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# taz.de -- Improvisationsdrama im ZDF: Auf der Hinterbühne
> Eine Schauspielschule am Abgrund: "Unten Mitte Kinn" (Montag, 0.00 Uhr)
> im ZDF ist ein Grenzgänger zwischen der fiktionalen und der
> "dokumentarischen" Filmform.
Bild: Wir sind die Guten - aber bin ich auch gut genug? Die SchauspielschülerI…
"Unten Mitte Kinn" - der etwas merkwürdige Titel bezieht sich auf eine
etwas merkwürdige Schauspielübung: Die Übenden boxen Martial-Arts-mäßig in
der Luft herum und schreien dabei betont aggressiv besagte drei Substantive
aus sich heraus. So geht der Film los. Und wer vorher nichts darüber
gelesen hat, muss tatsächlich einige Minuten lang denken, es mit einem
Dokumentarfilm zu tun zu haben. So was wie Andres Veiels "Die
Spielwütigen". Aber falsch gedacht.
Falls die Unterscheidung zwischen fiktionalen und nicht fiktionalen
Filmformen überhaupt möglich und sinnvoll ist, so ist "Unten Mitte Kinn"
ein Grenzgänger. Regisseur Nicolas Wackerbarth verspricht nicht zu viel,
wenn er das Resultat seiner von ihm "dokumentarisch" (die Anführungszeichen
setzt er selbst) genannten Arbeitsweise als "eine etwas psychotische, ja
beklemmende Komödie" beschreibt. Die Jungschauspieler, welche die
Schauspielschüler spielen, haben alle Szenen ohne umfassende Kenntnis der
Geschichte improvisiert. Ihre Improvisationstechnik führt einem die
ausgefeilte, pointierte Kunstsprache, wie sie sonst in Drehbüchern
gestaltet wird, so richtig vor Augen. Sie fehlt hier völlig und sie fehlt
einem überhaupt nicht. Die Darsteller sprechen wie ihnen der Schnabel
gewachsen ist, fallen einander ins Wort, Dialoge fransen aus. Das wirkt
verblüffend authentisch.
Seinem überzeugenden Jungschauspielerensemble hat Wackerbarth zwei
altgediente Profis zur Seite gestellt, Ursula Werner ("Wolke Neun") und
Fritz Schediwy. Der hat für Stein, Zadek, Fassbinder, Peymann, Gosch usw.
auf der Theaterbühne gestanden und ist gerade vor einem Vierteljahr
gleichsam auf offener Bühne an einem Herzinfarkt gestorben. Insofern ist
die Versuchung groß, die Ironie des Schicksals zu bemühen, wenn Schediwy im
Film sagt: "Ich krieg noch 'n Herzinfarkt, ich schwör's euch!"
Schediwy spielt den Leiter der Schauspielabteilung einer in der
baden-württembergischen Provinz verorteten fiktiven Kunsthochschule. Die
Schauspielabteilung steht möglicherweise vor der Schließung. Es gibt solche
Gerüchte. Die Absichten des Hochschulrektors, für dessen Horizont ein
einzelner Studiengang nicht maßgeblich ist, sind unklar. Eine
aufoktroyierte Evaluation des Studiengangs verheißt nichts Gutes. Der
Studiengangsleiter (Schediwy) verschwindet, ist nicht erreichbar, taucht
wieder auf. Die Lehrenden pflegen ihre Eitelkeiten, fallen einander in den
Rücken, demontieren sich selbst und gegenseitig. Der Sprecherzieher etwa
gibt sich den Studenten gegenüber jovial und streut dabei ein böses Gerücht
über die Vergangenheit der Schauspiellehrerin (Werner): "Es ist wirklich
dieser Eindruck, dass ihr da gerade ganz massiv gefährdet seid. So ist mein
Eindruck. Der mag vielleicht nicht stimmen, möglicherweise, aber - es würde
mich wundern. Es würde mich wirklich wundern."
Die Schüler der Abschlussklasse durchschauen das erst nach und nach, sind
ratlos, uneins, erwägen, sich an die Presse zu wenden, auf eigene Faust
nach einem neuen Studiengangsleiter zu suchen. Sie wollen Künstler sein,
das hindert sie nicht daran, sich Sorgen über ihre Chancen auf dem
Arbeitsmarkt zu machen. Alles scheint für sie von dem bevorstehenden
Intendantenvorspiel abzuhängen. Das ein Desaster zu werden droht.
Solche oder ähnliche Episoden spielen sich an Kunsthochschulen mitunter ab.
Zumal an jener tatsächlichen Schule, in deren Räumen die Dreharbeiten für
den Film stattfanden. Der Autor weiß das aus eigener Anschauung.
Wackerbarths Film ist wirklich frappierend authentisch.
15 Aug 2011
## AUTOREN
Jens Müller
## TAGS
Deutscher Film
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