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# taz.de -- Debatte Fußball in Griechenland: Hoffen auf den Feuersturm
> Griechenlands Fußball wird von einem Wettskandal erschüttert. Da drängen
> sich Parallelen zur Schuldenkrise auf. Denn das ganze System ist krank.
Bild: Abgeführt: Verdächtige im Wettskandal.
Wir können nur hoffen, dass Griechenlands gegenwärtige Krise wie eine
riesige unsichtbare Hand wirkt, die alle Steine umwälzt, unter denen
bislang der ganze Faulschlamm unserer Gesellschaft verborgen war. Wir haben
diese Steine noch nicht angehoben, weil wir aus Erfahrung wissen, dass
Enthüllungen bei uns nie zu einer Katharsis führen.
Weil wir immer Angst hatten vor dem, was wir finden würden. Und weil wir
uns daran gewöhnt hatten, mit dieser ganzen Fäulnis zu leben, als würde sie
uns nichts angehen, als würde sie uns nicht umbringen. Jetzt, wo unser
krankes System zusammenbricht, kommt all das, was wir vor uns verborgen
haben, ans Tageslicht. Stück für Stück.
Das illegale Wettkartell in unserem Land, das in der vergangenen Woche ans
Licht gekommen ist, hat offenbar Griechenlands ganzen professionellen
Fußballbetrieb durchsetzt. Die ermittelnden Justizbehörden gehen davon aus,
dass das betrügerische Netzwerk, zu dem Vereinsbesitzer, Spielervermittler,
Schiedsrichter und die Betreiber illegaler Wettbüros gehören, mehrere
hundert Personen umfasst.
Dieser kriminelle Abszess ist ein Symptom der Krankheit unserer
Gesellschaft, in der sich die Grenzen zwischen legal und illegal, zwischen
gut und böse aufgelöst haben. Ein wunderbare Sport ist in diesem Land zu
einem geschlossenen und paranoiden System geworden, das jeden, der in seine
Nähe gerät, entweder in sich hineinzieht oder abstößt.
## Nach eigenen Regeln leben
Die Insider dieses Systems leben nach ihren eigenen Regeln, ihren eigenen
Wertmaßstäben, ihren eigenen Methoden. In den Telefongesprächen, die der
griechische Geheimdienst abgehört hat und deren Inhalte aus den Justizakten
in die Öffentlichkeit durchgesickert sind, spiegelt sich eine Welt von
Gangstern, die so konspirativ wie naiv agieren und die sich ihrer Sache
überaus sicher sind: Die Protagonisten des Betrugs gehen davon aus, dass
sie alles in der Hand haben.
Sie müssen weder auf ihr Glück vertrauen noch auf irgendwelche Fähigkeiten.
Sie fürchten weder das Gesetz noch die Moral. So lange alle auf derselben
Wellenlänge funktionieren, geht alles wunderbar glatt. Sie machen ihre
Betrugspläne, sie kontrollieren die Situation und sie erreichen ihre Ziele.
Würde man sie danach fragen, würden sie antworten, dass sie nichts
Unrechtes getan haben: Sie platzieren nur ihre Wetten, werden damit reich
und niemand kommt zu Schaden. Wie eine kranke Familie, die sich um das
kränkste Mitglied schart und ihm nacheifert, hat diese Mafiagang jeden
Kontakt mit der Realität verloren.
Sie ist nur auf sich selbst fokussiert. Sie sieht nicht, dass es unfair
ist, mit einem Satz gezinkter Karten zu spielen, dass sie Spieler und
Trainer in den Abgrund zieht, dass sie die Fans betrügt und dass sie
normale Bürger dazu bringt, sich an kriminelle Machenschaften zu gewöhnen.
Das geht inzwischen so weit, dass die Anhänger eines Klubs von ihren
Funktionären verlangen, sie müssten, damit ihr Team gewinnt, besser
betrügen als die anderen. Und dass ein neuer Klubeigentümer - und von denen
gibt es in Griechenland in den letzten Jahre viele - in diesem System
mitmachen oder sich rasch wieder aus dem Fußballgeschäft zurückziehen muss.
## Ein Betrug nährt den anderen
Die Schwerkraft dieses kriminellen Systems saugt wie dunkle Materie im
Weltall alles in sich hinein. Das Ganze wird durch komplizenhafte
Abmachungen und Geschäfte auf Gegenseitigkeit zusammengehalten. Und was am
schlimmsten ist: Die Existenz des Systems wird von den Spielern, den Fans
und der Gesellschaft insgesamt toleriert. Es ist zweifellos kein Zufall,
dass neun der fünfzehn Männer, die als Erste beschuldigt wurden, bereits in
dem vor einigen Jahren aufgedeckten Skandal, bei dem es um die Bestechung
von Richtern ging, eine Rolle gespielt haben.
Das eine Betrugssystem nährt das andere und lässt Inseln der Kriminalität
entstehen, die sich, wenn sich nicht in einem frühen Stadium vernichtet
werden, immer weiter ausbreiten, bis sie eine kompakte, nicht mehr
abbaubare Masse darstellen. Wie Griechenlands Staatsschulden.
In fast allen Lebensbereichen haben wir gelernt, mit chronischen Problemen
zu leben - ohne Vertrauen in unsere Institutionen, aber auch ohne
persönliche Verantwortung zu übernehmen. Bis wir von all unseren Problemen
wie von einem Wolfsrudel umzingelt waren. Jetzt ist unsere Wirtschaft in
einem Zustand, der uns ständig neue Opfer abverlangt und doch nichts
verspricht als neues Elend.
## Aggression und Melancholie
Unsere Politiker sind in tragischem Ausmaß unfähig, mit der Krise umzugehen
und einer Gesellschaft den Weg zu weisen, die wie betäubt ist und ständig
zwischen Aggression und Melancholie schwankt. Wir fühlen uns betrogen und
verletzt, weil wir jetzt die Rechnung für die Jahrzehnte gedankenloser
Partystimmung, der Betrügereien und der Misswirtschaft zahlen sollen.
Unsere außenpolitischen Probleme, die man uns stets als Fragen von
allergrößter nationaler Bedeutung präsentiert hat, bleiben ohne Lösung, was
unser Gefühl der Unsicherheit noch verstärkt.
Medienkonzerne, vom Staat gesponserte Unternehmer und ganze Generationen
von Politikern haben ein geschlossenes System geschaffen, in dem sie die
Gesellschaft manipulieren konnten wie eine Wettmafia die Fußballspiele
manipuliert. Mit dem Unterschied, dass es ein Spiel mit unserem Leben ist -
und dass wir die geliehenen Gelder, mit denen sie uns geblendet haben, am
Ende zurückzahlen müssen. Und weder eine Polizei noch eine Justiz und auch
keine Gewerkschaften haben uns vor all dem geschützt.
Das ist der tiefere Grund, warum wir nie auf eine Besserung gehofft haben.
Mangels dieser Hoffnung haben wir es aufgegeben, eine Lösung für unsere
Probleme und eine Strategie zur Gestaltung unserer Zukunft zu fordern. Das
einzig Gute an dieser Situation ist: Da es keinen Raum mehr für Hoffnung
gibt, beginnen wir zu hoffen. Wir hoffen und wir fordern, dass der
Feuersturm der Krise all die Betrügereien und Unfähigkeiten ans Licht
bringt und uns am Ende zu besseren Bürgern macht. Immerhin eine Hoffnung.
7 Jul 2011
## AUTOREN
Nikos Konstandaras
## TAGS
WM 2011 – Mixed Zone
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