# taz.de -- Debatte Politische Teilhabe im Netz: Demokratie auf Augenhöhe | |
> Politische Teilhabe im Netz beschränkt sich nicht auf Facebook und | |
> Online-Petitionen. Es geht viel mehr um Diskussion, Organisation und | |
> Transparenz. | |
Wer behauptet, politische Partizipation im Internet bestünde hauptsächlich | |
darin, eine Stimme per Klick abzugeben und damit der Demokratie zu schaden, | |
macht es sich sehr einfach. | |
Zum einen handelt es sich bei den meisten digitalen | |
Unterschriftensammlungen um weitaus mehr als einen Klick. BenutzerInnen | |
müssen ihre persönlichen Daten preisgeben, um sich ein Konto einzurichten | |
und stehen dann oft für alle sichtbar mit ihrem (Real)Namen hinter einer | |
politischen Forderung. Dagegen ist die analoge Unterschriftensammlung | |
schnell, unkompliziert und nicht öffentlich. | |
In der Tat schwierig ist, dass es inzwischen unterschiedliche Möglichkeiten | |
gibt, online für ein und das selbe Thema abzustimmen. Wenn man seine Stimme | |
bei Facebook oder auch campact! abgibt, kann man nicht davon ausgehen, dass | |
sie irgendeine Relevanz in der parlamentarischen Diskussion haben wird. | |
So ist es durchaus als kontraproduktiv zu bewerten wenn campact! über | |
zweihunderttausend Unterschriften sammelt, die bei einer Onlinepetition an | |
den Deutschen Bundestag eher Auswirkungen auf die parlamentarische Politik | |
gehabt hätten. Sie sind nicht mehr als ein symbolischer Akt ohne Wirkung. | |
Menschen die dort ihre Stimme hinterlassen haben, werden nur in den | |
seltensten Fällen bereit sein für dieselbe Sache noch einmal online zu | |
unterschreiben. | |
## Digitale politische Partizipation | |
Aber seit wann ist digitale politische Partizipation in erster Linie das | |
Unterschreiben von Petitionen? Das was das Netz zu DEM Werkzeug der | |
außerparlamentarischen Opposition macht, ist mit Sicherheit nicht der | |
Like-Button. Es sind Vorgänge, wie die folgenden: | |
Mark Schmitt in Buxdehude liest bei Twitter eine Nachricht von Rita Lehmann | |
auf der Schwäbischen Alb und stellt fest, dass er gar nicht der Einzige | |
ist, der sich für XY einsetzt. Sie tauschen in Blogposts Argumente für ihre | |
Position aus, erzählen wie sie dazu gekommen sind. Sie werden mit | |
Kommentaren von Menschen konfrontiert, die absolut dagegen sind. | |
In der Auseinandersetzung mit diesen "Gegnern" lernen sie ihre Argumente zu | |
schärfen und zu erweitern. Sie üben sich darin, den politischen Gegner von | |
ihrer Position zu überzeugen, seine Argumente zu entkräften und finden über | |
ihre öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema immer mehr Leute, die so | |
denken wie sie. Sie beginnen sich zu organisieren, legen Mailinglisten an | |
und Dokumente, die sie kollaborativ bearbeiten können, sie gestalten | |
Kampagnen-Webseiten. Ihre Arbeit wird zunehmend differenzierter. | |
Darin liegt die Stärke des Netzes als Werkzeug politischer Partizipation: | |
es lassen sich Beziehungen zu Gleichgesinnten knüpfen, es ist eine | |
Debattenplattform die Jedem und Jeder mit einem Internetzugang offen steht. | |
Unabhänging von Zeitungen und anderen Medien lassen sich hier innerhalb | |
kurzer Zeit sehr viele Menschen erreichen und Meinungen bilden. | |
Die oft in Online-Kontexten vorhandene Frustration über das in Deutschland | |
herrschende politische Klima kommt nicht davon, dass mal ein Politiker | |
nicht schnell genug auf Twitter antwortet oder dass eine Frage auf | |
Abgeordnetenwatch mit einer Standardantwort abgespeist wird. Nein, | |
frustrierend wird es, wenn Argumente ignoriert werden von Politikeren in | |
Parlamenten oder Funktionären in Ministerien. Onlineaktivisten tragen die | |
Ergebnisse der Debatten, die im Netz geführt werden, dorthin. Dabei erleben | |
sie, wie Entscheidungen trotz besseren Wissens getroffen werden. Hier | |
entsteht Frustration! | |
## Transparenzmaschine Netz | |
Das Netz ist eine Transparenzmaschine. Die abgeschottete parlamentarische | |
Demokratie wird durchsichtig, wo Bürger bei öffentlichen Ausschusssitzungen | |
präsent sind, das Geschehen kommentieren und im Netz sichtbar machen. Wie | |
sehr Politiker diese Öffentlichkeit fürchten, erfuhr die Partei Die Linke | |
vor einigen Tagen, als die Bundesregierung ihre Antwort auf eine Kleine | |
Anfrage zur Verschlusssache erklärte. Als Begründung diente das "[...] | |
veränderte Nutzerverhalten bezüglich öffentlich zugänglicher | |
Publikationsmedien, wie dem Internet [...]". | |
Der Druck auf Politiker wächst. Sie müssen erklären, warum sie | |
Entscheidungen treffen, die sie selbst für falsch hielten. Oft genug wollen | |
oder können sie es nicht - hier entsteht Frustration! Durch die Analyse der | |
im Netz befindlichen Informationen wird offenbar, dass einige Politiker | |
ihre Zeit weniger in Sitzungen als bei bezahlten Vorträgen und | |
Veranstaltungen der Wirtschaft verbringen. Sie können sich nicht mehr | |
hinter ihren Doktortiteln verstecken, auch hier funktionieren die Werkzeuge | |
des Internets besser als jeder Untersuchungsausschuss. Die Menschen fühlen | |
sich von den gewählten Volksvertreten belogen und hintergangen - hier | |
entsteht Frustration! | |
Der versierte Umgang mit den digitalen Werkzeugen ist eine | |
"Privilegiertenveranstaltung". Der versierte Umgang mit digitalen | |
Werkzeugen braucht Wissen, Zeit und eine technische Infrastruktur - man | |
muss es sich leisten können. Die, für deren Rechte in der parlamentarischen | |
Demokratie kaum einer kämpft, haben es auch im Digitalen schwerer. Wir | |
haben die Verantwortung, sie in unsere Netzwerke hineinzuholen, unsere | |
Knoten bewusst so zu knüpfen, dass die, deren Stimmen leise sind, nicht | |
auch hier durch die Maschen fallen. | |
Wie machtvoll das Netz als politisches Werkzeug sein kann, hat die | |
Tunesische Revolution bewiesen. Wie die Bloggerin Line Ben Mhenni in ihrem | |
Buch "Vernetzt euch!" beschreibt, waren es die Onlineaktivisten, die das | |
sichbar gemacht haben, was von allen Medien totgeschwiegen wurde. Trotz | |
massiver staatlicher Zensur haben sie gezeigt, was auf den Straßen und | |
Plätzen passierte: die Willkür der Polizei, die Lügen des Präsidenten Ben | |
Ali, aber auch den Mut und die Entschlossenheit, die in der Bevölkerung | |
wuchs, dies nicht länger hinzunehmen. Sie haben für viele Menschen sichtbar | |
gemacht, was nur wenige Jahre zuvor beim Kampf der Bergbauarbeiter in Gafsa | |
fast im Verborgenen geschah und so zu seinem Scheitern führte. | |
Das Unterdrückte, das Verborgene sichbar zu machen, um eine Demokratie auf | |
Augenhöhe zu ermöglichen, das ist das Potenzial digitaler Werkzeuge. Nicht | |
aus dem Glauben heraus, dass Politiker grundsätzlich gegen Bürger und für | |
wirtschaftliche Lobbyverbände und die eigene Tasche arbeiten, sollten wir | |
für die Freiheit im digitalen Raum kämpfen. Sondern weil wir damit selbst | |
unsere Ideale und Visionen einer besseren Gesellschaft für alle | |
verwirklichen können. | |
13 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Franziska Heine | |
## TAGS | |
Internet | |
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