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# taz.de -- TAZ-SERIE NEUES SOZIALES BAUEN (TEIL 6): Nutzungsrecht auf Lebensze…
> Ideen, wie man günstigen Wohnraum schafft, gibt es genug. Dabei brauchen
> Baugruppen auch die Unterstützung der Politik. Aber die achtet bisweilen
> weniger auf die Kosten der Bauherren als auf die Einhaltung der
> Traufhöhe.
Bild: Nicht nur chillen: 60 Genossenschaftswohnungen sollen an der Spree entste…
Heide Determann beschäftigt eine Frage: "Wie kann man Leute ohne
Eigenkapital bei einer Baugemeinschaft mitnehmen und so möglichst für alle
günstigen Wohnraum schaffen?" Seit Jahren beteiligt sich die 55-jährige
Sozialarbeiterin an einer der drei Baugruppen in der Sebastianstraße 18 bis
20 entlang des ehemaligen Mauerstreifens auf der zum Bezirk Mitte
gehörenden Seite. Mittlerweile wachsen die drei Neubauten in der Nähe des
Moritzplatzes mit jeweils rund 15 Wohneinheiten aus den Baugruben heraus.
Viele unausgegorene Träume standen am Anfang. So war angedacht, unter dem
gemeinsamen Dach einer Genossenschaft nicht nur Eigentumswohnungen zu
bauen, sondern einen Teil der Wohnungen auch als Mietbestand anzubieten.
"Doch bald war klar, dass auch alternative Banken von einer neuen
Genossenschaft für jede Wohnung einen Eigenkapitalanteil von mindestens 20
Prozent verlangen", erinnert sich Michael Stein. "Wenn wir zum Beispiel die
Baugrundstücke für 200 Euro statt wie zurzeit für bis zu 450 Euro pro
Quadratmeter bekommen hätten, könnten wir bei einigen der Wohnungen mit
Nettokaltmieten von 6,50 Euro bis 7 Euro hinkommen", sagt der 58-jährige
Projektleiter. Das Eigenkapital ließe sich dann mit den gesparten 250 Euro
pro Quadratmeter darstellen. Natürlich würde Stein dafür auch Auflagen
akzeptieren, "wie zum Beispiel ein öffentliches Auswahlverfahren und dass
diese Mietwohnungen nur an Menschen mit geringem Einkommen gehen". Doch der
Senat sei daran nicht interessiert. Noch bis vor Kurzem befanden sich viele
Mauergrundstücke im Besitz der öffentlichen Hand. "Man kann auch über
Modelle mit einem günstigen Erbpachtzins gegen soziale Auflagen
nachdenken", überlegt Stein.
Immerhin können sich die zukünftigen BewohnerInnen, wenn sie die 20 Prozent
Eigenkapital in Form von Genossenschaftsanteilen einbringen, frei
entscheiden, ob sie ihre Wohnung als Miet- oder Eigentumswohnung nutzen
wollen. Auch die mietenden GenossInnen bekommen ein Nutzungsrecht auf
Lebenszeit und können dieses sogar vererben. Auch sonst bietet die neu
gegründete WiBeG Wohnungsbaugenossenschaft, die als Dachorganisation für
alle drei Baugruppen fungiert, noch einige Vorteile gegenüber herkömmlichen
Baugruppen. "Die Illusion des akademischen Proletariats, der neue
Mittelstand zu sein, verfliegt ganz schnell, wenn es zur Bank geht und
individuelle Sicherheiten verlangt werden", sagt Stein sarkastisch. Dieses
Problem löst die Genossenschaft, indem sie gegenüber der Bank als eine Art
Kollektivsubjekt auftritt und "deshalb die Bonität der einzelnen Mitglieder
nicht angesprochen wird". Und die Genossenschaft schreibt ihren Mietern die
aus dem sogenannten Nutzungsentgelt geleistete Tilgung "jährlich als
weiteren Anteilserwerb gut", sagt Petra Assmann. Daher sinke im Laufe der
Jahre die Miete, und nach spätestens 30 Jahren seien die Wohnungen genauso
abbezahlt wie eine Eigentumswohnung. Die 54-jährige Designerin hat dann nur
noch "die kalten und warmen Betriebskosten zu bezahlen".
Praktische Probleme verzögerten den Baubeginn um mindestens ein Jahr. Über
die kürzlich geklauten Kupferkabel an ihrem Baukran können die GenossInnen
schon wieder lachen. Doch zuvor verhedderte man sich als "erste Bauherren"
auf dem riesigen Brachland mit dem zuständigen Bezirksamt Mitte in Streiten
um den Bebauungsplan. "Warum bekommen wir eher Steine in den Weg gelegt?",
fragt sich der Projektleiter Stein. "Ursprünglich wollten wir sieben
Vollgeschosse bauen, genauso hoch wie die Sozialbauten aus den 70er Jahren
auf der Kreuzberger Seite." Doch dieses Vorhaben untersagte die
Bauverwaltung von Mitte unter dem Bezirksstadtrat Ephraim Gothe (SPD).
Geworden sind es nun sechs Stockwerke plus Dach. "Diese ganze Planung in
der Gegend mit Berliner Traufhöhe und Blockrandbebauung bis an die Straße
macht nur Sinn, wenn man perspektivisch die ganzen Hochhäuser am
Moritzplatz, aber auch die Plattenbauten im Heinrich-Heine-Viertel weghaben
möchte", empört sich Stein. "Für uns steigen deshalb die Baukosten von
2.100 Euro auf 2.300 Euro pro Quadratmeter."
Doch Bezirksstadtrat Gothe will genau aus den Fehlern der Vergangenheit
etwas gelernt haben. Selbst die neuen achtstöckigen Wohnhäuser am nahen
Engelbecken empfindet der Baustadtrat als "zu massiv, sechs Stockwerke
erlauben einfach mehr Individualität der einzelnen Häuser und
Kleinteiligkeit". Wirtschaftliche Kriterien dürften niemals Grundlage für
städtebauliche Entscheidungen sein. In diesem Konflikt stimmt ihm Frank
Bertermann, stadtentwicklungspolitischer Sprecher der Grünen in der
Bezirksverordnetenversammlung von Mitte, zu: "Auch für Baugruppen gilt der
Bebauungsplan."
Gleichzeitig teilt aber Gothe das grundsätzliche Anliegen der Baugruppen,
dass es neuer Modelle bedürfe für einen sozialen Wohnungsbau. Über das
Modell "unten Gewerbe, oben Eigentumswohnungen und in der Mitte werden
dadurch Mietwohnungen quersubventioniert" möchte auch Gothe gerne
nachdenken. Noch fehlen zwar praktische Modelle, doch Gothe verweist auf
einige leere Grundstücke auf dem ehemaligen Mauerstreifen.
Genau diese haben auch die GenossInnen im Blick. "Gerade haben wir das
Grundstück Sebastianstraße 21 erworben für das nächste Haus", sagt
Projektleiter Stein. Und perspektivisch gibt es um die Ecke in der
Stallschreiberstraße noch eine Anzahl weiterer Grundstücke. "Da können die
Bezirkspolitiker und der Senat mal zeigen, ob sie wirklich das hochwertige
Wohnen stoppen und soziales Bauen ermöglichen wollen."
14 Jun 2011
## AUTOREN
Christoph Villinger
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