# taz.de -- Medienwissenschaftlerin über Islamophobie: "Die Ökonomie entschei… | |
> Gegen Rassismus hilft Wissen, zumal über wirtschaftliche Zusammenhänge, | |
> sagt Medienwissenschaftlerin Sabine Schiffer. Sie kritisiert auch die | |
> seriösen Medien für deren Islam-Darstellung. | |
Bild: "In Norwegen scheint auf der politischen Ebene tatsächlich ein Nachdenke… | |
Frau Schiffer, Sie kritisieren scharf die Islamophobie auch in den seriösen | |
deutschen Zeitungen und Magazinen. Woran machen Sie das fest? | |
Sabine Schiffer: Es geht um die stereotype Verknüpfung von Islam und | |
Gewalt, Islam und Terror, Islam und Rückschritt. | |
Alles Phänomene, die sich in der muslimischen Welt finden. | |
Natürlich. Das muss man auch kritisieren. Aber Terror und Gewalt oder auch | |
Frauenfeindlichkeit sind keine muslimischen Phänomene, sondern ein | |
weltweites Problem. | |
Das Problem ist also die Verallgemeinerung? | |
Genau. Es ist die automatisierte Verknüpfung von Kopftuch, Islam, Terror. | |
Und die hat zugenommen? | |
Nur der Grad an Explizitheit der Muslimenfeindlichkeit hat zugenommen. | |
Was halten Sie von der Diskussion um die Frage, ob auch die bürgerliche | |
Mitte dazu beigetragen hat, ein angenehmes Klima für Rassisten wie Anders | |
Behring Breivik zu schaffen? | |
Ich finde diese Diskussion sehr ermutigend. Mit Ausnahme der Welt scheint | |
sich hier etwas zu bewegen. | |
Warum nennen Sie die Welt? | |
Das Blatt ist führend in Sachen Islamfeindlichkeit und dem damit | |
verbundenen neokonservativen Denken. Denken Sie nur an Texte von Mathias | |
Döpfner, Andrea Seibel oder Leon de Winter. Hinter der vordergründigen | |
Unterscheidung: Wir kritisieren nicht den Islam, sondern nur den Islamismus | |
findet sich stets die Botschaft vom Muslim an sich als potenzielle Gefahr | |
für das Abendland. Der 11. September wird als Kriegserklärung an "uns" | |
gewertet, so dass nur mehr die Frage bleibe, ob wir den Kampf annehmen oder | |
nicht, und wenn wir das nicht tun, ob es "uns" dann morgen noch geben wird. | |
Das könnte fast aus der Feder des Terroristen stammen. | |
Das ist jetzt aber steil. Sie sehen eine geistiges Band zwischen Edelfedern | |
der Welt und einem Massenmörder? | |
Ich will das nicht gleichsetzen, nein. Aber das Manifest, das Anders | |
Behring Breivik zugeschrieben wird, ist ja im Wesentlichen eine | |
Copy-und-Paste-Zusammenstellung. Und es gibt einen gemeinsamen Tenor im | |
Sinne von "Der Endkampf hat begonnen". Im Selbstverständnis des Terroristen | |
vollbringt er die Tat, von der andere nur träumen. Er fühlt sich durch eine | |
muslimenfeindliche Rhetorik mit seinem Hass ins Recht gesetzt. Alles, was | |
diese Extremisten behaupten, belegen sie mit Beispielen aus diversen | |
Medien. | |
In Norwegen wird die kollektive Blindheit gegenüber Terroristen, die im | |
Namen der eigenen Nation und des Christentums morden, jetzt stark | |
kritisiert. | |
In Norwegen scheint auf der politischen Ebene tatsächlich ein Nachdenken | |
über Rechtspopulismus einzusetzen. Bei uns werden nur die alten Schubladen | |
rausgezogen und der Schrei nach mehr Überwachung wird lauter. Aber immerhin | |
hat jetzt auch unser Innenminister den Rechtextremismus entdeckt. | |
Viele sagen, dass Anders Behring Breivik nicht als Neonazi zu bezeichnen | |
ist, da seinem Rassismus jede judenfeindliche Ausrichtung fehlt. | |
Dieses Schema funktioniert so nicht mehr. Es gibt heute einen | |
Rechtspopulismus, der sich in vermeintlicher Solidarität mit Israel gegen | |
die Muslime im Allgemeinen richtet und ansonsten alle Elemente des | |
Rechtsradikalismus aufweist. | |
Was müsste passieren, damit sich die bürgerliche Mitte von islamfeindlichem | |
Gedankengut distanzieren kann - ohne ihre Kritikfähigkeit einzubüßen? | |
Auf keinen Fall kommt man dem breit angelegten Ressentiment gegen Muslime | |
bei, indem man jetzt lauter schöne Geschichten aus der islamischen Welt | |
erzählt, alles schönredet. Wichtig ist, dass wir merken, wenn berechtigte | |
Kritik instrumentalisiert wird, um eine Bevölkerungsgruppe zu diffamieren. | |
Das ist nämlich genau der Punkt, der Kritik von Rassismus unterscheidet. | |
Was heißt das konkret? | |
Wir sollten aus der Antisemitismusforschung lernen. Ein grundlegendes | |
Element von Rassismus ist die feste Zuweisung von Charaktereigenschaften an | |
eine bestimmte Bevölkerungsgruppe. Der Jude ist …, der Muslim ist … | |
Auffälligerweise hat in der Berichterstattung über den "arabischen | |
Frühling" die Kategorie Muslim kaum eine Rolle gespielt. Ist das ein | |
Anfang, um aus der Stereotypisierung auszusteigen? | |
Stimmt. Trotzdem sehe ich hier eine Gefahr. Denn man neigt bei uns dazu, | |
Islamwissenschaftler einzuladen, wenn es um die Revolutionen in Tunesien | |
oder in Ägypten geht. Ich würde Wirtschaftswissenschaftler einladen. Denn | |
die Ökonomie wird darüber entscheiden, ob die Demokratisierung weitergeht | |
oder nicht. Zum Beispiel ist es wichtiges Thema, dass Ägypten jüngst einen | |
IWF-Kredit abgelehnt hat. Aber niemand spricht darüber, weil wir so daran | |
gewöhnt sind, die arabische Welt in religiösen Rahmungen wahrzunehmen. Und | |
diese "Frames" stehen schon bereit, wenn die Revolutionen den Bach | |
runtergehen. | |
Sie sehen schwarz? | |
Ja, aus wirtschaftlichen Gründen wird es schiefgehen. Die Situation in | |
Tunesien etwa ist schon ganz schlimm, aber das ist vollkommen aus unserem | |
Fokus gerutscht. Dabei wäre eine Berichterstattung etwa über | |
Einfuhrbeschränkungen der Europäischen Union dringend erforderlich. Unter | |
anderem die führen nämlich dazu, dass die Menschen in Tunesien keinen Job | |
finden. | |
Warum sehen Sie nur die negativen Entwicklungen? Wir diskutieren doch jetzt | |
über Muslimenfeindlichkeit. Warum ist das keine Chance? | |
Wegen der weltweiten Wirtschaftskrise. In Zeiten ökonomischer Instabilität | |
können Ressentiments richtig in die Höhe schießen. Und wir sind erst am | |
Anfang einer selbstkritischen Reflexion. Das ist noch nicht nachhaltig. Von | |
dem entscheidenden Schritt, dass wir uns nicht in Muslime und Nichtmuslime | |
spalten lassen, sondern gemeinsam gegen eine unmenschliche | |
Wirtschaftspolitik vorgehen, sind wir noch weit entfernt. | |
31 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Ines Kappert | |
## TAGS | |
Islamophobie | |
Kirchentag 2023 | |
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