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# taz.de -- Wo die Leichen lagen:: Wachsköpfe zum Gruseln
> In Hamburg wird ein Sektionssaal zum Museum und zeigt Artefakte eines
> medizinhistorischen Zeitalters. Aufklärung wird allerdings nur in
> homöopathischen Dosen verabreicht.
Bild: Verhaltener Grusel: Seziersaal der Alten Pathologie im Universitätsklini…
HAMBURG | taz Licht durchflutet den weißen Raum. Das flache Dach aus leicht
trübem Glas nimmt der Sonne keinerlei Helligkeit, und der Boden ist von
mattgrauen Fliesen bedeckt. In der Mitte stehen acht Tische aus hellem
Stein, die robust aussehen, wenn auch nicht bequem. Den Menschen, die hier
lagen, konnte das egal sein. Denn das Licht im Saal war nicht etwa das am
Ende des Tunnels. Es war das Licht, unter dem die Wissenschaft die toten
Körper der Verstorbenen auseinandernahm.
Seit zwei Jahren wird die ehemalige Pathologie des Universitätsklinikums in
Hamburg-Eppendorf (UKE) zum Museum umgebaut, und der Sektionssaal ist schon
so gut wie fertig. Lampen wurden originalgetreu nachgebildet, der Boden
tiefengereinigt. In drei Jahren soll das Gebäude keine Baustelle mehr sein,
sondern nur noch Medizinhistorisches Museum. Einige Ausstellungsräume haben
bereits geöffnet.
"Dieser Raum ist so hell, weil bei seinem Bau die elektrische Versorgung
schlecht war und man das Tageslicht möglichst geschickt einplanen musste",
sagt Albert Schett vom Hamburger Denkmalschutzamt. Schon ein bisschen
schade um den Gruselfaktor, findet Schett.
Ein Fahrstuhl brachte die Körper aus der Leichenhalle im Keller in den
Sezier-Wintergarten. Im alten Hörsaal gegenüber stehen noch die Stühle, auf
denen StudentInnen über das Innere des menschlichen Körpers aufgeklärt
wurden. Vorne steht kein Professor mehr, der erkrankte Organe als
Anschauungsmaterial nutzt. Heute ist dort in einer Glasvitrine ein
präpariertes Herz ausgestellt. Mehr erinnert nicht an die Leichen von
früher. Kein eingetrocknetes Blut, keine Instrumente zum Aufschneiden der
Körper.
Auch im Sektionssaal selbst erinnern nur ein paar Informationstafeln an
das, was hier geschah. An der Wand hängt ein abstraktes Ölgemälde: "Es ist
das Gehen, der Weg und weiter nichts". Es zeigt den Tod als verborgene und
verschachtelte Schattenwelt, in die Menschen gezogen werden, während die
Lebenden unbeteiligt auf der anderen Seite stehen. Damit die BesucherInnen
nicht vergessen, dass der Tod nichts Helles, sondern das beginnende Dunkel
ist.
In einem Nebenraum hängen zwei Kopfhörer an einer Garderobe aus weißem
Metall. Ein Kabelbinder hält den MP3-Player, der unter anderem "Ein Lied
für Schwindsüchtige" abspielt, ein Gedicht, dessen Texte der Barockdichter
Matthias Claudius verfasste. Setzt man sich die weichen Hörschalen der
Kopfhörer auf, liest eine Bariton-Stimme auch Briefe vor, in denen Menschen
vergangener Jahrhunderte ihr Leid klagen.
Im nächsten Gang blickt er einen plötzlich an, der Schrecken. Aus
entstellten Gesichtern, bedeckt mit Geschwülsten einer kompliziert
klingenden Entzündung. Aus offenen Verletzungen, an denen schon der Eiter
krustet. Füße, die scheinbar halb verwest sind, strecken sich in einer
Glasvitrine empor.
Es sind Wachsmodelle, Fragmente aus einer anderen Zeit, als Krankenhäuser
noch nicht hoch technisiert waren und Kranksein schmutzig war. Meist im 19.
Jahrhundert gefertigt, bedienen sie den voyeuristischen Blick. Die offenen,
vom Schmerz verzerrten Münder der Wachsgesichter stammen von Verstorbenen,
von denen man Gesichtsabdrücke nahm.
Denn bevor es Bücher mit Farbfotografien gab waren diese Wachsabdrücke -
Moulagen - Anschauungsmaterial für die medizinische Ausbildung. Man nutzte
sie vor allem in der Dermatologie. Das Hamburger Medizinhistorische Museum
besitzt insgesamt 598 "Abgüsse von historischen Patientenbildern", wie das
UKE die Abdrücke erkrankter Körper nennt.
Denn Menschen aus allen Kontinenten brachten nicht nur exotische
Krankheiten in die Hafenstadt, sondern auch exotische Hautbilder. Eine
Vielfalt, die Medizinbücher von heute nicht immer aufweisen: Denn die
zeigen zwar Farbfotografien diverser Krankheitsbilder. Aber oft nur auf
weißer Haut, auf denen Entzündungen anders wirken als auf stärker
pigmentierter Haut.
"Es ist tatsächlich so, dass helle und dunkle Haut in den Lehrbüchern nicht
gleich stark vertreten sind", sagt Marc Radtke, Oberarzt für Dermatologie
und Venerologie am UKE, der selbst MedizinstudentInnen unterrichtet. In der
theoretischen Lehre werde zwar behandelt, dass es Unterschiede gebe und auf
welche Charakteristika die zurückzuführen seien. Die Studenten erführen
aber nicht, wie diese Unterschiede im Einzelnen aussähen.
Die Wachsmoulagen als Unterrichtsergänzung zu nutzen, findet Radtke aber
übertrieben. "Dermatologie ist zwar eines der visuellsten Felder der
Medizin", meint er, "aber wir ziehen den Unterricht am Krankenbett vor."
Leider seien PatientInnen mit stärker pigmentierter Haut im UKE eher
selten. Theorie und Realität dürfen sich jetzt streiten, wer den Menschen
in die Gleichberechtigung pfuscht.
Bewusstsein für das Problem des Rassismus will das UKE an anderer Stelle
beweisen. Mit fünf Informationstafeln über die Nazi-Zeit. Vier von ihnen
erzählen Biografien verfolgter jüdischer MedizinerInnen. Eine weitere
offenbart, dass es auch unter den Ärzten Nazis gab: 45 Prozent der
deutschen Ärztinnen und Ärzte waren Mitglieder der NSDAP. Wie viele davon
im UKE arbeiteten, steht da nicht. Von einer offenen Diskussion über die
eigene Nazi-Vergangenheit ist diese Ausstellung weit entfernt.
12 Jul 2011
## AUTOREN
Viviane Petrescu
## TAGS
NS-Forschung
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