# taz.de -- Die Medien, die Justiz und der Fall Torben P.: Die Gesellschaft tri… | |
> Der 18-jährigen Schüler Torben P. ist wegen einer Gewalttat in der U-Bahn | |
> angeklagt. Nächste Woche fällt das Gericht sein Urteil. Aber nicht nur | |
> die Medien haben ihn längst verurteilt. Wie kommen sie dazu? | |
Bild: Torben P. auf der Anklagebank | |
Die Verhandlung gegen den 18-jährigen Schüler Torben P. und einen | |
gleichaltrigen Mitangeklagten findet im größten Verhandlungssaal des | |
Kriminalgerichts Moabit statt. Das Interesse der Öffentlichkeit ist riesig. | |
Fast alle deutschen Medien sind vertreten. Onlineredaktionen setzen | |
mehrmals täglich Berichte vom Prozessfortgang ab. Egal ob | |
Boulevardzeitungen oder sogenannte Qualitätsmedien - selten war man sich in | |
der Bewertung eines Falls so einig. Selten wurde die Unschuldsvermutung so | |
ignoriert und ein Angeklagter so einvernehmlich vorverurteilt: "Der | |
Hasstreter" - "Der U-Bahn-Schläger". | |
Torben P. ist wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung | |
angeklagt. Überwachungskameras auf dem U-Bahnhof Friedrichstraße hatten die | |
Tat am 23. April aufgezeichnet. Die Szene, bei der Torben P. einen Mann mit | |
einer Flasche niederschlägt und ihm, als dieser bewusstlos auf dem Boden | |
liegt, viermal mit voller Wucht gegen den Kopf tritt, hatte die Polizei | |
unmittelbar danach zur Fahndung ins Netz gestellt. Der kurze Ausschnitt ist | |
seitdem unzählige Male von den Medien gezeigt worden, auch bei YouTube wird | |
er immer wieder aufgerufen. Das Bild war auf dem Titel des Spiegels, es | |
gibt kaum jemanden, der es nicht kennt. | |
Torben P. hatte sich noch am selben Tag gestellt. Am ersten Prozesstag | |
legte er ein Geständnis ab: Was er getan habe, sei "eine Schweinerei" und | |
durch nichts zu entschuldigen. Auch nicht dadurch, dass er betrunken | |
gewesen sei. Der Angeklagte hat versucht, sich bei seinem Opfer, dem | |
30-jährigen Gas- und Wasserinstallateur Markus P., zu entschuldigen, er bot | |
ihm ein Schmerzensgeld an. | |
Torben P. wird von zwei Anwälten nach allen Regeln der Kunst verteidigt. | |
Das ist nicht nur das Recht eines jeden Angeklagten, egal was ihm | |
vorgeworfen wird: Jeder, der sich in dieser Situation befände, würde es so | |
machen. Die meisten Eltern würden versuchen, ihren Kindern die bestmögliche | |
Verteidigung zu organisieren. Allerdings verteidigen Torben P.s Anwälte | |
ihren Mandanten nicht auf Kosten des Opfers. Dabei könnten sie auch das tun | |
- indem sie versuchten, ihm eine Mitschuld zu geben. | |
Es ist etwas Schlimmes passiert auf dem U-Bahnhof. Die Frage, die sich | |
nicht nur im Gerichtssaal alle stellen: Wie kann jemand so die Kontrolle | |
über sich verlieren? Torben P. sagt: "Ich kann das nicht erklären, weil ich | |
selbst keine Erklärung habe". Er schäme sich zutiefst. Man kann ihm das | |
abnehmen oder nicht. Die Mehrzahl der Medien tut es nicht. | |
Boulevardzeitungen unterstellen ihm eine "Kuschelstrategie", um sich beim | |
Gericht anzubiedern. Auch der Schuldspruch steht für sie schon fest: Keine | |
Gnade. Eine Tageszeitung, die nicht im Verdacht steht, den Boulevard zu | |
bedienen, schrieb dieser Tage: "Ihm drohen maximal zehn Jahre Jugendstrafe. | |
Aber so hoch wird die Strafe nicht ausfallen. Schon jetzt bemühen sich | |
seine Anwälte, ihren Mandaten in keinem allzu schlechten Licht dastehen zu | |
lassen". | |
Dass die Medien Parallelprozesse führen, ist nicht neu. Richtig | |
offensichtlich wurde es im Prozess gegen den wegen Vergewaltigung | |
angeklagten und später freigesprochenen Wettermoderator Jörg Kachelmann. In | |
seinem Fall waren es zwei Frauen, die für unterschiedliche Medien | |
Richterinnen spielen durften: Alice Schwarzer für Bild, Gisela Friedrichsen | |
für Spiegel Online. | |
Torben P. ist nicht so prominent wie Kachelmann. Gäbe es nicht die Bilder | |
von den Überwachungskameras - das öffentliche Interesse an dem Vorfall wäre | |
längst erlahmt. Ohne seine Taten bagatellisieren zu wollen: Im | |
Kriminalgericht Moabit finden viele Prozesse statt, bei denen junge | |
Angeklagte, die zuvor schon diverse Male als Gewalttäter in Erscheinung | |
getreten sind, sich wegen ähnlicher Rohheitsdelikte verantworten müssen. | |
Oder sogar für Taten, nach denen das Opfer nie mehr aufgestanden ist. | |
Medizinische Sachverständige haben im Prozess gegen Torben P. ausgesagt, | |
bei dem Geschädigten habe zwar "abstrakt Lebensgefahr" bestanden, weil er | |
in ein tiefes Koma gefallen sei, es habe aber keine "konkrete Lebensgefahr" | |
bestanden. Markus P. selbst sagte als Zeuge aus, er leide seither unter | |
Schlafstörungen. Wochenlang habe er wegen Schwindelgefühlen auf keine | |
Leiter steigen können. Auf die Frage, warum er das Schmerzensgeld abgelehnt | |
habe, antwortete er, seine Anwälte hätten ihm das geraten. Sein | |
Zeugenauftritt, so schien es, war eher vom Bemühen getragen, den Ball flach | |
zu halten. Ganz im Unterschied zu seiner Anwältin, die ihn im Prozess als | |
Nebenkläger vertritt. Sie stellt sich vor die Fernsehkameras und fordert | |
eine Strafe für Torben P. mit einer Signalwirkung für ganz Deutschland. | |
Es ist die Macht der Bilder, die so viele dazu veranlasst, sich als Richter | |
aufzuspielen. Alle haben die Bilder gesehen, alle sind Zeugen, alle fühlen | |
mit dem Opfer mit. Tatort ist der öffentliche Nahverkehr, jeden könnte es | |
treffen. Jeder kennt sich aus. Es ist wie beim Fußballgucken: Jeder hält | |
sich für den besten Bundestrainer. | |
Hätten die Gewaltszenen also von der Polizei zurückgehalten werden müssen? | |
Nein. Auch das Video vom "Mann in Blau", einem Fahrradfahrer, der im | |
September 2009 am Rande einer Demonstration von Polizisten | |
zusammengeschlagen wurde, ist ein erschreckendes Zeugnis von Enthemmung. Es | |
ist gut, dass sich die Öffentlichkeit ein Bild von solchen Vorgängen machen | |
kann. | |
Das Video der Überwachungskamera ist zwar ein wichtiges Beweismittel - und | |
doch handelt es sich nur um einen winzigen Ausschnitt aus dem Leben von | |
Torben P. Es gibt noch andere Dinge, die im Urteil Berücksichtigung finden | |
müssen: P. ist 18 Jahre alt, er hat nie zuvor Straftaten begangen. Seine | |
Eltern seien Frührentner, seit der Tat werde die Familie von den Medien | |
verfolgt, sagte der Angeklagte. Man habe schließlich sogar umziehen müssen. | |
Eine Boulevardzeitung griff unlängst noch einmal auf, dass der Gymnasiast | |
seine Schule in Reinickendorf verlassen musste, damit der Schulfrieden | |
gewahrt blieb. Nun bekommt er in einer anderen öffentlichen Einrichtung | |
Einzelunterricht. "Die nächste Sonderbehandlung für den U-Bahn-Prügler", so | |
die Zeitung. | |
Es ist davon auszugehen, dass Torben P. nach Jugendstrafrecht verurteilt | |
wird. Infrage kommt eine Verurteilung wegen versuchten Totschlags, | |
gefährlicher Körperverletzung oder Vollrauschs. Die Mindeststrafe sind | |
sechs Monate, Höchststrafe zehn Jahre. Torben P. steht noch am Anfang | |
seines Lebens. Die Frage ist: Wem wäre gedient, wenn er die nächsten Jahre | |
im Knast verbrächte? Der Gesellschaft? Der Abschreckung anderer | |
potenzieller Gewalttäter? Zu diesem Zweck darf eine Jugendstrafe aber nicht | |
verhängt werden: Sie dient allein der Erziehung. | |
Anders ist es bei Erwachsenen: Der gesellschaftliche Druck machte es | |
möglich, dass ein 43-Jähriger wegen Brandstiftung unlängst zu 22 Monaten | |
auf Bewährung verurteilt wurde. Der Sachschaden an dem Fahrzeug, das er | |
angezündet hatte, betrug 75 Euro. Würden in Berlin nicht fast jede Nacht | |
Autos brennen, der Mann hätte allenfalls eine Geldstrafe bekommen. Das | |
zeigt, welchen Einfluss Stimmungen in der Gesellschaft auf ein Urteil haben | |
können. | |
Richter, die sich davon nicht beeindrucken lassen, müssen ein dickes Fell | |
haben. Sogar Politiker wie Neuköllns Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky | |
nehmen sich heraus, sie als "Schwachmaten" zu beschimpfen, wenn ihnen das | |
Urteil nicht passt. | |
Urteile ergehen "im Namen des Volkes". Aber bitte nicht im Namen des | |
Stammtischs. | |
1 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
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