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# taz.de -- Neue Medikamente: Zielgerichtete Krebstherapien
> Die Anforderungen an neue Krebsmedikamente steigen. Es wird mehr darauf
> geachtet, dass sie die Lebensqualität der Patienten nicht zu sehr
> beeinträchtigen.
Bild: Neue Wirkstoffe zielen auf spezielle Eigenschaften von Tumorzellen ab.
BERLIN taz | Die Angst vor einer Krebserkrankung war bis vor wenigen Jahren
immer auch die Angst vor drohenden Chemotherapien. Sie torpediert Zellen
wie eben in Tumoren, die sich schneller teilen als die meisten Zellen im
menschlichen Organismus. Dabei traf sie aber auch andere Zellen mit hoher
Teilungsgeschwindigkeit, etwa die in den Haarfollikeln. Im vergangenen
Jahrfünft hat sich in der Krebstherapie eine leise Revolution vollzogen.
Das Stichwort lautet: zielgerichtete Therapien.
Neue Wirkstoffe zielen auf viel speziellere Eigenschaften von Tumorzellen
ab. Sie berauben den Tumor jeweils einer seiner grundlegenden
Wachstumsbedingungen. Die Onkologie ist damit der am schnellsten wachsende
Sektor der Pharmaindustrie geworden.
Eierstockkrebs ist bei Frauen die fünfthäufigste Krebsart, er gilt als
besonders bösartig. Zu seinem Wachstum benötigt er eine Unzahl von
Blutgefäßen, denn er besteht aus bis zu dreihundert Einzelwucherungen.
Im Juni dieses Jahres fand in Chicago der weltweit bedeutendste
Krebskongress der American Society of Clinical Oncology (ASCO) statt. Auf
ihm wurde eine Studie der US-Studiengruppe GOG über ein neues Medikament
vorgestellt. Mit seiner Hilfe blieben Frauen mit fortgeschrittenem
Ovarialkarzinom nach erfolgter Operation 14,1 Monate progressionsfrei (d.
h., es gab kein Fortschreiten der Krankheit), fast vier Monate länger als
bei bisherigen Therapien. Über die Dauer ihres durchschnittlichen
Gesamtüberlebens lässt sich derzeit noch nichts sagen.
## Neue Medikamente sind nicht ohne Nebenwirkungen
Das Medikament ist ein sogenannter Angiogenesehemmer namens Bevacizumab. Es
hindert einen für das Wachstum der nährenden Blutgefäße unerlässlichen
Faktor daran, an Zellrezeptoren anzudocken. Der Tumor sitzt dann auf dem
Trockenen. Auch die neuen Medikamente sind nicht ohne Nebenwirkungen, wenn
auch die einschlägigen Therapien von den Patienten in der Regel seltener
abgebrochen werden als die herkömmlichen. Bei der Therapie mit Bevacizunab
kommen Bluthochdruck, aber auch Herzschwäche und Schlaganfall vor.
Der Direktor der Klinik für Gynäkologie an der Charité, Jalid Sehouli,
stellte im Juni auf einer Pressekonferenz der Nord-Ostdeutschen
Gesellschaft für Gynäkologische Onkologie (NOGGO) in der Charité diese
US-Studie einem deutschen Publikum vor. Außenstehenden erschienen die vier
Monate, in denen die Krankheit zum Stillstand kommt, zwar wenig, sagte er:
"Dies ist aber ein statistisches Mittel. So oder so kann es eine für die
einzelne Patientin wichtige Zeit sein."
Alles spricht dafür, dass sich auch die Gesamtüberlebenszeit mithilfe der
neuen Medikamente verlängert. Ein Vorreiter ist hier der Wirkstoff
Rituximab. Ihm ist es zu verdanken, wenn heute nur noch halb so viele
Menschen wie vor zehn Jahren an einem B-Zell-Lymphom sterben, einer relativ
seltenen Krebserkrankung des lymphatischen Systems. Je länger Patienten
mithilfe der neuen Wirkstoffe weiterleben, desto wichtiger wird die Frage
nach der gewonnenen Lebensqualität, aber auch die nach den Nebenwirkungen.
## Zielgerichteter Wirkstoff kostet Tausende von Euro
Auch für deren Vermeidung setzten Mediziner heute auf den zweiten großen
Trend in der Forschung: die personalisierte Medizin. Als Beispiel wurde auf
dem diesjährigen ASCO-Kongress eine Studie zur Darmkrebsbehandlung
vorgestellt. Auf diesem Gebiet werden seit einiger Zeit mit Erfolg
sogenannte EGFR-Inhibitoren eingesetzt. Sie blockieren auf den Krebszellen
die Rezeptoren für epidermale Wachstumsfaktoren.
Seit Längerem ist aber auch bekannt, dass Patienten, deren Tumor eine
sogenannte KRAS-Mutation aufweist, auf diese Mittel nicht ansprechen. Nun
hat man jedoch herausgefunden, dass eine Untergruppe von ihnen, bei denen
die KRAS-Mutation auf einer spezifischen Genregion namens Exon13 sitzt,
doch davon profitiert.
So ein zielgerichteter Wirkstoff kostet heute noch 4.000 Euro und mehr pro
Monat und pro Patient. Droht dem Gesundheitssystem durch solche Substanzen
der Zusammenbruch? Dagegen argumentierten mehrere Spezialisten auf der
NOGGO-Pressekonferenz: In einigen Jahren werde für jedes zielgerichtete
Medikamente ein Gentest existieren, der dessen Anwendbarkeit und die beste
Dosierung bei jeder Person prüft. Auch die Nebenwirkungen und die Kosten
für deren Behandlung ließen sich so reduzieren.
Auch seien Krebspatienten in Provinzkrankenhäusern mit vielleicht 12 Betten
in der Onkologie nicht mehr am Platze. Sie gehörten in durch die Deutsche
Krebsgesellschaft zertifizierte Organkrebszentren. Jalid Sehouli
berichtete: "Jede zweite Patientin mit Eierstockkrebs wird falsch
behandelt. Wenn wir in den großen, hochspezialisierten Zentren Patienten
nicht erst im Endstadium zu sehen bekämen, sondern bevor das Kind in den
Brunnen gefallen ist, könnten wir die Kosten ganz entscheidend senken."
9 Aug 2011
## AUTOREN
Barbara Kerneck
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