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# taz.de -- Imam über Integration von Muslimen: Mit schweizerischer Gelassenhe…
> Glauben leben unter erschwerten Bedingungen: In Bern sieht sich Imam
> Mustafa Memeti als Seelsorger und wirbt um Gelassenheit - bei den
> Muslimen wie bei den Schweizern.
Bild: Die Fronten um Minarettbauten in der Schweiz sind verhärtet - Imam Memet…
BERN taz | Leicht ist er nicht zu finden, der Muslimische Verein der
Schweizer Stadt Bern. Die angegebene Adresse ist ein grauer Wohnblock an
der Hochfeldstraße. Auf dem Klingelschild nur Privatnamen. Eine Dame aus
dem Haus verweist auf die Kellertreppe an der Rückseite des Hauses. Die
klobige Brandschutztüre ist silbern gestrichen, auf dem kleinen
Fensterausschnitt steht ein Zitat aus dem Koran. Die Klingel funktioniert
scheinbar nicht, aber die Türe ist eh nur angelehnt.
Drinnen ist es dämmrig. Regale am Eingang laden dazu ein, die Schuhe
auszuziehen. Scheinbar aus dem Nichts taucht er plötzlich auf, in Socken
auf dem dichten Teppichboden - Imam Mustafa Memeti, Leiter des Vereins.
Wache Augen, neugierig hochgezogene Augenbrauen, ein fester Händedruck,
dann führt der Imam durch die verwohnten, aber liebevoll dekorierten Räume
zu seinem winzigen, vollgepfropften Büro.
300 Gläubige versammeln sich hier in Bern-Neufeld jeden Freitag zum Gebet -
in einer Art größerem Wohnzimmer. Herr Memeti, wünschten Sie sich nicht
manchmal eine würdige Moschee mit einem vernünftigen Minarett? Da lachen
Memetis Augen: "Minarette sind doch nicht für den Glauben wichtig. Die
brauchte man früher, um die Menschen zum Gebet zu rufen. Heute gibt es
Uhren, Kalender und Mobiltelefone."
## "Bin einfach objektiv"
Mustafa Memeti ist Albaner aus Presevo, aus dem Süden Serbiens, direkt an
der Grenze zu Mazedonien und dem Kosovo. Theologie konnte Memeti dort nicht
studieren, dafür ging er elf Jahre nach Syrien, Saudi-Arabien und Tunesien.
Der schmächtige Mann mit dem grauen Kinnbart hat gelernt, seinen Glauben
unter erschwerten Bedingungen zu leben, im sozialistischen Jugoslawien. Das
lässt ihn die aktuellen Debatten um weitere Restriktionen gegen Muslime in
seiner neuen Heimat mit schweizerischer Gelassenheit beurteilen.
Unermüdlich trifft er sich mit Nichtmuslimen, klärt über den Koran auf,
lädt in seine Gemeinde ein. Selbst Bundespräsident Pascal Couchepin war auf
Socken zu Gast in seinem Muslimischen Verein. Und statt einer Moschee
wünscht sich Memeti größere Gebetsräume im "Haus der Religionen", das
gerade für Muslime, Hindus, Juden und andere Religionen auf dem Berner
Europaplatz gebaut wird. Als liberalen Imam bezeichnet man ihn deshalb
gerne. Dagegen sträubt sich der 45-Jährige allerdings vehement. Liberalität
sei ein politischer Begriff und in die Politik mische er sich nicht ein.
"Ich bin nicht liberal. Ich bin ganz einfach objektiv - ein Realist", sagt
Memeti.
Es ist schwer, als Muslim Objektivität zu wahren, seit die
nationalkonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) in den vergangenen
Monaten mit zwei Initiativen deutlich gemacht hat, dass sie Restriktionen
gegen Ausländer nicht nur pro forma in ihrem Programm hat - und dass sich
dafür breite Unterstützung in der Bevölkerung findet. Die Schweiz hat einen
Ausländeranteil von 21,7 Prozent. Seit 2001 ist vor allem die Skepsis
gegenüber den etwa 400.000 Muslimen gewachsen. 57,5 Prozent der Bevölkerung
haben sich für ein Verbot von Minarettbauten ausgesprochen.
## Gereizte Stimmung
Kurz darauf wurde die Ausschaffungsinitiative der SVP mit 53 Prozent der
Stimmen abgesegnet: Straffällige, verurteilte Ausländer sollen in Zukunft
konsequenter des Landes verwiesen werden. Seither ist die Stimmung im Land
gereizt. SVP-Wahlkampfstratege Hans Fehr wurde in Zürich von Linksautonomen
krankenhausreif geprügelt. Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus
klagt über zunehmende Diskriminierung von Ausländern, Beschimpfungen,
Probleme bei der Arbeits- und Wohnungssuche. Ein Genfer Muslim, Hafid
Ouardiri, hat in Straßburg Klage gegen das Minarettverbot eingereicht.
Doch während die Fronten sich immer mehr verhärten, ob nun zumindest in
Langenthal die ursprünglich bereits genehmigte Moschee gebaut werden darf,
erklärt Memeti: "Wissen Sie, wir Muslime haben da auch Fehler gemacht."
Wenn sich die Schweizer Bürger durch die Moscheen provoziert fühlten, dann
sei es doch falsch, die Bauten dennoch durchsetzen zu wollen. In einer
Demokratie haben die Muslime das Recht, Anträge auf mehr Moscheen zu
stellen - aber die Schweizer haben das Recht, sie abzulehnen, findet
Memeti. Schließlich gehe es doch immer darum, Kompromisse zu finden, wie
man am besten zusammenleben könne.
"Viele Schweizer Bürger sind erschrocken über die starken
Einwanderungswellen der letzten Jahre und haben Angst um die Zukunft ihres
Landes. Das ist doch verständlich", so Memeti. Auch Memeti ist besorgt um
sein Land, die Schweiz. 1991 kam er aus dem damaligen Jugoslawien hierher.
Eigentlich wollte er nur zwei bis drei Jahre lang arbeiten, Geld verdienen
und dann wieder nach Presevo zurückkehren.
Stattdessen ist er seit 2005 eingebürgert. Wegen des Kriegs im Balkan sah
er für seine Familie dort keine Perspektive. Und in der Schweiz hatte er
nicht nur eine befriedigende Arbeit im Islamischen Verein, er weiß auch die
Sicherheit und Freiheit, die Demokratie und den Rechtsstaat sehr zu
schätzen. "Wir müssen uns fragen, warum wir als Muslime hier in Westeuropa
sind. Die Antwort ist: aus politischen oder aus sozialen und ökonomischen
Gründen. Wir wollten ein besseres Leben in der Schweiz. Wir sollten dankbar
sein, dass wir die Chance haben, es zu führen." Deshalb sei es nur
folgerichtig, sich in der neuen Heimat zu engagieren, ökonomisch, sozial
und wieso nicht auch politisch?
## Job im Hotel
Das Geld für den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen ist auch für seine
Frau oberste Prämisse. Ihre Ausbildung wird in der Schweiz nicht anerkannt,
aber sie ist sich nicht zu schade, in einem Hotel als Reinigungskraft zu
arbeiten. Entsprechend ist dem dreifachen Vater auch besonders die
Ausbildung der Kinder wichtig. Arbeitslose, perspektivlose Jugendliche sind
dem Temperamentbündel ein Gräuel. Denn er weiß, wohin das führen kann.
Dienstags hat der Imam keine Zeit. Da besucht er Gläubige im Gefängnis,
spricht mit ihnen über den Koran, darüber, dass jeder einen Fehler machen
darf, dass er nur versuchen soll, ihn nicht zu wiederholen. "Seelsorger"
nennt sich Memeti, ganz wie sein christlicher Kollege, der ihn vor Jahren
um Hilfe für die muslimischen Gefangenen gebeten hat "Ich sorge mich um die
Seele der Verurteilten."
Imam Memeti fragt nicht und urteilt nicht. Wenn ihm dennoch jemand von
seinen Nöten erzählt, hört er freundlich interessiert zu. Die meisten sind
Menschen ohne Perspektive, ohne Arbeit, mit familiären Problemen, hat er
erfahren. Die sozialen Probleme machen besonders Jugendliche anfällig für
Gewalttaten, Kriminalität - und für radikale Ideen. Memeti hat auch mit
albanischen Ehrenmördern zu tun, denen er erklären muss, dass es laut Koran
niemals eine Rechtfertigung dafür gibt, jemanden zu töten. Oder mit
Fundamentalisten, die den Koran in- und auswendig kennen, aber ganz anders
interpretieren als er selbst.
## Krankheit Extremismus
Solcherlei Extremismus betrachtet Memeti als Krankheit: Man müsse
versuchen, die Fanatiker aus den Gemeinden herauszusieben, und dann gezielt
mit ihnen arbeiten. Sie seien nur eine kleine, aber lautstarke Minderheit.
Memetis hochstehende Augenbrauen ziehen sich finster zusammen: "Auf keinen
Fall darf man ihnen die Chance geben, für uns Muslime zu sprechen!" Imam
Memeti kann man jedenfalls nicht vorwerfen, sich von den radikalen
Tendenzen im Islam nicht ausreichend zu distanzieren. Er praktiziert das
auch im Alltag: Aus der Muslimischen Dachorganisation Umma ist der
Islamische Verein ausgetreten, weil deren Leiter Farhad Afshar mehrmals
ohne Absprache mit den anderen Muslimen mit Forderungen an die
Öffentlichkeit ging wie etwa der Einführung eines Scharia-Gerichts für
Muslime in der Schweiz.
Einen modernen Islam zu predigen, der archaische Überbleibsel ablegt, um
das Zusammenleben mit den anderen Kulturen leichter zu machen, das ist
Memetis Devise.
## Intoleranz nicht zeitgemäß
Integration in der neuen Wahlheimat muss das Ziel sein. Intoleranz ist für
ihn nicht zeitgemäß. Weder die Intoleranz von Schweizer Muslimen, die ihren
Kindern die Teilnahme am Sportunterricht verbieten - noch die der Schweizer
Bürger, die mit dem Minarettverbot alle Muslime abstrafen und den
Extremisten Nahrung geben. Lächelnd schüttelt der Imam den Kopf:
"Heutzutage ist es absurd, ethnische Kulturen gegeneinander abgrenzen zu
wollen. Wir leben längst in einer globalisierten Welt. Der müssen wir uns
alle, Schweizer und Immigranten, anpassen."
Irgendwann, glaubt Memeti, wird auch der SVP bewusst werden, dass sie mit
einem Minarettverbot und einer Ausschaffungsinitiative ihr Land nicht
retten können. Vielleicht wird das dauern. Zehn Jahre, oder zwanzig. Oder
vielleicht sogar dreißig. Aber dann, Memetis Augen funkeln wieder vor
Lachen, wird doch wieder eine Moschee gebaut werden. Und niemand wird sich
darüber aufregen.
14 Jun 2011
## AUTOREN
Renate Zöller
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