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# taz.de -- Kapitalismuskritik im Berliner Wahlkampf: Parteien ohne Alternative
> Der Kapitalismus kriselt. Und die Kapitalismuskritik? Die äußert sich im
> linken Berlin mit seiner Mehrheit von SPD, Grünen und Linken erstaunlich
> verhalten.
Bild: Kritik am Ansammeln von Geldstapeln? Bei den Berliner Parteien eher nicht.
Wenn das der Regierende Bürgermeister gesagt hätte. Die Krisen an den
Finanz- und Wirtschaftsmärkten, konstatierte Klaus Töpfer, ehemaliger
CDU-Umweltminister und Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten
Nationen, seien bedenkliche Zeichen eines problematischen Systems. "Man
muss über den Kapitalismus reden", forderte Töpfer kürzlich bei "Anne Will"
ganz im Stil der ehemals linken Kapitalismuskritik. Doch wer übt diese
Kritik noch in einer Stadt, in der linke Parteien wie SPD, Grüne und
Linkspartei eine deutliche Mehrheit haben?
Daniel Wesener, einer der beiden Grünenvorsitzenden in Berlin, hat
beobachtet, dass die Kapitalismuskritik trotz der Krise nicht gerade
Konjunktur hat. "Angesichts der globalen Situation äußert sich Systemkritik
nur sehr verhalten", sagt der Kreuzberger, der dem linken Flügel der Partei
angehört. Allerdings seien die Berliner einiges gewohnt. Schließlich habe
es die große Erschütterung bereits mit dem Bankenskandal vor zehn Jahren
gegeben. Eins sieht Wesener immerhin positiv: "So viel Skepsis gegen
Privatisierung wie derzeit gab es noch nie. Das hat sich auch in den
Programmen der Parteien niedergeschlagen. Selbst die CDU würde keine
Wohnungen mehr verkaufen wollen."
Eine Ablehnung von Privatisierungen ist dem SPD-Kreisvorsitzenden von
Friedrichshain-Kreuzberg zu wenig. "Die Krise ist weitaus mehr als unsere
kommunalwirtschaftlichen Belange", sagt Jan Stöß, der auch Finanzstadtrat
in seinem Bezirk ist. Vor allem ärgert er sich darüber, dass über die
"falsche Krise" geredet werde. "Entscheidend ist nicht die Schuldenkrise,
sondern die Finanzkrise." Unter den Kreuzberger und Friedrichshainer
Genossen sei das sehr wohl ein Thema - und auch, welche Instrumente es
gebe. "Die Gelegenheit, endlich eine Finanztransaktionssteuer oder einen
Finanz-TÜV einzuführen, gab es mehrfach", sagt Stöß und wird grundsätzlich:
"Die Theorie, dass der Markt für eine gerechte Verteilung sorgt, ist doch
längst unter Rechtfertigungsdruck geraten." Vielmehr werde mit der Krise
die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer.
Das mit der Theorie und dem Markt würde Mario Czaja so nicht
unterschreiben. Ein wenig unwohl ist aber auch dem CDU-Abgeordneten aus
Marzahn-Hellersdorf, wenn er sagt: "In Deutschland und damit auch in Berlin
gibt es weder Sozialismus, noch gibt es Kapitalismus. Wir haben hier die
soziale Marktwirtschaft." Die ist für Czaja nicht Teil des Problems,
sondern Teil der Lösung: "Viele Probleme ließen sich eher mit einem Mehr an
sozialer Marktwirtschaft in den Griff bekommen als mit den
Wirtschaftsordnungen der Länder, von denen die Krise ausgeht."
Kritischer sehen das die Aktivisten von Attac. "Die Angebote, die am 18.
September in Berlin zur Wahl stehen, sind aus unserer Sicht mehr oder
weniger das gleiche Konglomerat", sagt Carl Waßmuth vom
globalisierungskritischen Netzwerk. Dabei gebe es ein großes Potenzial an
Wählern, die etwas für Kapitalismuskritik übrig hätten. Als Beispiel nennt
er den erfolgreichen Wasservolksentscheid im Februar. Damals hatten mehr
Menschen für eine Offenlegung der Verträge - und damit gegen die
Wahlempfehlung der rot-roten Koalition gestimmt - als bei der
Abgeordnetenhauswahl für SPD und Linkspartei selbst. Darüber hinaus steige
die Zahl derer, die angeben, eine Partei zu wählen, die in den Umfragen
unter "Sonstige" fällt. Aktuell sind es elf Prozent. Zum Vergleich: Vor
zehn Jahren bewegte sie sich um die vier Prozent.
Und die Kommunalisierung von S-Bahn, Energie- und Wasserversorgung, die
einige Parteien in ihre Wahlprogramme geschrieben haben? "Nichts als
Schminke", sagt Waßmuth. Es werde überhaupt nicht klar, was die Parteien
danach damit machen wollten. Waßmuth glaubt nicht daran, dass
Kapitalismuskritik für die derzeit im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien
ernsthaft ein Thema ist. Er sieht daher die sozialen Bewegungen in der
Pflicht: "Das Problem ist, dass die außerparlamentarische Opposition bei
dieser Wahl noch nicht in der Lage war, eine Alternative aufzustellen."
Eine Partei, die das eigentlich anders sehen müsste, ist die Linke. Doch
Wolfgang Brauer, Direktkandidat der Linkspartei in Marzahn-Hellersdorf,
seufzt, wenn er auf das Thema Kapitalismuskritik angesprochen wird. Er
erzählt von der Degewo, der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft, die in
seinem Wahlkreis die Mieten bis zur Grenze des Mietspiegels und damit über
das Budget der Mieter hinaus erhöhe. "Das sind die Probleme, die die Leute
kümmern, mit großen theoretischen Debatten muss ich denen gar nicht
kommen." Natürlich mache sich Kapitalismuskritik auch an Konkretem fest, an
Fahrpreisen, an Wasserpreisen. Doch die hohe Zustimmung beim Volksentscheid
führt er auf einen ganz banalen - weniger kapitalismuskritischen - Grund
zurück: "Die Leute wollen weniger zahlen."
9 Aug 2011
## AUTOREN
Svenja Bergt
Uwe Rada
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