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# taz.de -- NPD vor der Wahl: Gemäßigt war gestern
> "Gas geben" und "Ofen anheizen": Die NPD setzt mit ihrem radikalen
> Wahlkampf auf das Kameradschaftsspektrum - und hofft auf Sitze in den
> Bezirksparlamenten.
Bild: Eindeutig mehrdeutig: NPD-Plakat im Berliner Straßenland.
Gleich nachdem er eingetroffen ist, trinkt Udo Voigt einer Kameradin das
Weizenbier weg. Eingeklemmt zwischen bunt blinkendem Spielautomaten und
Biertisch hockt der NPD-Bundesvorsitzende in der Nazikneipe Zum Henker und
deutet auf sein volles Glas: "War das letzte", ruft er lachend einer Frau
zu, die gerade Weizen bestellen will. Sie lacht zurück und winkt ab.
Voigt ist an diesem Abend Ende August für eine Wahlkampfrede nach
Niederschöneweide gekommen. Der NPD-Spitzenkandidat für die Wahlen zum
Abgeordnetenhaus ist gern gesehen im Henker, wo der Schnaps Himla heißt und
an diesem Abend eines der "Gas geben"-Plakate der Partei am Rednerpult
lehnt. 40 Leute sind gekommen, meist schwarz gekleidet, Teile der
Kameradschaftsszene, der "Freien Kräfte". Einer von ihnen sagt, "wir sind
nicht für die Arbeit im Parlament, sondern für die auf der Straße
zuständig". NPD und "Freie Kräfte" präsentieren sich an diesem Abend
geschlossen wie seit langem nicht.
## Abhängig von der Szene
Von der NPD Enttäuschte waren es, die einst die Kameradschaft "Frontbann
24" gründeten. Nach deren Verbot und der schnellen Selbstauflösung einer
anderen Gruppe, der "Freien Nationalisten Berlin Mitte" vor einem Jahr, hat
die Szene eigenständige Organisationsversuche offenbar aufgegeben und
spielt nun den Trumpf aus, dass die NPD auf sie angewiesen ist. Schon 2010
prognostizierte der Verfassungsschutz, dass diese Abhängigkeit durch den
Wahlkampf weiter zunehmen werde. Den durch Flügelkämpfe und Parteiaustritte
erlittenen Bedeutungsverlust hatte die NPD auch mit dem vor anderthalb
Jahren aus Bayern importierten Landeschef Uwe Meenen nicht wettmachen
können.
Die Kameradschaftler haben in diesen Wochen "auf der Straße" ganze Arbeit
geleistet. Im Henker dankt Voigt "Uwe und seinen Männern" für 22.000 in
Berlin aufgehängte NPD-Plakate. Und der gepriesene Uwe Dreisch, einst
"Frontbann 24"- Mitglied, zeigt später bei seinem Grußwort, dass er weiß,
was er da aufgehängt hat: "Jetzt im Wahlkampfendspurt heizen wir den Ofen
noch mal so richtig an", sagt er und fixiert dabei das vor ihm aufgestellte
"Gas geben"-Plakat. Das Publikum lacht auf und klatscht.
Auf den Beifall der Massen werde die Nazipartei nicht zuletzt wegen dieses
Jargons in Berlin vergeblich warten, sagt Frank Metzger vom
Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin (apabiz). "Die
NPD hat hier gar nicht erst versucht, einen gemäßigten Wahlkampf zu machen,
sondern plump auf NS-Bezüge gesetzt, um die Aufmerksamkeit der Medien zu
erhaschen." So auch mit einem Kreuzworträtsel in der Wahlkampfzeitung,
dessen Lösungswort "Adolf" lautete. Das gefalle zwar der Stammklientel,
verschrecke aber gemäßigte WählerInnen. Zumal es für Rechte in diesem Jahr
mit den populistischen Parteien Pro Deutschland und Freiheit Alternativen
gibt.
Voigt und die seinen hoffen, dass nun die Wahlkampfunterstützung angesichts
des Wiedereinzugs in den dortigen Landtag bestens gelaunter Kameraden aus
Mecklenburg-Vorpommern hilft. Von dort kommt am Sonntag der
Fraktionsvorsitzende Udo Pastörs nach Schöneweide, um auf einer
NPD-Kundgebung zu sprechen. Pastörs Landesverband hat die errungenen 6
Prozent vom vergangenen Sonntag der flächendeckenden Zusammenarbeit mit der
Kameradschaftsszene zu verdanken. In Berlin gilt die Zahl ideologisch
gefestigter Nazis als zu klein, um die NPD ins Abgeordnetenhaus zu bringen.
Prognosen sehen sie bei höchstens 3 Prozent.
Genau diese Basis aber lässt die NPD auf anderweitige Erfolge hoffen:
Mandate in den Bezirksverordnetenversammlungen (BVV), dort genügen 3
Prozent für den Einzug. "In einzelnen Bezirken kann die Partei auf
entsprechenden Rückhalt setzen, dort besitzt sie das Potenzial, wieder
einzuziehen", sagt Frank Metzger. 2006 schaffte es die NPD in vier
Bezirksparlamente: Neukölln, Marzahn-Hellersdorf, Lichtenberg und
Treptow-Köpenick.
Den Schulterschluss mit den Kameradschaften sucht die NPD etwa in Neukölln,
wo sie zwei junge Kandidaten aufgestellt hat, gegen die die Polizei schon
mehrfach ermittelt hat. Prompt machten beide Anfang August auf sich
aufmerksam: Sie sollen mit Messern und Pfefferspray auf Männer losgegangen
sein, die zuvor in Britz NPD-Plakate abgerissen hätten.
In Lichtenberg kommt die NPD derweil biederer daher - das Gros der
Kandidaten ist älter als 50. Hier hat die Partei ebenso wie in
Marzahn-Hellersdorf ihren 2006 erreichten Fraktionsstatus eingebüßt. Dafür
verantwortliche Abweichler in beiden Bezirken kandidieren jetzt für Pro
Deutschland. Die Partei hat zudem in Marzahn-Hellersdorf ihre einzig
halbwegs prominenten Gesichter aufgestellt: Der Bundesvorsitzende Manfred
Rouhs und der Berliner Landeschef Lars Seidensticker auf den beiden ersten
Listenplätzen sollen für einen regionalen Erfolg von Pro Deutschland
sorgen.
In Treptow-Köpenick indessen will Udo Voigt Vorsitzender der dreiköpfigen
NPD-Fraktion bleiben. Auch deswegen macht er Wahlkampf in der
Henker-Kneipe, schließlich liegt die im Bezirk und hat die hiesige BVV
schon oft beschäftigt: Alle dort vertretenen Parteien würden den rechten
Szene-Treffpunkt gern schließen lassen - natürlich außer der NPD. Udo Voigt
preist den Henker gern als "soziale Anlaufstelle für junge nationale
Deutsche" und die Gegend in Schöneweide als "Beispiel für deutsche Kieze,
von denen wir mehr brauchen". Folgerichtig ist es an jenem Mittwochabend
Sebastian Schmidtke, der Voigt im Henker begrüßt und den Gästen das
NPD-Wahlkampfmaterial vorstellt.
Schmidtke betreibt einige Häuser weiter den Nazi-Klamottenladen Hexogen,
ist stellvertretender Landesvorsitzender und gilt als das Bindeglied der
Partei ins Kameradschaftsspektrum, aus dem er selbst kommt. "Viele der
derzeit öffentlich wahrnehmbaren Aktivitäten des Berliner Landesverbandes
sind auf ihn zurückzuführen", sagt Frank Metzger vom apabiz. "Schmidtke war
und ist vielfach Anmelder und Versammlungsleiter von zumeist sehr
provokativen Demonstrationen und Kundgebungen. Zu diesen lassen sich gerade
auch die jungen Neonazis aus den Kameradschaftsstrukturen mobilisieren, die
ansonsten eher langweiligen NPD-Veranstaltungen fernbleiben."
Denen, die in den Henker gekommen sind, stellt sich Schmidtke als lokaler
BVV-Kandidat vor und kündigt gleich die Verteilung der sogenannten
Schulhof-CDs mit rechter Propaganda an - als Trumpf in der letzten Phase
des Wahlkampfs. Schmidtke steht in Treptow-Köpenick auf Listenplatz drei.
Wiederholt die Partei hier ihr Ergebnis von vor fünf Jahren, dann hat Voigt
in der BVV künftig seinen aktivsten Kader und die größte Nachwuchshoffnung
des Landesverbandes an der Seite.
Damit daraus etwas wird, trommelt Voigt ausdrücklich gegen die
Anti-Islam-Parteien Pro Deutschland und Freiheit: "Wir haben kein
Islam-Problem, wir haben ein Ausländerproblem." Ebenso wenige Tage später
in Pankow-Heinersdorf: "Moschee zurückbauen" steht auf dem Transparent, das
zwei junge Männer den Autofahrern auf der Prenzlauer Promenade
entgegenhalten. Vier andere stehen um den Tisch mit dem
NPD-"Landesaktionsprogramm für ein deutsches Berlin" und Aufklebern: "Danke
Schweiz - Minarettverbot auch hier!" Hinter ihnen liegen ein
Kentucky-Fried-Chicken-Restaurant und die Khadija-Moschee. 13 Meter misst
deren Minarett. Die wenigen, die zu Fuß am Wahlkampfstand der NPD
vorbeikommen, lassen sich fast ausnahmslos eine Broschüre in die Hand
drücken. Und zwischen einem Cabrio-Fahrer, der Schimpfwörter brüllt, und
dem Radler, der den Mittelfinger zeigt, gibt es auch einen, der hupt und
freundlich winkt. Die rüden Proteste gegen den Bau der ersten Ostberliner
Moschee hier sind fünf Jahre her. Dabei war damals das gesamte rechte
Spektrum, vom ehemaligen CDU-Bezirksvorsitzenden und heutigen Freiheit-Chef
René Stadtkewitz bis zur NPD.
Wenige Monate später, bei den Wahlen, verabredete die NPD mit den
Republikanern, nicht für die BVV anzutreten. So zog mit 5.000 Stimmen der
einzige Rechte in eine Berliner BVV, der nicht zur NPD gehört: Michael
Rauschenbach für die Republikaner. Doch Rauschenbach ist in den vergangenen
fünf Jahren kaum aufgefallen und war seit 2009 bei vielen Sitzungen gar
nicht mehr anwesend. Seine Republikaner sind in Berlin in der Versenkung
verschwunden oder übergelaufen - meist zu Pro Deutschland.
In Pankow schicken sich nun vor allem NPD und Stadtkewitz an, frühere
Republikaner-Wähler auf ihre Seite zu ziehen. Stadtkewitz will seinen
Heimbonus nutzen und steht auf Platz eins der BVV-Liste seiner Partei. Die
NPD will mit sechs Kandidaten unter 25 Jahren und Uwe Meenen punkten und
hofft, dass dessen Name und Funktion als Landeschef Stimmen bringen. Doch
am Wahlkampfstand vor der Moschee lässt er seine Parteifreunde warten.
Einer guckt auf die Uhr und sagt: "In einer halben Stunde bauen wir ab.
Eigentlich wollte er noch kommen."
8 Sep 2011
## AUTOREN
Sebastian Puschner
## TAGS
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