und
Sicherheitskonzept für den Mauerpark", berichtet Goldack.
An diesem Sonntag ist von Sicherheitskräften jedoch nichts zu sehen. Man
hat auch nicht den Eindruck, als würden welche benötigt. Auf der Kiesfläche
neben dem Weg spielt eine Gruppe junger Männer Boule, ausstaffiert mit
Schiebermützen, Motiv-T-Shirts und Sonnenbrillen, deren Form zuletzt bei
Finanzbeamten in den 60ern populär war. Wie die meisten anderen Besucher
des Parks haben sie sich offenbar mit großer Sorgfalt so gekleidet, als
wäre ihnen ihr Aussehen egal. Sehen und Gesehenwerden ist fester
Bestandteil eines sonntäglichen Besuchs des Mauerparks.
Auf den Steinstufen des Amphitheaters sitzt Nebahat Erpolat zwischen einem
großen Hartschalenkoffer und einer dicklichen Frau mit starkem Sonnenbrand
und wundert sich. "Ich war auf dem Heimweg von einer Freundin und habe mich
verlaufen", erzählt die Australierin, die derzeit im Ballhaus Naunynstraße
als Choreografin arbeitet. "Ich habe die Menschenmenge hier gesehen und
wollte mir das mal genauer anschauen." Dass sie in einen normalen
Mauerparksonntag geraten ist und nicht auf ein Rockfestival, kann sie kaum
glauben.
Nun wartet die schmale junge Frau mit rund 1.000 anderen auf die Ankunft
von Joe Hatchiban. Seit zweieinhalb Jahren sorgt der Fahrradkurier aus
Irland mit zwei großen Boxen und einem Laptop voller Karaoke-Hits für ein
Spektakel, das es bis in den Backpacker-Reiseführer Lonely Planet geschafft
hat: das Mauerpark-Karaoke.
## Züge nach Stralsund
Wo heute Besucher aus der ganzen Welt Songs von Whitney Houston bis zu ACDC
vorführen oder sich vorführen lassen, konnte man vor 150 Jahren noch auf
Reisen gehen. Damals lag da, wo nun der Park ist, der Alte Nordbahnhof, von
dem aus die Züge nach Stralsund starteten. Nach dem Bau des Stettiner
Bahnhofs - der später Nordbahnhof hieß - verlud man hier nur noch Güter.
Als 1961 die Mauer errichtet wurde, entstand entlang der ehemaligen
Bahntrasse der Todesstreifen. Nach der Wende sollte auf dem Gelände ein
Anschluss zur Stadtautobahn entstehen - doch die Straße wurde nie gebaut.
Stattdessen wurde Mitte der 1990er nach dem Wunsch der Bevölkerung und mit
4,5 Millionen Mark von der Allianz Umweltstiftung der Mauerpark angelegt.
Acht Hektar ist die zum Bezirk Pankow gehörende Grünfläche groß; um weitere
sechs Hektar soll sie auf Seite des Bezirks Mitte noch anwachsen. Doch dem
Senat fehlt das Geld, um die für die Erweiterung in Frage kommende Fläche
vom Besitzer, der Vivico-Immobiliengesellschaft, zu kaufen. Pläne, sich
einen Teil des Grundstücks im Austausch gegen Baurecht auf dem Rest der
Fläche von der Gesellschaft schenken zu lassen, scheiterten bislang.
Aktuell bemüht sich die Stiftung Weltbürgerpark, Spenden für den Kauf zu
sammeln.
Ein wenig mehr Platz könnte man in der Tat gut gebrauchen - zumindest an
diesem Sonntag. Im Amphitheater sind selbst die Stehplätze besetzt, als Joe
Hatchiban die Karaoke-Session mit einem Song von den Stray Cats eröffnet.
Die Menschen klatschen, grölen und können sich keinen Zentimeter bewegen.
Auch auf den verwelkten Grasresten, die als Wiese dienen, kämpfen die zu
spät Gekommenen um die letzten Plätze zwischen den im Meterabstand
stehenden Dreibein-Grills. Daneben lagern die Sackkarren und karierten
Oma-Trolleys, mit denen Grillgut und Bierkisten in den Park geschafft
wurden. Für alle, die nicht vorgesorgt haben, bieten fliegende Händler
kühle Getränke an - ein super Service, leider illegal.
"Selbst wer einen Gewerbeschein für den freien Verkauf hat, muss sich an
die klassischen Ladenöffnungszeiten und damit an das Verbot des
Sonntagsverkaufs halten", sagt Jens-Holger Kirchner, Pankows grüner
Stadtrat für öffentliche Ordnung. Regelmäßig seien seine Leute am Sonntag
im Park unterwegs, um zu kontrollieren. Wer erwischt werde, dem drohe ein
Verfahren wegen Ordnungswidrigkeit und eine Geldstrafe ab 500 Euro. Aber
auch dem Stadtrat ist klar, dass 50.000 Menschen an einem heißen Sommertag
irgendwann Durst bekommen. "Derzeit suchen wir nach Lösungen, wie wir das
Gesetz achten und dennoch eine Versorgung realisieren können", sagt
Kirchner. Dazu sei man mit den örtlichen Gastwirten im Gespräch. Einen
konkreten Plan gebe es noch nicht.
Die fliegenden Händler sind aber nicht die Einzigen, die es im Mauerpark
nicht so genau nehmen mit den Regeln. Auch die laute Musik der
Karaoke-Sänger und der unzähligen Einzelkünstler, die mit Gitarre und
Verstärker bewaffnet im Park ihr Publikum suchen, ist weit über Park- und
Nachtruhe-Grenzen hinaus zu hören. Und das in Prenzlauer Berg, wo
Anwohnerbeschwerden über zu laute Musik auch Clubs wie "Magnet" oder
"Knaack" zur Aufgabe zwangen.
Aber in Bezug auf ihren Park sind die Prenzlauer Berger offenbar tolerant.
Zumindest, wenn man den Angaben des Pankower Bezirksbürgermeisters Matthias
Köhne (SPD) Glauben schenkt. "Ich sehe da keinen Handlungsbedarf", sagt er.
Anfang Mai habe es zwar eine gezielte Aktion der Anwohner gegeben, so dass
an einem Abend fast 60 Beschwerden bei der Polizei aufgelaufen seien. "An
normalen Tagen hält sich das aber in Grenzen." Zahlen von der Polizei
liegen dazu nicht vor - man führe keine Statistik, sagt Sprecher Goldack.
Auch was die Müllberge angeht, die sich im Laufe eines typischen
Parkwochenendes ansammeln, ist Bürgermeister Köhne entspannt. "Das
Müllproblem werden wir, wie in jedem Jahr, in den Griff bekommen", meint
er. Acht jeweils drei Kubikmeter große, hauptsächlich unter der Erde
liegende Mülleimer seien in diesem Jahr installiert worden. Zwar würden die
futuristisch anmutenden silbernen Einwurf-Vorrichtungen noch nicht als Ort
der Müllentsorgung wahrgenommen, sondern als Plakatwand und Platz für neue
Tags - aber man wolle mit Beschilderungen nachhelfen.
Zudem sind laut Köhne jeden Montagmorgen Räumkräfte unterwegs, die das
Jobcenter dem Bezirk vermittelt. Sie sammeln die verlassenen Grills,
Chipspackungen und sonstigen Reste ein, die selbst die Flaschensammler
liegen gelassen haben. Dass die Parkbesucher das ganze Wochenende lang
zwischen Müllbergen auf den kläglichen Grasresten liegen, scheint den
Bürgermeister nicht zu stören.
Ähnlich gelassen sieht er den Bedarf an öffentlichen Toiletten. Bislang
müssen sich die Parkgänger hinter Sträuchern oder in den Kneipen und Cafés
der Umgebung erleichtern - eine ausreichende Lösung für 50.000 Menschen,
wenn es nach Köhne geht. "Es gibt für uns als Bezirk keine Pflicht,
Toiletten in Grünanlagen aufzubauen", sagt er. Aber vielleicht könne man
sich mittelfristig mal mit dem Betreiber des Flohmarktes über das Thema
unterhalten.
Denn mit dem Markt fing der Hype um den Mauerpark eigentlich erst an. Seit
2004 findet er jeden Sonntag auf dem sonst brachliegenden Gelände statt,
das für die geplante Erweiterung in Frage kommt. Mittlerweile ist er eine
feste Größe nicht nur unter Berlinern, sondern auch das Ziel vieler
Touristen. Englisch, Französisch, Spanisch und diverse nordische Sprachen
sind zu hören, während man sich durch die engen Gänge zwischen den Ständen
schiebt.
Rieke sitzt hinter einem Tapeziertisch voller bedruckter Leinenbeutel, bunt
gemusterter Tücher und mit Federn versehener Haarreifen. "Designt hat die
Sachen meine Freundin Min-Wha, ich helfe nur beim Verkaufen", erzählt die
junge blonde Frau mit dem geblümten Kleid. Eigentlich habe die Freundin
einen Laden in Neukölln, aber sie wolle mal die Absatzmöglichkeiten im
Mauerpark testen. Natürlich gebe es auch in Neukölln spannende Flohmärkte,
meint Rieke. Aber auf keinem sei der Andrang so groß und die
Verkaufschancen so gut wie am Mauerpark. "Hierher kommen auch die meisten
Touristen mit locker sitzender Urlaubskasse und Bedarf an ungewöhnlichen
Souvenirs."
Allerdings ist auch die Konkurrenz besonders groß. Neben dem klassischen
Angebot von antiquarischen Büchern, Platten und Gameboy-Spielen gibt es
sehr viele Stände wie den von Rieke und Min-Wha, an denen kleine Berliner
Labels ihre selbstbedruckten T-Shirts, gebastelten Schmuck oder gefilzte
Handytaschen verkaufen. "Um die eigene Marke bekannter zu machen, muss man
schon öfter herkommen", sagt Rieke. Ob sie das vorhätten? "Mal sehen.
Erholsam ist so ein Sonntag im Mauerpark nicht gerade."
7 Jun 2011
## AUTOREN
Juliane Wiedemeier
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