# taz.de -- Netzkontrolle in Großbritannien: Überwachen statt abschalten | |
> Beim Treffen von britischen Regierungsmitgliedern und Vertretern von | |
> Facebook, Twitter und BlackBerry blieb vieles vage. Klar ist nur, dass | |
> etwas passieren soll. | |
Bild: Im Mittelpunkt nicht nur des polizeilichen Interesses: BlackBerry. | |
LONDON taz | Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen: | |
"Wie bei vielen Innovationen gibt es immer einige Leute, die die Party | |
verderben. Ein 23-Jähriger Brite starb im vergangenen Jahr an einer | |
Überdosis Koffein. Badesalze werden in einer tödlichen Dosis verwendet. | |
(...) Der neueste Missbrauch? Social media, wenn man einigen Offiziellen | |
glaubt." | |
[1][Mit diesen Worten] fasste am Montag eine Kommentatorin die derzeit in | |
Großbritannien laufende Debatte um mögliche Folgen fürs Internet nach den | |
Riots in London und anderen Städten sowie nach einem offiziellen Treffen | |
von britischen Regierungsmitgliedern und Vertretern von Facebook, Twitter | |
und BlackBerry zusammen. | |
"Jeder, der diese grauenhaften Ereignisse gesehen hat, wird geschockt sein | |
zu hören, wie sie mittels sozialer Netwerke organisiert wurden" - diesen | |
Worten wollte der britische Premier David Cameron schnell Taten folgen | |
lassen. BlackBerry, Facebook, Twitter – sie alle wurden Ende letzter Woche | |
zu einem Treffen geladen, bei dem es um knallharte Maßnahmen gehen sollte, | |
um den Ordnungshütern Zugriff auf die Daten von "Krawallmachern" in den | |
populären Kommunikationsplattformen zu verschaffen. | |
Nur so, behauptete Cameron vorab, ließen sich Ausschreitungen in Zukunft im | |
Keim ersticken. In Krisenzeiten solle womöglich der Zugang zu Social Media | |
komplett blockiert werden. | |
Bei dem Treffen anwesend waren Innenministerin Theresa May, Polizeichefs | |
sowie Vertreter von Facebook, Twitter und des BlackBerry-Herstellers | |
Research in Motion. Wie so oft verpufften allerdings auch diesmal die | |
kraftstrotzenden Ankündigungen des Premiers in Windeseile: Das Thema | |
Abschaltung von sozialen Netzwerken in Krisenzeiten stand gar nicht erst | |
auf der Tagesordnung. Offensichtlich hatte sich die Marschrichtung | |
geändert. | |
## Konstruktive Zusammenkunft | |
Woher kam dieser plötzliche Meinungsumschwung? Der stellvertretende | |
Staatschef Nick Clegg begründete die Entscheidung damit, dass man keinen | |
"black out" von sozialen Medien im Stil des Iran oder Chinas unterstütze. | |
Diese Idee sei in der Hitze des Gefechts geboren worden. In britischen | |
Presseberichten hieß es, die Zusammenkunft sei sehr konstruktiv gewesen. | |
Statt soziale Netzwerke abzuschalten, wolle sich die britische Polizei in | |
Zukunft darauf konzentrieren sie besser zu überwachen. | |
"Wir begrüßen die Tatsache", erklärte Facebook anschließend in einer | |
Stellungnahme, "dass bei diesem Treffen die gemeinsame Kooperation für die | |
Sicherheit der Bevölkerung zur Debatte stand und nicht das Verhängen von | |
Sanktionen gegen Internetdienstleister." Nicht nur Facebook und Co. atmeten | |
auf – auch britische Menschenrechtsgruppen fanden die Entscheidung der | |
Regierung in Ordnung. In einem offenen Brief an Theresa May hatten sich | |
unter anderem Amnesty UK, Privacy International und die Open Rights Group | |
dafür ausgesprochen, dass die Überwachung und Restriktion von | |
Kommunikationsnetzwerken mit äußerster Vorsicht erfolgen müsse. | |
Unbestritten ist, dass sich Online-Netzwerke während der Unruhen sowohl für | |
Krawallmacher als auch für Ordnungshüter als nützliche Kommunikationsorgane | |
erwiesen. Während die Unruhestifter versuchten, ihre Aktionen auf Facebook | |
und Twitter bekannt zu machen und zu koodinieren, war die Polizei damit | |
beschäftigt, die Aktivitäten der Krawallmacher im Auge zu behalten, um | |
Ausschreitungen zu verhindern. So gelang es den Ordnungshütern, geplante | |
Attacken auf das Westfield London Einkaufszentrum, die Oxford Street und | |
das Olympia-Gelände zu verhindern. | |
## 2,5 Millionen Tweets analysiert | |
Als problematisch erwies sich jedoch, dass die Behörden keinen Zugriff auf | |
den bei britischen Teenagern besonders beliebten Messengerservice von | |
BlackBerry haben. 37 Prozent der jungen Leute im Königreich bevorzugen | |
BlackBerry statt anderer Smartphones. BBM (BlackBerry Messenger) hat für | |
sie längst die SMS ersetzt, denn es ist kostenlos und kann nicht mitgelesen | |
werden. | |
Die Tageszeitung Guardian berichtete, im Verlauf der Unruhen sei folgende | |
Nachricht via BBM verschickt worden: "Kommt alle zum Oxford Circus. Brecht | |
in Geschäfte ein und holt euch Zeug umsonst. Die Bullen können uns am Arsch | |
lecken, wir schlagen zurück mit unseren Krawallen … wenn du einen Bruder | |
siehst grüß ihn, wenn du einen Bullen siehst erschieß ihn!" | |
Der Guardian behauptet, 2,5 Millionen Tweets zum Thema analysiert zu haben. | |
Demnach sei Twitter während der Unruhen in erster Linie zum Chatten und | |
nicht als Protestorgan der Krawallmacher genutzt worden. Trotzdem stehen | |
die Online-Netzwerke seit den Unruhen in der Schusslinie. Laut einer | |
Umfrage der britischen Marketingagentur MBA sprachen sich 2.000 Briten für | |
eine temporäre Sperre dieser Medien bei Krawallen aus. Es ist allerdings | |
kaum zu erwarten, dass die britische Regierung nach der Kehrtwende dieses | |
heiße Eisen so bald noch einmal anfassen wird. | |
30 Aug 2011 | |
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[1] http://manassas.patch.com/articles/saving-social-media | |
## AUTOREN | |
Frank Heinz Diebel | |
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