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# taz.de -- Deutsch-polnisches Grenzgebiet: Geschwisterzank
> Die Diebstähle in Guben nehmen zu. Deshalb will der Bürgermeister der
> Kleinstadt im deutsch-polnischen Grenzgebiet wieder stichprobenartige
> Grenzkontrollen einführen.
Bild: Guben hat ein Problem: Seit der Grenzöffnung 2007 wird mehr geklaut als …
GUBEN taz | Eines Nachts schreckt Fleischermeister Thomas During vom Lärm
in seinem Haus aus dem Schlaf hoch. Einbrecher haben seine Haustür
eingetreten, um die sechs Fahrräder seines Sohnes mitzunehmen, die
zusätzlich an einem eingelassenen Haken an der Wand angekettet waren.
During kann die Täter sogar noch sehen, wie sie über die Brücke nach Gubin
rennen, dann sind sie verschwunden.
Er hat für sein Handwerk grazile Finger. "Seit 1800 noch was gibt es unsere
Fleischerei hier in der fünften Generation." Er hat viele polnische Kunden.
Mit weißen Gummistiefeln stapft er durch seine Fleischerei in die
Kühlräume, zeigt seine Räucherwürste und die Stelle, wo nachts die
Fahrraddiebe eindrangen. Als er sein Dach decken ließ, verschwand seine
haushohe Aluleiter.
Fleischer During alarmiert seine Bekannten vom Bundesgrenzschutz, die ihn
25 Minuten später zurückrufen: Seine Leiter liege zersägt in einem Anhänger
- wertvoll war hier vor allem das Aluminium. Metalldiebstahl. Einen
300-Kilo-Stahlträger hätten zwei mit Fahrrädern wegtransportiert, erzählt
During fast bewundernd. "Doppel-T, drei Meter lang!" Einmal stellt er einen
Dieb in dem Umkleideraum seiner Mitarbeiter, auch dieses Verfahren wird
eingestellt.
Die Diebstähle sind ärgerlich, doch During zeigt auch Verständnis: "Das
sind doch oft die ganz Armen, die mitnehmen, was sie kriegen können, oft
auch besoffen." Wenn er so erzählt, klingt das, als rede ein älterer Bruder
über den jüngeren. Mahnend, aber doch nachsichtig. Doch irgendwann überholt
der kleine Bruder den größeren. Während des Krisenjahrs 2009 ist die
polnische Wirtschaft als einzige in der EU gewachsen. Im Ranking der
wichtigsten Handelspartner Deutschlands hat Polen vor kurzem Russland
überholt.
Guben hat ein Problem, seit der Grenzöffnung 2007 wird mehr geklaut als
früher. Kurioserweise nimmt die Kriminalität ab. Gab es 2007 noch rund
28.500 Straftaten, sank die Zahl 2010 auf rund 22.400. Doch die Diebstähle
nehmen zu, von 9.900 auf 10.660, und Kfz-Diebstähle sogar von 178 auf 623 -
jeder hier kann von Fahrraddiebstählen, Regenrinnen- oder Metallträgerklau
berichten. Ein Zöllner wird in der Berliner Zeitung mit den Worten zitiert:
"Die klauen hier wie die Raben." Die, damit meint er die Nachbarn aus dem
polnischen Gubin auf der anderen Seite der Neiße.
## Arroganz in Brüssel
Der Gubener Bürgermeister Klaus-Dieter Hübner (FDP) hat deswegen
vorgeschlagen, zu stichprobenartigen Grenzkontrollen zurückzukehren. Davon
verspricht er sich vor allem eine "psychologische Wirkung". Seine Kollegen
aus Frankfurt (Oder) und Potsdam widersprachen umgehend und vehement. Auch
die Polizei lehnte ab. Ob sein Vorstoß, den er selbst einen "Hilfeschrei"
nennt, nicht dem deutsch-polnischen Freundschaftsgedanken widerspreche.
"Gerade weil wir Europastadt sind, brauchen wir das. Der Gedanke Europa
soll sich verfestigen, nicht das Misstrauen."
Stolz zählt Hübner die binationalen Errungenschaften der Stadt auf, wie
Kitas mit polnischen Kindern: "Es gibt kaum eine Stadt, die Integration so
lebt wie wir." Vor dem Hintergrund seines Vorschlags klingt das leicht
ironisch. Offen bleibt auch, wie Grenzkontrollen helfen sollen, wenn der
Anteil der nichtdeutschen Tatverdächtigen nur 13,6 Prozent beträgt, wie die
Brandenburger Polizei ermittelte. Sieht er Europa vor dem Zerfall? "Ich
hoffe es nicht. Ich beobachte mit Sorge, dass sich die Länder entgegen dem
ursprünglichen Ansatz doch auseinanderdifferenzieren." Brüssel entferne
sich zudem immer mehr von den Ländern. Hübner schnaubt: "Ich habe hier noch
nie einen EU-Abgeordneten gesehen - das ist politische Arroganz."
## Siebzig Friseure in Gubin
Vormittags in Guben. Viele Frauen tragen lila oder blaue Strähnen im Haar,
Tattoos an der Wade oder dem Oberarm, die Männer sind sportlich und braun
gebrannt. Ein Mann mit zugedecktem Fahrradanhänger fährt Richtung
Grenzbrücke, eine Regenrinne lugt hervor, kein Kupfer. Hinter ihm rollt ein
Mannschaftswagen der Bundespolizei.
"Perle der Niederlausitz" wird die 20.000-Einwohner-Stadt in Brandenburg
auch genannt. Seit 1991 ist die ehemals florierende Textilstadt zusammen
mit ihrem polnischen Pendant Europastadt - im Gegensatz zu vielen anderen
Grenzstädten liegt das historische Zentrum im polnischen Gubin, das ebenso
viele Einwohner zählt. Gleich hinter der Neißebrücke wirbt ein Schild mit
"Zigaretten, Alkohol, Friseur" - das sind, in dieser Reihenfolge, wohl auch
die beliebtesten Geschäfte, die auf der polnischen Seite der Stadt getätigt
werden. 70 Friseure soll es in Gubin geben. Umgekehrt überqueren die
Gubiner gern die Neiße, um Elektro- und Drogerieartikel auf deutscher Seite
einzukaufen. Ins Auge fällt, dass kaum Ausstellungswaren vor den Gubener
Geschäften stehen.
Die Polinnen Halina Zinow, 50, und Grazyna Nawara, 52, können sich noch
genau an den Tag erinnern, als sie ihre Modeboutique "Chic" aufgemacht
haben. Das war am 2. Mai 2008. Ein Geschäft mit Mode für ältere Frauen
fehlte in Guben. Zum Vorschlag des deutschen Bürgermeisters sagen sie, es
gebe schon genug Kontrollen, mehr brauche es nicht.
In der Gubener Polizeistation ist Einbruch das bestimmende Thema: "Schlauer
gegen Klauer", "Langfinger machen niemals Urlaub", "Schlechte Geschäfte für
Einbrecher" titeln die Broschüren direkt am Eingang. Ein Plakat erklärt,
wie man sein Fahrrad am besten vor Diebstahl schützt. Überall in der Stadt
sieht man Fahrradfahrer. Seit es den Oder-Neiße-Radweg gibt, kommen mehr
Touristen, sagt das Tourismusbüro.
Tobi, 18, Mike, Max und Franz, alle 17, sind froh, dass sie gleich neben
der Grenze zu Polen wohnen: "Da kriegt man alles, und die Zigaretten sind
billiger." Doch wenn sie rübergehen, dann ohne Fahrrad, Kette und Basecap:
"Das ziehen die ab - sagen, zeig mal deine Kette her, und nehmen sie mit."
Auf polnischer Seite führt Natalie, 15, ihren Hund Dexter spazieren, sie
mag Gubin, Guben aber noch mehr "wegen dem Shoppen".
## Gemeinsame Kläranlage
Anna Dziadek lacht, wenn sie solche Geschichten hört, nicht aus
Schadenfreude, sondern weil ihr Blick weiter reicht: "Ohne die Grenze
würden beide Städte verlieren." Die 37-jährige Polin, die in Posen studiert
hat, drei Jahre in Berlin lebte und jetzt für eine deutsche Stiftung
zusammen mit zwei polnischen Fördervereinen den Wiederaufbau der 700 Jahre
alten und zerbombten Stadt- und Hauptkirche in Gubin begleitet, zählt die
weitreichende deutsch-polnische Zusammenarbeit im Kulturellen und ganz
Konkreten auf, die weitaus prägender für die Eurostadt Guben-Gubin sei:
"Wenn wir Kulturevents wie Konzerte zusammen mit Guben machen, wollen wir
etwas für junge Menschen machen und die etwas für ältere."
Während Guben altert und schrumpft, mausert sich Gubin zum attraktiven
Zentrum. Es ist eine Gruppe von jungen Menschen um die 30, die rund um
Bürgermeister Bartlomiej Bartczak, 34, das politische und kulturelle Leben
in Gubin vorantreibt. Der ist zurzeit in Urlaub.
Man ergänze sich gut, sagt Dziadek. Es gebe eine deutsch-polnische
Kläranlage. Auch ihre Baustelle profitiert von der Grenzlage. So hat man
eine 48 Meter lange Betonpumpe aus Magdeburg organisiert, um damit den
deutschen Beton in das Fundament der Kirche zu gießen: "So etwas prägt das
Verhältnis doch viel mehr." Der Wiederaufbau wird mit 1,2 Millionen Euro
gefördert, und bis Juni 2012 soll der Hauptturm fertiggestellt sein, um als
deutsch-polnisches Begegnungszentrum zu fungieren. Zu den Plänen von
Bürgermeister Hübner sagt sie: "Er soll 200 Meter weiter denken."
Das bestätigt auch Janusz Gajda, 33. Er ist seit vier Jahren Direktor des
Kulturhauses und mag die EU vor allem wegen des Reisens: "Man kann sich
frei bewegen durch ganz Europa, von Polen bis Großbritannien oder Spanien.
Und in jedem Land gibt es dasselbe Zahlungsmittel." Typisch deutsch findet
er: "Wenig Spontaneität. Die planen Kulturveranstaltungen schon ein Jahr
vorher. Aber die Polen machen es oft zu kurzfristig."
Das nächste grenzüberschreitende Projekt ist ein deutsch-polnischer
Liedermacherwettbewerb. Zum Teil singen dort auch Liedermacher in
sorbischer Sprache. Am Ende des Jahres findet zum dritten Mal der
dichterische Wettbewerb "Poetisches Grenzland" statt. Gajda bietet auch
HipHop und Graffiti-Events für Jugendliche an. Er findet es schwierig, dass
kulturelle Veranstaltungen auf Gubener Seite zu teuer für die Gubiner sind
- 5 Euro sind viel Geld für die sehr viel einkommensschwächeren polnischen
Nachbarn.
Es ist Abend geworden in Guben-Gubin, die Brücke überquert niemand mehr,
die Fußgängerzone ist verlassen, und irgendwie klingen die Geschichten im
Nachhall wie ein Streit unter Geschwistern, bedeutend für den Moment,
belanglos für das Verhältnis. Geschwisterzank. Geschwisterliebe.
8 Aug 2011
## TAGS
Sachsen
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