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# taz.de -- Reportage-Buch über Tour de France: Offener Vollzug
> In "Die Strafgefangenen der Landstraße" berichtet Albert Londres über die
> Tour de France 1924. Ein Rückblick auf die Vorgeschichte des Dopings beim
> Radsport.
Bild: Gangschaltung? Nur für Weicheier!
Die Tour der Neuzeit ist ein Witz. Verglichen mit den Strapazen, die auf
die Pedaleure in den 20er Jahren zukamen. Die stellten sich um ein Uhr in
der Nacht am Start auf, fuhren auf Rädern ohne Gangschaltung in die
Dunkelheit hinein. Platte Reifen mussten selbst geflickt werden. So etwas
wie Teamfahrzeuge gab es nicht. Asphaltstraßen waren ein Luxus. Meist
mussten diese echten Helden der Landstraße Staub fressen. Die Etappen
konnten schon mal 400 Kilometer lang sein.
Die 15 Abschnitte der Frankreich-Rundfahrt im Jahre 1924 waren im
Durchschnitt 361,6 Kilometer lang. Das heißt: Die Tour-Fahrer waren nicht
selten 22 Stunden am Stück unterwegs, gegen die Karenzzeit und den eigenen
Schweinhund anstrampelnd. Man möchte nicht wissen, mit welch geschundenen
Sitzmuskeln und zermarterten Knochen die Radler im Ziel ankamen. Dabei
fuhren sie oft nur für den persönlichen Ruhm. Ein paar Stars wie die Brüder
Pélissier oder Ottavio Bottecchia verdienten ein bisschen Geld, aber
verglichen mit dem Raubbau an ihrem Körper, den sie zuließen, waren das nur
Almosen.
Albert Londres lässt die Zeit der frühen Tour-Torturen noch einmal
auferstehen: "Die Strafgefangenen der Landstraße" heißt der
Reportagen-Sammelband, den der Cavadonga Verlag vorgelegt hat - ein
treffender Titel für diese unvergleichliche Plackerei. Londres wurde vom Le
Petit Parisien zur Tour des Jahres 1924 geschickt. Er galt als Starreporter
und so tritt er auch auf - wie ein schreibender Junker, der das
Hochleistungsproletariat besucht. Londres lässt sich im Automobil
chauffieren. Er meint, sich am Buffet der Fahrer bedienen zu dürfen.
"Mistkerl", "Neureicher", "Idiotenbande" rufen sie ihm nach.
Londres, und das ist ein bisschen schade, macht sich nicht klein genug für
eine gute Reportage. Die Edelfeder steht zu sehr über den Dingen. Er ist zu
selbstgefällig und verliebt in die eigenen Spitzfindigkeiten - Bottecchia
taucht immer wieder mit seiner "windschnittigen" Nase auf. Recht nachlässig
beschreibt er die unsäglichen Qualen, urteilt vorschnell über vermeintliche
Gierschlunde, die zu viel Geld verlangten, und ist fast schon belustigt,
wenn ein paar von den armen Teufeln auf zwei Rädern von den
Siebengescheiten auf vier Rädern überrollt werden. Hey, aufstehen, Jungs,
weiter gehts! Ist das nicht ein Höllenspektakel!
## 1924 keimte wohl der Dopingvirus im Peloton
Dennoch liefert Londres tiefe Einblicke in eine Tour, die von Menschen
Unmenschliches verlangte. In dieser Zeit keimte wohl der Virus, der sich
unter dem Namen Doping im Peloton breitmachte. Die Fahrer suchten nach
Mitteln, die ihnen das Radfahren irgendwie erleichterten. Die Brüder
Pélissier, die die Tour 1924 unter Protest vorzeitig beendeten, weil sie
mit zwei Trikots übereinander starten wollten, der Renndirektor Henri
Desgrange das aber nicht zulassen wollte, beichten Londres Doping. Hier ist
der Herr aus Paris endlich jener rasende Reporter, der seiner Beute mit
untrüglichem Instinkt hinterherhechelt.
"Sie haben keine Vorstellung davon, was die Tour ist", sagt ihm Henri
Pélissier, "sie ist ein Leidensweg. Dabei besteht der Kreuzweg nur aus 14
Stationen, der unsere aber hat 15. Wir leiden vom ersten bis zum letzten
Tag. Wollen Sie einmal sehen, womit wir fahren?" Dann zeigen sie ihm den
"Verpflegungsbeutel" mit "Kokain für die Augen" und "Chloroform für das
Zahnfleisch". Pillen sind auch dabei. Drei Schachteln. Ein Kamerad der
Pélissiers bringt es auf den Punkt: "Wir fahren mit Dynamit."
Mit den Jahren hat sich die Sprengkraft von diesem Zeug verbessert. Über
die Beschleunigungsmöglichkeiten von Epo, Insulin oder Kortison hätten die
Pélissier-Brüder nur gestaunt.
20 Jul 2011
## AUTOREN
Markus Völker
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