# taz.de -- Kolumne Die B-Note: Jalla, jalla Deutschland | |
> Wo sind die Fahnen? Auf der Suche nach dem entspannten Nationalismus. | |
Eingewickelt liegt sie auf dem Dachvorsprung, hoch oben auf dem | |
fünfstöckigen Haus in der Sonnenalle in Neukölln. Nur ein kleiner Zipfel | |
baumelt vom Dach herunter, ein Zipfel von der 20 Meter langen und 5 Meter | |
breiten Deutschlandfahne, die während der Männer-WM im vergangenen Jahr das | |
begehrteste schwarz-rot-goldene Objekt in Berlin war. „Allein kann ich sie | |
nicht runterlassen, das ist zu gefährlich, und mein Bruder ist heute nicht | |
da“, so Youssef Bassal, der berühmte, im Libanon geborene Betreiber des | |
Handyladens Bassal Shop im Erdgeschoss. | |
Ausgerechnet beim letzen Spiel des deutschen Teams fehlt also die | |
Riesenfahne, mit der es Youssef und seine Familie vergangenes Jahr in die | |
Weltpresse, zum damaligen Verteidigungsminister Guttenberg und zu Johannes | |
B. Kerner ins Fernsehen geschafft hatten: Araber, die im Herzen Neuköllns | |
nicht wegen Hinterhofmoscheen oder Terrorismusdebatten ins deutsche | |
Blickfeld gerieten, sondern wegen ihres Megabekenntnisses zu Deutschland | |
von sich reden machten. Und das nicht zuletzt dank des Fahnenkriegs: Linke | |
Antinationalisten zerstörten die gigantische Fahne zweimal. | |
„Dieses Jahr rollen wir die Fahne nachts immer ein. Wir wollen nicht wieder | |
jede Nacht Wache schieben“, erzählt Youssef. „Aber bisher hat sich niemand | |
groß für die Fahne interessiert.“ Nicht mal die Linken, die um die Ecke im | |
Café Tristezza einen entspannten Abend verbringen. | |
Gegenüber von Bassals Shop hingegen hängt eine große Deutschlandfahne an | |
der Fensterfront von „Simones Bier- und Speisegaststätte“. Der Altrocker | |
hinter der Theke lacht: „Wir haben hier nie ein Problem gehabt.“ Die Linken | |
haben sich auch letztes Jahr nicht für Simones Fahne interessiert? „Nein, | |
die wissen ja, wer wir sind.“ Wir? „Na, das da drüben sind ja Araber und | |
wir sind Deutsche.“ | |
Bei „Simones“ schauen am Samstagabend fünf Leute das Deutschlandspiel und | |
das auch eher nebenbei. Vor Bassals Shop versammeln sich kurz vor Anpfiff | |
ein Dutzend arabische Männer. Youssef hat seinen Flachbildschirm und ein | |
paar wacklige Bürostühle auf den Gehweg gestellt, und schnell füllt sich | |
Youssefs Public-Viewing-Platz mit Passanten. „Jalla, jalla“, rufen er und | |
seine Freunde immer wieder, wenn Mbabi oder Grings Richtung japanisches Tor | |
unterwegs sind. „Warum verdammt noch mal darf Lira nicht spielen?“ Wenig | |
Männer, dafür aber fast jede Frau, die an der vorbeikommt, bleibt stehen, | |
will den Spielstand wissen oder den Kommentar: „Null zu Null? Wie geht das | |
denn?“ loswerden. | |
Diese WM ist einfach anders. Weder muss man sich ständig durch ein | |
schwarz-rot-goldenes Fahnenmeer winden noch durch angestrengte | |
Nationalismusdebatten. Man muss richtig suchen, um ein schwarz-rot goldenes | |
Wimpelchen zu finden oder irgendjemanden, der sich den Schland-Wahn | |
anprangert. Wenn es überhaupt so etwas wie einen entspannten Nationalismus | |
gibt, dann sieht er wohl so aus wie Deutschland während der Frauen-WM 2011. | |
10 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Doris Akrap | |
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