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# taz.de -- Flusstourismus in Nicaragua: Fluss der Hoffnung
> Konquistadoren, Goldsucher, Revolutionäre schipperten einst den Río San
> Juan herunter. Heute befahren Touristen den Fluss zwischen Nicaragua und
> dem reicheren Costa Rica.
Bild: Nicaraguaer beziehen eindeutige Position im Grenzstreit.
Die Polizei hat uns geschnappt“, erzählt Juana. „Erst haben sie uns im
Lastwagen zum Grenzübergang nach Los Chiles gebracht und dann ausgewiesen
nach Nicaragua.“ Die Sonne knallt erbarmungslos ins Hafenbecken von San
Carlos. Juana ist müde, das grauschwarze Haar klebt ihr an der Stirn, die
Lehmkruste bröckelt von ihren zu großen Gummistiefeln, auf ihrem Schoß hält
sie zwei Plastiktüten.
Auf dem harten Bootssitz neben ihr sitzt eine Touristin mit Flipflops,
Digitalkamera und Sonnenhut. Juana schaut auf den breiten, grauen, trüben
Río San Juan. Sie will es wieder versuchen, wieder über den Fluss nach
Costa Rica, wieder ohne Pass.
220 Kilometer erstreckt sich der Río San Juan vom Lago Cocibolca,
Nicaraguas größtem Binnensee, bis zur Karibik. „See, Fluss, Meer, drei
verschiedene Gewässertypen, zwei Naturreservate, das ist, was die Region
hier so einzigartig macht“, schwärmt Frank Chamorro, Leiter der
Tourismusinitiative Ruta del Agua.
Mit dem Projekt will eine der ärmsten Regionen Nicaraguas an der Grenze zu
Costa Rica an den Glanz und Ruhm vergangener Zeiten anknüpfen, an die Ära
der Ruta del Tránsito, als Tausende von amerikanischen Goldsuchern den Río
San Juan hinab nach San Francisco schipperten.
„Mit der Ruta del Agua wollen wir den Tourismus am Río San Juan verbessern,
Arbeitsplätze schaffen und die illegale Migration nach Costa Rica
eindämmen“, sagt Chamorro. Für das Projekt erhielt Nicaragua einen
15-Millionen-Dollar-Kredit von der Interamerikanischen Entwicklungsbank,
Ende 2011 soll die Ruta del Agua abgeschlossen sein.
## Vorwärts mit dem Tourismus
An der neuen Uferpromenade von San Carlos steht Lancha-Fahrer Gustavo Peña
und wartet auf Touristen. Gustavo wurde am Fluss geboren, mehr als zehn
Jahre lang kämpfte er hier, erst in der Guerilla, dann gegen die Contras,
jetzt hat er sein eigenes Boot. „Sie kommen aus Managua und füllen sich
Plastikflaschen mit Flusswasser als Souvenir ab!“, erzählt Gustavo. „Ruta
del Agua, vorwärts mit dem Tourismus“ steht auf den großen Schildern an der
Uferpromenade wie ein Zauberspruch.
„Früher hat sich keiner um uns hier in der Grenzregion gekümmert, jetzt tut
sich endlich was“, sagt Gustavo. „Die Frente hat sich seit den 70er Jahren
verändert. Das Ziel ist nicht mehr, die Welt zu verändern. Heute ist das
Ziel ein nationales Projekt: nämlich Nicaragua nach vorn zu bringen.“
Juanas Boot legt ab. Die schwarzen großen Regenschutzplanen flattern im
Wind wie die Flügel einer großen Flusslibelle. Die Lancha ist brechend
voll. Nicaraguanische Arbeitsmigranten sitzen neben Touristen aus
Deutschland, Belgien und Kalifornien.
„In Nicaragua finde ich keine Arbeit“, erklärt Juana der Touristin neben
sich. Auf dem Fluss sind costa-ricanische Grenzpatrouillen verboten, „aber
die Kontrollen an Land sind jetzt wegen des Grenzkonflikts viel schärfer“.
Und ein Pass kostet sie 800 Córdoba. „Die Ticos (Costa-Ricaner) zahlen gut.
Das Boot legt an. „Frescos, frescos! Tamales, tamales!“ Ich habe kein Geld,
schreit Juana und lacht.
Im Border-Café in El Castillo serviert Yakil den Passagieren Frühstück.
„Der Río San Juan gehört 100 Prozent Nicaragua“ steht vor dem Eingang auf
Zement geschrieben. Yakil arbeitete zehn Jahre in Costa Rica. „Ich habe
viele Freunde dort, das wird sich auch mit dem Grenzkonflikt nicht ändern.
Aber die Ticos stehen uns Nicas sehr ablehnend gegenüber, sie haben Angst,
die zweite Geige zu spielen. Mit der Ruta del Agua wird sich hier viel
verändern.“
Über dem Ort thront die Festung La Inmaculada Concepción, eins von
insgesamt zwölf Kastellen, die die Spanier im 17. Jahrhundert bauten, um
sich gegen Piratenangriffe zu schützen. Statt Piraten kommen heute die
Touristen. „Wir haben sonst immer in Costa Rica Urlaub gemacht“, sagen
Mitch und Cookie, zwei Tierärzte aus Kalifornien. „Freunde haben uns den
Tipp gegeben, nach Nicaragua zu reisen.“
## Juan setzt über
In El Castillo geht die Sonne unter über dem breiten Río San Juan. Aus der
Ferne erklingen alte Latinoschnulzen. Junge Mütter sitzen in
Schaukelstühlen auf den Balkonen und wiegen ihre Babys in den Schlaf. Mitch
und Cookie genießen auf der Flussterrasse gegrillte Garnelen. „Nicaragua
hat gerade seinen Ruf als Bürgerkriegsland abgelegt“, sagt Mitch. „Die
werden sich das mit dem Grenzkonflikt doch nicht gleich wieder verspielen.“
Hinter dem nicaraguanischen El Castillo wird der Fluss zur Grenze. Am
rechten Ufer liegt Costa Rica mit abgeholzten Hügeln und Rinderweiden, am
linken Nicaragua und die üppig-wilde Reserva Biológica Indio Maíz. Das Boot
umfährt die Stromschnelle Raudal del Diablo, es sprudelt und schäumt wie in
einer Wasserhölle. Affen springen von Baum zu Baum, Alligatoren sonnen
sich, zwei alte Dampfschiffe aus der Goldsucher-Ära rosten am Ufer.
Die Bäume sehen aus wie von Verpackungskünstlern verpackt, so eng sind sie
von Schlingpflanzen umwickelt. Immer wieder hält das Boot. Migranten
steigen ein und aus, verschwinden im Dickicht. Juana schaut auf die steile,
lehmige Böschung: „Hoffentlich schaffen wir es diesmal“, sagt sie.
Die Lancha legt am costa-ricanischen Ufer an. Eine Frau wartet dort.
„Beeilt euch!“, ruft sie. „Die Polizei hat den Motor gehört!“ Juana
schnappt ihren lehmigen Rucksack und die zwei prallen Supermarkttüten. Die
Touristin neben ihr steckt ihr Bananen und Kekse zu. „Gott sei mit dir“,
sagt Juana und steigt über die wackelige Rampe auf costa-ricanisches Ufer
und verschwindet dann im Dickicht.
Nach elf Stunden und 220 Kilometern ist die Flussmündung und die Karibik
erreicht. Ein alter rostiger Baggerkran im Delta erinnert an das unerfüllte
Versprechen eines interozeanischen Kanals, dessen Bau 1889 hier begann.
Dann entschieden sich die USA für Panama. Greytown, die damals wichtigste
Hafenstadt Nicaraguas, geriet in Vergessenheit, verrottete und verrostete
in der Feuchtigkeit; was übrig blieb, wurde unter Edén Pastora alias
Comandante Zero im Contra-Krieg verbrannt.
Die Überlebenden zogen drei Kilometer nordwärts, in die neue
Wellblechsiedlung nach San Juan de Nicaragua. Zwei neue Baukräne schaufeln
jetzt die Flussmündung frei. Kein anderer als Pastora, der legendäre
Ex-Guerillero, der 1978 das komplette Parlament von Diktator Somoza als
Geisel nahm und später zu den Contras überlief, leitet das Projekt.
Im alten Greytown liegen die Soldaten in Hängematten mit Gewehren. Teniente
Muñoz führt zu den Gräbern und Grundmauern der verlassenen Stadt. Eine
Baggerraupe zieht eine Schneise für die Flugpiste durch den Dschungel. Der
erste Flug ist für Oktober geplant, Anfang November sind bereits Wahlen.
„Das alte Greytown ist nationales Kulturerbe“, ärgert sich Naturführer
Nestor Gutiérrez. „Viele Zug- und Wasservögel leben hier. Bei einem
Infrastrukturprojekt wie der Ruta del Agua muss man Umweltstudien
erstellen. Nicaragua könnte viel aus Costa Ricas Fehlern im Tourismus
lernen, aber die Zusammenarbeit ist vorerst auf Eis gelegt.“
In San Juan de Nicaragua blättert die Farbe von den verfallenen
Stelzenhäusern, ein Schildkrötenpanzer glänzt auf dem Müll, Strom gibt es
nur zwischen 14 und 23.30 Uhr, statt Touristen liegt Treibholz am
Karibikstrand. Vor Kurzem lebte der Ort noch vom Fischfang, die
Fischbestände aber sind zurückgegangen, was bleibt, ist die Hoffnung in die
Ruta del Agua.
Maximal 20 Rucksacktouristen im Monat kommen in diese Welt aus Kanälen,
Lagunen und offenem Meer. Im Ort kursieren Gerüchte über große
Kreuzfahrtschiffe aus dem Ausland, doch wie bei Yakira herrscht in den
Lokalen gähnende Leere. „Sie haben uns beigebracht, wie man raffinierte
Gerichte kocht, aber wenn, dann kommen nur Rucksackreisende her und die
bestellen Reis mit Bohnen.“
25 Jun 2011
## AUTOREN
Julia Reichhard
## TAGS
Nicaragua
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