# taz.de -- Regisseur Kaurismäki über "Le Havre": "Ich habe ein Märchen gedr… | |
> Er ist ein Pessimist mit optimistischer Botschaft: Aki Kaurismäki über | |
> den Film "Le Havre", Migration, Nordfrankreich und was so schön am Alter | |
> ist. | |
Bild: Aki Kaurismäki: "Wenn du tot bist, bist du tot. Das macht mich froh." | |
taz: Herr Kaurismäki, mit Ihrem Film "Le Havre" kehren Sie zu Marcel Marx, | |
dem Protagonisten aus "La Vie de Bohème" zurück. Was hat diese Fortsetzung | |
motiviert? | |
Aki Kaurismäki: "La Vie de Bohème" von 1992 hat ja kaum jemand gesehen. Ich | |
wollte den Charakter des Marcel Marx wieder zum Leben erwecken, weil er | |
mir, wie der ganze Film, sehr wichtig war. | |
Er ist ein warmherziger Mensch, der Gutes tut. | |
Das ist ganz im Sinn der Vorlage von Henri Murger, dem Libretisten von | |
Puccinis Oper "La Bohème". Der letzte Satz bei ihm lautet: "Man ist nur | |
einmal jung." Und Marcel sieht man - wie übrigens auch mir - an, dass seine | |
Jugend vorbei ist. Es gibt also einen persönlichen Bezug. Es war schön, | |
jung zu sein, aber es ist leichter, alt zu sein. | |
Warum ist das denn einfacher? | |
Weil man nicht mehr ernsthaft sein muss. | |
Aber Marcel ist doch sehr ernsthaft? | |
Ja, er hat sich eine Moral bewahrt. Das ist aber auch schon das Einzige, | |
was man aus der Jugend bewahren kann. Wenn man als junger Mensch keine | |
Moral hat, wird man sie niemals haben. | |
Eine weitere Hauptfigur des Films ist die Stadt und ihr Hafen. Haben Sie | |
sich für Le Havre entschieden, weil es so finnisch wirkt? | |
Oh nein, ich habe versucht, so weit wie möglich von Finnland entfernt zu | |
sein! Aber natürlich ist mein Denken sehr nordisch, und Nordfrankreich hat | |
auch diese nordische Qualität. Ich werde mich nicht mehr zum mediterranen | |
Menschen wandeln, obwohl ich seit 20 Jahren ein Haus in Portugal habe. | |
Zuerst wollte ich den Film in Marseille drehen, aber ich habe dort gar | |
nichts verstanden. | |
Wie wichtig war das Aussehen der Stadt - man kann ja noch Spuren der | |
Industrialisierung erkennen? | |
Die Geschichte der Stadt ist sehr traurig. Während der Invasion in der | |
Normandie wurde die Stadt von den Alliierten zerbombt. 60.000 Menschen sind | |
dabei gestorben. Die Stadt wurde regelrecht ausgelöscht. Ich halte das für | |
ein Kriegsverbrechen, selbst wenn es die Absicht gab, die Nazis zu treffen. | |
Le Havre hat das in gewisser Weise nie vergessen. Ich zeige die letzten | |
Überreste der alten Stadt, eine wunderbare Architektur. Nun werden diese | |
letzten Reste auch noch durch Geld zerstört. Die Straße, in der Marcel | |
lebt, existiert mittlerweile nicht mehr. | |
Sie ist völlig verschwunden? | |
Sie haben alles abgerissen und neue Gebäude hingestellt. Luxusapartments. | |
Es ist eine Straße mit intensiven Farben. | |
Das haben Sie dort alles so vorgefunden? | |
Teile davon haben wir im Studio gedreht. Ich freue mich, dass Sie das nicht | |
bemerkt haben! "La Vie de Bohème" war auch eine Liebeserklärung an den | |
poetischen Realismus der 1930er Jahre. | |
Bei "Le Havre" denkt man gleich an Marcel Carnés Film "Le Quai des brumes". | |
Ja, mit Jean Gabin und Michèle Morgan - ich habe versucht, ein Eck des | |
Tischtuchs zu erwischen. Marcel Carné war allerdings ein Mann des | |
Melodrams. Meine Geschichte eignete sich dafür nicht. Also habe ich ein | |
Märchen gedreht. | |
Mit dem Schauspieler Jean-Pierre Darroussin haben Sie zum ersten Mal | |
gedreht, er spielt den Polizisten. Wie haben Sie ihn zur Kaurismäki-Figur | |
gemacht? | |
Profis lernen das schnell. Ich habe selbst ein wenig gespielt, als ich noch | |
jünger war. Ich konnte es nicht, aber ich erkenne gutes Schauspiel, wenn | |
ich es sehe. Profis fragen nur nach der Intensität, denn sie haben ihren | |
Text, dadurch ist schon alles sehr klar. Profis sind schneller, billiger | |
und besser. | |
Müssen Sie sie nicht stets auffordern, den Ausdruck zu minimieren? | |
Das gibt das Drehbuch schon vor. Ich sage nur, ein bisschen mehr, ein | |
bisschen weniger. Meistens nicht einmal das. Ich versuche, den Ausdruck im | |
unteren Bereich zu lassen - übertriebenes Spiel ist mir zuwider. | |
Warum gefällt Ihnen Stille so gut? | |
Menschen reden doch ohnehin zu viel. Aber diesmal gibt es ja genug Dialog. | |
Der immer sehr literarisch ist. | |
Ich habe ein einziges Mal versucht, so zu schreiben, wie man normalerweise | |
spricht. Es hat überhaupt nicht funktioniert. Ich nehme lieber die Strafe | |
auf mich, als zu literarisch zu gelten denn als zu trivial. | |
Das zentrale Thema des Films ist Migration. Wie kam es dazu? | |
Ich bin ein politisches Tier, das nicht alles akzeptiert, was es sieht. | |
Wenn man schon einen Film über ein Thema macht, dann tanzt man | |
gewissermaßen auf einem Strick: Der Film sollte nicht nur unterhaltsam | |
sein, sondern auch Stellung beziehen. Ich verstehe Filme nicht, die nichts | |
zu sagen haben. Sogar eine schlechte Botschaft ist besser als gar keine. | |
Sie haben sogar eine sehr optimistische Botschaft. | |
Je skeptischer ich selbst werde, desto optimistischer sind meine Filme. Das | |
ist seltsam, wo ich doch ein zynischer Mensch bin. Ich kann mir keinerlei | |
Zukunft für die Menschheit ausmalen. Doch da ich dieses Faktum akzeptiert | |
habe, dachte ich, man könnte zumindest optimistischere Filme machen. | |
Ich habe einmal gelesen, dass Sie in den 1970ern selbst daran dachten, | |
Politiker zu werden. | |
Nein, das stimmt nicht, ich habe damals bloß zu meinen Freunden gesagt: | |
"Wir werden keine Politiker. Doch wenn wir es nicht tun, dann werden es die | |
Idioten tun." Und das ist dann auch passiert. Niemand wollte sich opfern. | |
In all Ihren Filmen arbeiten Sie mit dem Kameramann Timo Salminen. Das muss | |
schon eine sehr intuitive Form der Zusammenarbeit sein. | |
Wir reden nicht allzu viel. Manchmal abends. Meistens pfeifen wir uns nur | |
zu (pfeift). Wir haben einmal einen Stummfilm gedreht, da hat die ganze | |
Crew nur gepfiffen. Das war ein Spaß. | |
Die Kamera, die sie benutzen, soll sehr alt sein. | |
Ich habe zwei Kameras, die eine ist älter als die andere. Meistens | |
verwenden wir die ältere. Sie hat nichts Digitales in sich. | |
Werden Sie nicht eines Tages wechseln müssen? | |
Nein, ich bin schon zu alt. Das digitale Bild kann schärfer, | |
farbintensiver, ja, was auch immer sein: Es ist tot. Die Oberfläche des | |
Bildes lebt nicht. Kino ist ein Spiel aus Schatten und Licht. Das Digitale | |
ist Elektrizität. Michèle Morgan kann man sich nicht auf einem digitalen | |
Bild vorstellen. | |
Sie haben einmal gesagt, Sie seien kein Filmemacher, sondern Sammler. Was | |
fasziniert Sie so an Dingen der Vergangenheit? | |
Ich bin selbst ein Ding aus der Vergangenheit. In diesem Leben werde ich | |
mich nicht an die Gegenwart gewöhnen. | |
Glauben Sie denn an ein nächstes? | |
Nein, tue ich nicht. Wenn du tot bist, bist du tot. Das macht mich froh. | |
Wie schrieb schon Raymond Chandler in The Big Sleep: Es ist egal, wo man | |
liegt, wenn man tot ist. | |
7 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Dominik Kamalzadeh | |
## TAGS | |
Finnland | |
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