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# taz.de -- Bachmannpreis 2011 verliehen: Adrenalin in der Arena
> Der Bachmannpreis ging in diesem Jahr an eine Autorin aus Klagenfurt: an
> Maja Haderlap. Eindrücke vom Wettbewerb.
Bild: Maja Haderlap, Gewinnerin des Bachmannpreises, erinnert in ihrem Text an …
KLAGENFURT taz | Zwei Jahre lang war ich nicht hier gewesen. Ist schon
irre, wie gründlich man schon in so einem kurzem Zeitraum Details vergessen
kann - und wie massiv sie dann wieder da sind, sobald man sie aufs Neue
wahrnimmt. Diese gequetschte Stimme des wieseligen Oberkellners im
Restaurant Loretta zum Beispiel, wo man sich abends zum Fischessen trifft.
Oder die innere Fröhlichkeit, mit der man registriert, dass man sich
plötzlich inmitten von Kritikerkollegen und Verlagsleuten nachts um drei
auf einer zur Tanzfläche umfunktionierten Ecke einer Klagenfurter
Szenekneipe wiederfindet.
Wer über die vergangenen Tage schreiben will, muss von Anfang an eine
Grundsatzentscheidung treffen: ob er über den Bachmannpreis schreibt oder
über Klagenfurt - jetzt nicht als Ortsbezeichnung, sondern als Ereignis
gedacht. Über den Bachmannpreis schreiben heißt: Lesungen, Autoren, Trends
beschreiben. Aber das Ereignis Klagenfurt ist damit noch längst nicht
bestimmt. Denn Klagenfurt, das ist - sobald man hier ist, wird einem das
wieder klar - mehr als die vier Tage, die dem Bachmannpreis vorweggehen: Es
ist ein Ritual, ein Fest und ein Ort, an dem Traditionen weitergegeben
("Samstag ist das Wettschwimmen im See") oder gleich neu erfunden werden.
Wenn man ein freundliches Landgasthaus in der Umgebung findet und dahin in
kleiner Gruppe aufbricht, überlegt man sofort, ob man das von nun an nicht
jedes Jahr tun sollte. Und für die Literatur ist das alles letztlich
wichtiger als die Ermittlung des Preisträgers.
Oder vielleicht eher so gesagt: Eine Verengung auf die Texte ist ein
Fehler, auf jeden Fall eine zu starke Rationalisierung eines auch
irrationale Dinge wie Wunschprojektionen, literarische Sozialisation und
Gruppendynamiken berührenden Geschehens. Klagenfurt, das ist der Ort, an
dem sich in jedem Sommer die Leidenschaft für die Literatur auflädt. Und wo
zugleich, bei aller Entspanntheit, die Hackordnungen innerhalb des
Betriebes klargemacht werden.
## Die Venedig-Biennale für die Literatur
Vielleicht kann man auch sagen, dass dieses Ereignis so etwas wie die
Venedig-Biennale für die Literatur ist. Und wenn man schon mal auf diesem
Kunsttripp ist und auch noch einen Wunsch frei hätte, würde man bei einem
Videokünstler gern eine Arbeit in Auftrag geben: Hundert Monitore als Block
über- und nebeneinander gestapelt, und in jedem Monitor wird jemand anders
zu einem hier gerade gelesenen Text befragt - der Autor selbst, die
Jurymitglieder, der Klagenfurter Oberbürgermeister, Frau Michaela
Monschein, die hier seit zehn Jahren alles organisiert, Tontechniker,
Schüler, die im Publikum sitzen (müssen), Rentner, die mal vorbeischauen,
die Lektorin des Konkurrenzverlages des Autors, Kathrin Passig, die wie
jedes Jahr den automatisierten Riesenmaschinen-Kritikerpreis ermittelt (er
ging dieses Jahr an Linus Reichlin), ein Kritiker alter Schule, eine
Nachwuchsautorin, die sich überlegt, im nächsten Jahr ihre Texte
herumzuschicken, um selbst eingeladen zu werden.
So ein Durcheinander der Stimmen würde vermutlich mehr über Literatur - die
Erwartungshaltungen an sie, ihren Stellenwert, ihre Zukunft - aussagen, als
die klaren Rankings von Bestseller- und Bestenlisten es tun. Klagenfurt,
das ist eben der Ort, an dem während dieser vier Tage im Juli alle eine
Meinung zu einem Text haben, egal ob sie ihn genau analysierten oder
während der Lesung vor sich hin dösten. In Klagenfurt zu sein, das bedeutet
auch, wenn man böse sein will: ein Dauerbeschuss von diesen Stimmen, wenn
man gutgelaunt ist: ein Baden in diesen Stimmen.
Was ich in den zwei Jahren nicht vergessen hatte, weil es so eindringlich
ist, dass man es gar nicht vergessen kann: was für einen gewaltigen
Unterschied es macht, ob man sich die Lesungen und Diskussionen auf dem
Bildschirm oder live im Studio ansieht. Das ORF-Fernsehstudio ist so etwas
wie der Heizkessel, manchmal auch das dunkle Herz des Ereignisses
Klagenfurt. Auf dem Fernsehschirm sieht das, medienbedingt, oft leicht nach
Kunstwillen aus. Live aber wird der Schauplatz zu einer Arena. Man muss als
Zuschauer um seinen Platz kämpfen; man sieht die Autoren noch am Tisch
sitzen, während ein Kritiker von einem "erzählerischen Totalunfall" redet;
man spürt die Hitze der Scheinwerfer; man meint sogar, den Angstschweiß und
das Adrenalin zu riechen.
## Die existenzielle Seite Klagenfurts
Hier in der Arena offenbart Klagenfurt seine existenzielle Seite. Dreißig
Minuten Lesezeit, dreißig Minuten Diskussion - und in dieser Stunde können
sich ganze Lebensläufe entscheiden: ein Autor fällt durch (was dieses Jahr
Linus Reichlin und Maximilian Steinbeis widerfuhr), eine Autorin wird
entdeckt (wie es Maja Haderlap geschehen ist); eine Jurorin wie Hildegard
Keller wird sich fürderhin wohl kaum noch von dem Eindruck erholen, eine,
was Gegenwartsliteratur betrifft, leichtgewichtige Dauerlächlerin zu sein;
eine andere Jurorin wie Meike Feßmann kämpft wie eine Löwin um
Deutungshoheit, schießt ein paarmal über das Ziel hinaus, macht sich ein
paar Feinde und gewinnt den Respekt der anderen. Der Jurykollege Hubert
Winkels hatte zuvor in einem Essay nachlassenden kritischen Furor unter
Literaturkritikern festgestellt. Meike Feßmann kann für diese Analyse nach
Klagenfurt keineswegs als Beispiel dienen. Solche Dramen - kleine Schritte
für die Menschheit, aber doch große in dem jeweiligen Menschenleben - haben
sich auch dieses Jahr wieder abgespielt.
Am allerdeutlichsten zeigte sich dieses Existenzielle bei den Lesungen von
Gunther Geltinger und Antonia Baum. Mit hoch aufgeladenen Texten traten sie
an; um die Schrecken der Kindheit drehte sich der eine, um postpubertären
Weltekel der andere. Aber die Jury gab sich mehrheitlich oberlehrerhaft,
monierte schiefe Sprachbilder und Überdeutlichkeiten. Das sind Situationen,
in den man als Autor eine paar dunkle Stunden lang überlegt, ob man mit dem
Schreiben wirklich weitermachen soll. Klagenfurt, das ist in solchen
Momenten auch die große Frage: Was bist du für dein Autorensein bereit zu
geben? Gunther Geltinger schaffte es schließlich immerhin noch auf die
Shortlist des Bachmannpreises.
Andere Autoren zeigten sich von vornherein professioneller. Thomas Klupp,
Leif Randt, Nina Bußmann, das sind Autorinnen, für die wahrscheinlich von
Anfang ihrer Autorenkarriere ganz klar war, dass sie sich irgendwann
Klagenfurt werden stellen müssen, weil es ja nun einmal ganz klar ist, dass
das Umgehen mit Öffentlichkeit zu einem heutigen Autorenberuf dazugehört -
und Klagenfurt ist nun mal eine schimmernde Möglichkeit, Anerkennung zu
bekommen, aber auch die am härtesten zu knackende Nuss. Thomas Klupp hat
dabei mit seiner mit Pornobildern spielenden Geisteswissenschaftssatire den
am deutlichsten auf Wirkung hin kalkulierten Text vorgelegt und bekam,
beinahe auf Ansage, den im Internet ermittelten Publikumspreis. Leif Randt
setzte auf Coolness, und Nina Bußmann ganz auf Zurückhaltung. In sich sind
alle Texte interessant; kann man dann, wenn die jeweiligen Bücher
erscheinen, ja nachlesen.
## Wie man Äpfel mit Birnen vergleicht
Insgesamt bestand sowieso die Aufgabe der Jury darin, sich zwischen Äpfel
und Birnen zu entscheiden. Maja Haderlap hat einen sorgfältigen Text über
Gefühlserbschaften rund um den slowenischen Partisanenkampf im Zweiten
Weltkrieg geschrieben. Alles ist kunstvoll gebaut, sicher; aber letztlich
geht es halt doch um eine, wenn auch gebrochene Heldengeschichte. Außerdem
menschelt es im ausführlich beschriebenen Wald. Steffen Popp dagegen legte
eine waghalsige und hochpoetische Spurensuche im Thüringischen vor. Im
übrigen Literaturbetrieb können diese beiden Texte
nebeneinanderherexistieren, in der Klagenfurt-Situation muss aber eine
Hierarchie hergestellt werden. Die beiden österreichischen Juroren stimmen
in der Stichwahl für Haderlap, die beiden Schweizer auch, die drei
deutschen stimmen für Popp. Österreichische Vergangenheitsaufarbeitung
schlägt poetische deutsche Spurensuche. Vor allem aber: Eine Entscheidung
eher fürs Bedächtige als fürs Suchen nach neuen Ausdrucksformen. Das war
das letzte der diesjährigen Bachmannpreis-Dramen.
So war das hier. Und nach vier Tagen Dramen und Schnitzel, Texten und
Schwimmzügen sitzt man am Lindwurmbrunnen und schreibt einen Abschlusstext.
Die Sonne scheint. Vierzig Meter weiter wird eine Kameraszenerie aufgebaut,
und man denkt schon, die drehen hier einen Tourismuswerbefilm. Aber dann
sitzt da plötzlich die Preisträgerin Maja Haderlap (die man eine Stunde
zuvor noch während der Preisverleihung in der Arena gesehen hatte) und wird
porträtiert.
Medien halt, und wie sie an dem Bild arbeiten, das vom Bachmannwettbewerb
übrig bleiben soll: Maja Haderlap, die in Klagenfurt lebt und sich nun in
die Nachfolge der größten Tochter der Stadt, Ingeborg Bachmann,
einschreibt. Ist doch okay so! Aber man selbst wünscht sich, dass ein paar
mehr Bilder von Klagenfurt bleiben.
10 Jul 2011
## AUTOREN
Dirk Knipphals
Dirk Knipphals
## TAGS
Sucht
Klagenfurt
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Man wünscht Maja Haderlap viele Preise. Nur gratuliert man ihr gerade zum
Bachmannpreis nur mit halben Herzen, denn als Richtungsentscheidung ist er
fatal.
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