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# taz.de -- Autonome Nationalisten in Deutschland: Statt Politik gibt's Action
> Nach Oslo hat Innenminister Friedrichs vor den Autonomen Nationalisten
> gewarnt. Sie seien gewaltbereit und radikal. Aber wer sind sie? Eine
> Bestandsaufnahme.
Bild: Kaum noch vom linken Schwarzen Block zu unterscheiden: Autonome Nationali…
Sie tragen legere dunkle Kleidung, sprühen farbige Graffitis wie
"Capitalism kills", skandieren laut "Fight the system" und sind offen
militant. "Ich dachte, da geht vieles", sagt Anna, die die Autonomen
Nationalisten (AN) verlassen hat.
Und selbst Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) warnte nach dem
Attentat in Norwegen vor den rechtsextremen Autonomen Nationalen wegen
ihrer erklärten Gewaltbereitschaft. Eine Warnung, die den ANs gefallen
haben dürfte, denn es befeuert ihren Mythos.
Jüngste Aktion: In der Nacht zu Freitag griffen in Dortmund fünf
AN-Anhänger Antifaschisten auf der Straße an. Mit einem VW-Kleinbus fuhren
sie an der Gruppe erst vorbei. Als sie einen aus der Gruppe erkannten,
bremsten sie, vermummten sich mit Sturmmasken und griffen mit
Baseballschlägern, Steinen, Flaschen, Pfefferspray und mindestens einem
Messer an.
"Jetzt bist du dran, ich stech dich ab!", soll einer gesagt haben, erinnert
sich ein Angegriffener. "Der Bus dient den Autonomen Nationalisten des
'Nationalen Widerstands Dortmund' regelmäßig als Lautsprecherwagen", weiß
Hannah Phiel, Pressesprecherin des Dortmunder Antifa-Bündnisses. Gezielt
wüden die ANs die gewalttätige Auseinandersetzung suchen. "So ist auch die
Bewaffnung zu verstehen", betont Phiel.
## Dortmund als AN-Hochburg
Seit Jahren gilt Dortmund als eine Hochburg der AN. Im Stadtteil Dorsfeld
ist die Gruppe um Dennis Giemsch getreu ihres "Do it yourself-Prinzips" in
der eher linksautonomen und alternativen Hardcore-Musikszene aktiv.
Aufkleber zur Reviermarkierung werden regelmäßig verklebt, Flugblätter
verteilt, Rechtsrockkonzerte ausgerichtet, Veranstaltungen von Gegnern
gestört, Steckbriefe von politischen Feinden veröffentlicht, alternative
Gaststätten angegriffen.
"Ich war öfters in Dortmund, dieses Auftreten und Handeln jenseits der
traditionellen rechten Vorstellungen gefiel mir", sagt Anna, die mit 13 in
die Szene kam. Mit dem Kopieren von Aktionsformen und Styles der linken
Autonomen, so Jan Schedler und Alexander Häusler in der von ihnen
herausgegebenen Studie "Autonome Nationalisten – Neonazismus in Bewegung",
wurden gewisse Zwänge der neonazistischen Szene aufgebrochen. "Nicht das
Erscheinungsbild des Einzelnen, sei bedeutend, sondern alleine dessen
politische Gesinnung", sagt Schedler.
Die "Linken" und das "BRD-System" gelten der AN-Szene bundesweit als die
echten Feinde. Menschen mit Immigrationshintergrund lauern sie weniger auf.
In vielen Statements auf den Websites der AN, die sich auch als
"Aktionsgruppen" bezeichnen, wird betont, "der gewaltfreie, friedliche
Kampf hat fast 60 Jahre stattgefunden, und wir haben nichts erreicht". Auf
T-Shirts wird nicht nur zum Posen gerne der Slogan "Support your local
Anti-Antifa" getragen.
Das Bundesinnenministerium hat nun festgestellt, dass die
Gewaltbereitschaft und die Gewalttätigkeiten des neonazistischen Milieus
zugenommen hätten. Doch sie gehen nicht alleine von den ANs aus, die nur
etwa 1.000 Anhänger haben.
## Gewalt kommt aus der gesamten Neonazi-Szene
Aus der gesamten Szene von NPD über Freie Kameradschaften bis AN werden
Straf- und Gewalttaten verübt. Seit 1990 starben 137 Menschen durch
rechtsextremistische Gewalttäter. Nicht alle Angriffe werden öffentlich
wahrgenommen. Doch einige machten bundesweit Schlagzeilen: Im
mecklenburg-vorpommerischen Pölchow greifen 2007 NPDler im Zug Jugendliche
an, die zu einer Demonstration gegen einen NPD-Marsch wollten.
2008 gab es in Leipzig einen Brandanschlag von Rechten auf die Räume des
"Vereins für Kultur und Kommunikation". 2009 wurden im
baden-württembergischen Weil am Rhein genügend Material für eine fünf
Kilogramm schwere Bombe bei dem Stützpunktleiter der NPD-Jugendorganisation
"Junge Nationaldemokraten" entdeckt. 2010 wurden in Magdeburg drei
Studenten von vier Neonazis brutal zusammengeschlagen, und 2011 griffen im
schleswig-holsteinischen Husum Neonazis, unter ihnen der
NPD-Landvorsitzende, die 1-Mai-Kungebung des DGB an.
In den vergangenen Wochen haben es Rechtsextremisten in
Mecklenburg-Vorpommern vermehrt auf Jugendliche und Büros der
demokratischen Parteien abgesehen. "Seit Januar 2010 sind über 70 mal
zielgerichtet Parteieinrichtungen und Wohnhäuser von Politikern attackiert
worden", sagt Kay Bolick von Lobbi von der landesweiten Opferberatung in
Mecklenburg-Vorpommern. Und er betont: "Die Reaktionen aus der
Zivilgesellschaft auf die Anschlagsserie sind gering".
In Hamburg schlugen Neonazis beim 1. Mai-Marsch 2008, den NPD- und
Kameradschaftskader verantworteten, auf Gegendemonstranten, Journalisten
und Polizisten ein. Schnell wurde die angereisten AN als "die" Täter von
der Polizei und den Medien ausgemacht. Eine "neue Qualität der Gewalt"
stellte die Polizei fest. Ein neues Phänomen wurde von den Medien entdeckt.
In der Szene selbst feierten sie das neue Interesse an ihren Taten als
"Wendepunkt" – bis heute.
Doch an dem Tag schlugen auch altgediente Neonazis aus den Kameradschaften
zu. Einen der Angriffe löste das damalige NPD-Bundesvorstandsmitglied und
der heutige Hamburger-Landesvize Thomas Wulff aus, in dem er über das
Megaphon namentlich auf einen Journalisten hinwies. "Berufsrisiko",
kommentierte der Kameradschaftskader Christian Worch die Übergriffe auf
Journalisten. Aber weder die Gewalt bei Märschen, noch die ANs waren damals
neu.
## Bei den linken Autonomen abgeguckt
Schon 2003 trugen bei einen NPD-Marsch zum 1. Mai in Berlin Neonazis ein
Transparent: "Organisiert den nationalen schwarzen Block – Wehrt euch,
schlagt zurück – Unterstützt die örtliche Anti-Antifa-Arbeit – Autonome
Nationalisten Berlin". Aus dem Spektrum der Freien Kameradschaften
entwickelten sich die AN. Ihre Zeichen: dunkle Kleidung, Pierciengs,
schwarze Blöcke und spontane Aktionen. Das ist ebenfalls nicht neu. Linke
Styles und autonome Aktionsformen kopierten Neonazis nach 1945 schon
desöfteren.
Doch die AN sind eine relativ junge Ausdifferenzierung aus der
Kameradschaftsszene, eine Subform jugendkulturell orientierten Neonazismus,
betont Schedler. Worch, der mit Wulff, einer der Vordenker des
Organisationsmodells der Kameradschaften ist, gibt zu, selbst bei den
Linken abgeguckt zu haben. Nach Verboten von neonazistischen
Kleinstparteien und Vereinen Anfang der 1990er Jahre überlegte er, warum
"bei der radikalen Linken und Antifa Verbote ohnehin nicht greifen".
In "Gedanken über freien und autonomen Nationalismus" betont er 2005: "Von
den Linken zu lernen, erschien höchst sinnvoll". Nicht uneitel führt er
aus, Ende 1992 Anfang 1993, habe er das Konzept der Kameradschaften als
strukturelle Organisation ohne formale Organisation entwickelt und auch
schon an der Selbstbezeichnung "autonome Rechte" oder "rechte Autonome"
gedacht. Seine Szene wäre aber mit dem Konzept der Kameradschaften
anfänglich schon fast überfordert gewesen.
"Die Rechte möchte feste Strukturen; sie möchte im
traditionell-historischen Sinne am liebsten ihre Zusammengehörigkeit nach
außen hin durch uniformes Auftreten ausdrücken (...) Von einer solchen
jahrzehntelangen und eingeschliffenen Gewohnheit muß man erst einmal
herunterkommen. Daß man sich zugehörig fühlen kann, ohne einen
Mitgliedsausweis oder ein Parteibuch in der Tasche zu haben, war ein
geradezu revolutionärer Gedanke; vielen erschien er hart an der Grenze zu
völliger Auflösung, zu Anarchie" schreibt Worch.
## NS-Hardcore ermöglichte Öffnung
Der Wandel im Rechtsrock, so die Experten Martin Langebach und Jan Raabe in
der Studie zu den ANs, ermöglichte diese Öffnung mit. "Im Gefolge des
NS-Hardcore", schreiben sie, war erst das Aufkommen der ANs in Berlin und
im Ruhrgebiet 2003 möglich. Anna, die beim Ausstieg 21 Jahre alt war, sagt,
dass sie dieses ineinander gehen von Politik, Action und Privatem
faszinierte.
Diese Szene kommt kaum ohne Selbstinszenierung aus, betont Schedler. Ohne
Web 2.0, mit dem sie im Internet ihre Aktionen - und sei es bloß ein kurzes
Flugblattverteilen - inszeniert, wäre ihre gewachsene Ausstrahlung
geringer. Die ANs sind sehr erlebnisorientiert, sagt Schedler. Die gesuchte
Konfrontation gehört zur spezifischen Erlebniswelt der AN. Eine Militanz,
die den NPD-Bemühungen bürgerlicher zu werden und damit höhere Wahlerfolge
zu erzielen, zuwiderläuft.
Dass Rechte wie "linke Bürgerschrecks" aussehen und auftreten missfällt.
Die NPD-Führung um Udo Voigt hält sich nach anfänglicher Kritik am braunen
schwarzen Block aber zurück. Am 25. März 2011 betont Peter Schreiber,
parlamentarischer Berater der sächsischen NPD-Fraktion in einer internen
Mail jedoch, das bei Demonstrationen die "unbrauchbaren Truppenteile
subkulturellen Zuschnitts" abgewickelt oder ausgesondert werden müssten.
Übertriebene Militanz und zu viele Übernahmen linker Verhaltensmuster
werden aber auch bei den ANs mittlerweile diskutiert. Bewegen sie sich doch
auch im Widerspruch von autonomen Aktionsformen und
national-sozialistischen Grundpositionen.
## "Die Leute sind unpolitischer"
Die ANs haben trotz der stylischen Pop-Ups auf den Webseiten und der
radikalen Rhetorik auf den Straßen keine eigenständige Ideologie
entwickelt, sagt Fabian Virchow. Mit ihrem biologistischen Menschenbild und
nationalistischen Volksgemeinschaftsverständnis reproduzieren sie einen
traditionellen völkischen Nationalismus, betont der Experte in der Studie
zu den "Autononomen Nationalisten". Action und Lifestyle, da sind sich alle
Autoren der Studie einig, mache die Attraktivität der AN aus – nicht die
Ideologie.
Wulff selbst muss einräumen, dass "die Leute" heute wesentlich
unpolitischer" in die Szene kommen. "Die sind fast unpolitisch", betont der
NPD- und Kameradschaftskader. Auch Anna merkte, dass da viel von Familie
und Antiamerikanismus geredet wurde, aber im Alltag der AN haben Kinder
kein Platz und zu Mc-Donalds würde man auch gehen. Die öffentliche
Inszenierung der AN, sagt Schedler, ist ein Ausdruck der inneren
Widersprüche von Individualisierungsbestrebungen und faschistischen
Vergemeinschaftsangeboten.
Aus der AN-Szene selbst wird auch schon eine "Rückbesinnung auf alte Werte
und Traditionen" gefordert. Das Label "AN" ist mittlerweile rückläufig,
beobachten Schedler und Häusler. "Vieles geht einfach nicht zusammen", sagt
Anna. "Die machen sich was vor, politisch sind die nicht anders als die
anderen. Naja, ich machte mir ja auch lange was vor". Und der militante
Aktionismus werde ohnehin längt von den vielen Kameradschaften forciert.
31 Jul 2011
## AUTOREN
Andreas Speit
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