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# taz.de -- Debatte Antifeminismus: Männer sind Opfer
> Seit dem Kachelmann-Prozess grassiert ein neues Angstbild: das Bild des
> Mannes, der falschen Anschuldigungen einer Frau anheimfällt.
Bild: Neuer Typ Mann: Das Opfer - so sieht sich auch Jörg Kachelmann.
Seit dem Prozess gegen den Wettermoderator Jörg Kachelmann, der mit einem
Freispruch des Angeklagten endete, ist in Internetforen und unter
antifeministischen Bloggern ein neues Motiv aufgetaucht: das Bild des
unschuldigen Mannes, der der falschen Beschuldigung einer rachsüchtigen
Frau anheimfällt.
Ein Kommentator auf Spiegel Online brachte diese Ängste auf dem Punkt: "So
kann Frau nach Herzenslust den Kollegen anzeigen, auf dessen Job sie scharf
ist, sie kann sich aus der Affäre ziehen, wenn es ihr peinlich ist, vor
ihren Eltern zugeben zu müssen, dass sie schon mit Jungs schläft, es ist so
einfach, politische Gegner abzuservieren. Denn ein Blick eines Mannes
genügt, und schon wurde Frau ja vergewaltigt."
Dieser "Kachelpanik" liegt ein neues Männerbild zugrunde: das Bild des
männlichen Opfers. Es beruht auf der Vorstellung, dass die
Falschbezichtigung jeden Mann treffen kann und die Justiz heute keine
Sicherheit mehr davor bietet. Die Kritik an einer Vorverurteilung von Jörg
Kachelmann in den Medien mag sicher berechtigt gewesen sein. Aber oft
reicht schon der Eindruck, dass Gerichte nicht mehr wie früher von
vornherein aufseiten der Männer stehen, um Ängste zu schüren. Zugleich wird
ein neues Frauenbild konstruiert: das Feindbild der rachsüchtigen Lügnerin,
die Männer aus Eigennutz nach Herzenslust anzeigt und der eine heimliche
Macht über die Justiz zugesprochen wird.
Wer sich den heterosexuellen Alltag in deutschen Büros und Betten ansieht,
wird schnell feststellen, dass diese Bilder wenig mit der Realität zu tun
haben. Diese Lücke zwischen Angstbild und Wirklichkeit versuchen
antifeministische Publizisten mit Zahlenspielen zu schließen. Ihr Vorgehen
dabei erinnert an den alten Satz: "Traue keiner Statistik, die du nicht
selbst gefälscht hast."
## Eine Studie aus Bayern
So berufen sich manche "Männerrechtler" auf eine Untersuchung des
Bayerischen Landeskriminalamts von 2005. Diese gibt für das Jahr 2000 für
Bayern einen Anteil von 7,4 Prozent falschen Verdächtigungen an allen
Anzeigen wegen Vergewaltigung an. Wenn man die Dunkelfeldforschung
einbezieht, kommen laut dieser Untersuchung jedoch auf eine Anzeige wegen
Vortäuschung oder falscher Verdächtigung etwa 38 bis 125 tatsächliche Fälle
von Vergewaltigung oder sexueller Nötigung.
Weiterhin wurden für diese Studie 77 Polizeibeamte, die in eingestellten
Vergewaltigungsverfahren ermittelt hatten, nach ihrer persönlichen
Einschätzung befragt. Die Meinungen gingen sehr weit auseinander. Doch ein
Kommissariatsleiter wird gern zitiert. Er sagte: "Alle Sachbearbeiter von
Sexualdelikten sind sich einig, dass deutlich mehr als die Hälfte der
angezeigten Sexualstraftaten vorgetäuscht werden. Viele angezeigte Fälle
lassen zwar die Vermutung einer Vortäuschung bzw. falschen Verdächtigung
zu, berechtigen jedoch nicht zu einer entsprechenden Anzeige."
Diese persönliche Einschätzung eines einzelnen Beamten wird nun von
interessierter Seite aus der Studie herausgepickt, um die eigentlichen
Forschungsergebnisse beiseitezuschieben. Sie wird zum Grundpfeiler des
antifeministischen Credos von der männerverfolgenden Lügnerin vor Gericht.
So fragt etwa der Publizist und "Männerrechtler" Arne Hoffmann vom Verein
Agens zunächst besorgt: "Sind Sie der nächste Jörg Kachelmann?", um gleich
hinterherzuschieben: "Polizisten und Wissenschaftler: Bei
Vergewaltigungsvorwürfen lügen Frauen häufig."
## Massenhaft falsche Vorwürfe?
Obwohl die Studie genau das Gegenteil belegt, zitiert Hoffmann selektiv
diese eine Äußerung, "dass deutlich mehr als die Hälfte der angezeigten
Sexualstraftaten vorgetäuscht" würde, um zu dem Schluss zu kommen: "Von
einer hohen Zahl an Falschbeschuldigungen geht auch die Untersuchung
,Vergewaltigung und sexuelle Nötigung in Bayern', herausgegeben im Jahr
2005 vom Bayrischen Landeskriminalamt, aus." Hoffmann zitiert auch einen
britischen Polizisten, der unter dem Pseudonym Inspector Gadget in seinem
Weblog schreibt, "dass von zehn Vergewaltigungen, die unserer Dienststelle
gemeldet werden, sich mindestens acht als Unfug herausstellen. Um fair zu
sein, acht von zehn Irgendwas, die unserer Polizeidienststelle gemeldet
werden, sind Unfug - warum sollte es mit Vergewaltigung anders sein?"
## Wunsch nach Männerbündelei
Auch bei dem antifeministischen Verein Manndat dient die Umdeutung der
BLK-Studie dazu, weitreichende politische Forderungen zu stellen. In seinem
Programm wird behaupt: "Eine Studie des LKA Bayern zu diesem Thema geht
davon aus, dass deutlich mehr als die Hälfte der angezeigten
Sexualstraftaten vorgetäuscht werden", und die Verfolgung von
Falschbezichtigungen von Amts wegen gefordert.
Woher rührt dieses brennende Interesse von Antifeministen, die zu solchen
Zahlenspielen greifen, ein neues Bild von "Opfermännern" zu zeichnen? Es
hat den Vorteil, dass unter dem Kampfzeichen des Opfers alle Männer gleich
werden, während sie im "wirklichen Leben" oft sehr unterschiedliche
Einstellungen zu Gleichheit, Frauen und Geschlecht haben. Studien zeigen:
Eine große Gruppe von jungen Männern will Gleichheit in ihren Beziehungen,
eine weitere ist verunsichert, der konservative Kern ist auf rund ein
Viertel aller Männer geschmolzen. Mit dem Mythos vom Opfer wird eine neue
Männerbündelei propagiert.
Stellt das neue Bild des Mannes als Opfer einen Fortschritt gegenüber den
bisher populären Überlegenheits- und Siegerposen dar? Nein, denn auch das
neue Bild des Mannes als Opfer ist tendenziell frauenfeindlich. Aber es ist
auch nicht gerade männerfreundlich, läuft es doch auf eine Homogenisierung
und Entmündigung aller Männer hinaus. Diesem Bild zufolge ist der einzelne
Mann nicht für sein Denken und Handeln verantwortlich, sondern der
bedrohlich erscheinenden Frau hilflos ausgeliefert. Kann eine solche
Fantasie und Ideologie, nach der die Frau (beziehungsweise die Feministin)
der Feind ist, den vielen Männern in ihren verschiedenen Lebenslagen und
Zwängen nutzen? Den vielen Männern - und Frauen -, die auf ein gutes
Zusammenleben setzen? Wohl kaum.
30 Jun 2011
## AUTOREN
Ilse Lenz
## TAGS
Schlagloch
Antifeminismus
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