# taz.de -- Kleine Wortkunde: Ein Tod überschattet den anderen | |
> Über Amy Winehouse schrieben Journalisten gerne, ihr Leben sei | |
> überschattet gewesen von Alkohol und Drogen. Eine Floskel, die der | |
> Überhöhung menschlicher Schicksale dient. | |
Bild: Mit dem Schatten ist es wie mit dem Regen: Der kann bekanntlich nähren, … | |
BERLIN taz | An brütend heißen Sommertagen - wir erinnern uns dunkel - geht | |
doch nichts über ein schattiges Plätzchen. Überschattet von Bäumen, | |
Sonnenschirmen oder Gebäuden lässt es sich bestens aushalten. Die | |
Horrorvorstellung an einem solchen Tag ist es, wenn weit und breit kein | |
Sonnenschutz in Sicht ist, nur glühender Asphalt, Wüste. | |
Die bei Journalisten so beliebte Floskel zur Überhöhung menschlicher | |
Schicksale meint allerdings die Art von Schatten, die niemand sucht. Eine | |
dunkle Wolke, die, wie magnetisch angezogen, über einem Pechvogel hängt, an | |
ihm klebt. "Why Does It Always Rain On Me?" von Travis heißt das Klagelied | |
dazu. | |
Mit dem Schatten ist es wie mit dem Regen: Der kann bekanntlich nähren, | |
aber auch ertränken und ist damit so ambivalent wie das Leben. | |
Über die am Samstag gestorbene Soulsängerin Amy Winehouse hieß es in | |
Nachrufen immer wieder, ihre Karriere, ach was, ihr ganzes Leben sei | |
überschattet gewesen von Alkohol- und Drogenproblemen. Eine merkwürdige | |
Vorstellung: Eine Suchtveranlagung als äußerer Einfluss, der auf das Leben | |
der Künstlerin eingewirkt hat. Auf der einen Seite ihre Karriere, eine | |
super Sache - wenn da nicht dieser verteufelte Drogenschatten gewesen wäre. | |
## Tod als Berufsrisiko | |
Ohne hier in Künstlerkitsch verfallen zu wollen: Der in den Nachrufen | |
ebenso unvermeidliche Hinweis auf den "Club 27", also die ganzen Künstler, | |
die "viiiel zu jung" gestorben sind - Joplin, Hendrix, Cobain -, negiert | |
das Bild vom Schatten, verweist vielmehr darauf, dass Kreativität und | |
Selbstzerstörung Hand in Hand gehen. Ohne Leid - kleine Komplexe wie große | |
Dramen - keine Kunst (oder zumindest keine relevante). Darüber hat schon | |
Goethe Bücher geschrieben. | |
Wer nun um Amy Winehouse und all ihre ungeschriebenen Songs weint, sollte | |
darüber nicht vergessen, dass das eine nicht ohne das andere denkbar ist, | |
beides einander bedingt. So zynisch das klingt: Ihr Tod war Berufsrisiko, | |
kein Schatten auf ihrem Werk, sondern dessen Vollendung. | |
Es ist die tragische Pointe eines tragischen Lebens, dass sogar Amy | |
Winehouse Tod überschattet wurde - von über 90 Toten in Oslo und Utöya. | |
25 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
David Denk | |
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