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# taz.de -- Doktorsterben statt verdummte Gesellschaft: Hölle, Hölle, Hölle
> Das Doktorensterben hält an und unsere Autorin freut sich über jeden
> erlegten Rosstäuscher. Denn diese Kriminellen sind nicht sympathisch,
> sondern Spießer.
Bild: Jorgo Chatzimarkakis und Co: Glattgegelten TrittbrettfahrerInnen, die sic…
Und wieder hat's einen weggekegelt: Der liberale Europapolitiker Jorgo
Chatzimarkakis muss seinen Doktortitel wegen aufgefallener Abschreiberei
abgeben. Prima! Warum aber freut mich das eigentlich, wenn
wissenschaftsuninteressierte Schnösel ihrer Titeleien verlustig gehen? Das
muss ich mich schon fragen lassen: Was habe ich mit so einem FDP-Fuzzi
gemein? Den Doktoruntertitel, lautet die formale Antwort.
Doch im Gegensatz zu Chatzimarkakis, Guttenberg etc. bin ich durch die
Doktorhölle gestapft, jahrelang hab ich um Ideen und Sätze gekämpft, hab
die "Krise des Mannes" ergründet und dabei jedem einzelnen meiner
Selbstzweifel die Aufwartung gemacht. Und zwar nicht nur einmal. Während
andere mit jungscher Energie ihre Pflöcke auf dem Arbeitsmarkt einschlugen,
also in meinen besten Jahren, hockte ich in staubigen Bibliotheken.
Ok, nein in Bibliotheken saß ich nie, die habe ich immer gehasst, ich
schimmelte einfach in meinem ungewaschenen Zuhause vor mich hin. Es war die
Hölle. Folglich gefällt es mir, wenn so lausig leidensunwillige
Opportunisten auf ihre Plätze verwiesen werden. Ich meine, wenn jeder Idiot
einen Doktortitel hat...
"Du Bildungsbürgerin!" Ich hör sie, die Rufe. Klar, zumal unter Linken wird
solch akademisches Schmuckwerk ja traditionell als dünkelhaft angezweifelt.
## Blitzkarrieren
Aber Freunde, Gemach: Es geht auch, aber nicht nur um Eitelkeiten. Es geht
auch um Freiräume, Ideen zu entwickeln. Und das braucht Zeit. Nun hat es
sich unsere Leistungsgesellschaft zur Lieblingsaufgabe gemacht, Menschen
unter Zeitdruck zu setzen. Sturköpfig gesteht sie ihnen eben nicht zu, dass
sie selbst lesen, selbst nachdenken, selbst analysieren und dann auch noch
selbst schreiben. Unsere Copy-Paste-Doktoren sind kein Zufall. Sie sind
Symptom und in ihrer Massierung werden sie zu einem Problem für uns alle -
auch außerhalb der Uni. Denn sie täuschen Blitzkarrieren vor, die alle, die
sich tatsächlich qualifizieren möchten, als Träumer an die Wand drängen.
Dank der digitalen Überprüfungsmethoden, die in den Unis jetzt zunehmend im
Einsatz sind, klappt das nicht mehr so leicht wie noch vor ein paar Jahren.
Jetzt muss man einwenden, dass das eigentliche Problem ja nicht die
glattgegelten TrittbrettfahrerInnen à la Guttenberg und Chatzimarkakis
sind, sondern ja wohl vor allem die Tatsache, dass Dissertationen von
niemandem gelesen werden. Und diese Textproduktion für den Papierkorb ist
wirklich ein Unding. Auch jetzt sorgen ja vor allem Computerprogramme für
mehr Echtheit unter den Promovierenden, nicht etwa LeserInnen, die sich
über das Geschreibsel wundern und die AutorIn zur Rede stellten.
Selbst das gutachtende wissenschaftlichen Personal überfliegt die
Doktorarbeiten häufig nur. Der Zeitmangel an den Unis, die krasse
Überbelastung der Lehrenden und die Verachtung der Studierenden - allzu oft
erlaubt all das keine nähere Beschäftigung mit den Thesen des Nachwuchses.
Hinzukommt das riesige und bis heute gepflegte Missverständnis in den
Wissen- zumal den Geisteswissenschaften, dass schlechte Schreibe, dass
Unverständlichkeit und Öffentlichkeitsscheue - "Ich mach das vor allem für
mich...!" Ausdruck von komplexen Gedanken ist. Uaahh! Doch noch ein
bisschen schwerer als dieser ehrgeizlose Selbstbetrug des Akademikervolks
wiegt die allgemein unterschätzte Abschaffung der Universität als
Denkfabrik.
Wer diese Institution zugunsten einer ausgeweiteten Oberstufe (Bachelor)
abschafft, wer der Lehre kein Geld gibt, der verhindert Studierende und
produziert Kopisten. Dass die sich in auffälliger Dichte in der FDP finden,
dürfte mit dem allgemein erbarmungswürdigen intellektuellen Zustand dieser
Partei zusammenhängen. Gleich und gleich gesellt sich gern.
Nun ist manchem ja die von den Titelräubern entwickelte kriminelle Energie
sympathisch. Doch in diesem Fall eröffnet die Regelverletzung gar nichts,
sie schließt Möglichkeitsräume. Sie ist spießig bis zum Anschlag, denn es
geht ja nur ums Ranschleimen an etwas, was man in der Sache überhaupt nicht
respektiert: Wissen.
Also bleibt es dabei: Wer zackige Abschreiberlinge hofiert, der will die
verdummte Gesellschaft. Und das bedeutet Hölle auf Lebenszeit.
14 Jul 2011
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