# taz.de -- EU-Politiker über Wirtschaftspolitik: "Die EU-Bürger wollen den E… | |
> Die Europäische Union braucht eine Wirtschaftsregierung, die auch | |
> Sanktionen verhängen kann. Das meint zumindest der EU-Politiker Guy | |
> Verhofstadt. | |
Bild: Umkämpfte Scheine: Euro. | |
taz: Herr Verhofstadt, Sie haben vor sechs Jahren ein Buch geschrieben mit | |
dem Titel "die Vereinigten Staaten von Europa". Damals wollte davon niemand | |
etwas wissen. Warum sollen wir Ihnen heute zuhören? | |
Guy Verhofstadt: Weil es die Finanzmärkte verlangen. Vor sechs Jahren, als | |
ich das Buch vorgelegt habe, haben die Leute mir gesagt: "Sie spinnen!" | |
Aber heute ist das keine abwegige Idee mehr. Die Angst vor dem Wort | |
"föderal" in Verbindung mit Europa ist verschwunden. Es ist salonfähig | |
geworden. Die Finanzmärkte müssen sehen, dass wir eine starke Wirtschafts- | |
und Steuerunion schaffen. Sonst werden sie nicht an eine Lösung der Krise | |
glauben. Und wir verlieren damit auch unsere politische Rolle in der Welt. | |
In vielen Mitgliedstaaten gibt es nationalistische Tendenzen: etwa in den | |
Niederlanden, Ungarn oder Frankreich. | |
Das stimmt. Aber diese Entwicklung gibt es nur, weil politische | |
Führungspersonen seit 2009 die Rhetorik der Populisten übernommen haben: | |
"Ihr Griechen bekommt kein Geld. Wir helfen nicht." Und da erst hat die | |
Eurokrise wirklich angefangen. Die Finanzmärkte haben gesehen, dass nicht | |
nur die Disziplin in der Eurozone nicht mehr funktioniert, sondern auch die | |
Solidarität zusammenbricht. | |
Wäre es nicht einfacher, die Griechen einfach pleitegehen zu lassen? | |
Nein. Wir müssen den Euro stärken - und zwar aus wirtschaftlichen Gründen. | |
Ein Beispiel: Die Handelsbilanz zwischen Deutschland und Griechenland war | |
immer leicht positiv. Aber mit der Einführung des Euro hat sich der | |
deutsche Überschuss vervierfacht. Vervierfacht! Das müssen Sie sich mal | |
vorstellen. Das ist die Realität. Kein Land kann daran interessiert sein, | |
den Euro zusammenbrechen zu lassen und die alten Währungsgrenzen wieder | |
einzuführen. | |
Für eine Vertragsänderung hin zu mehr EU bräuchten Sie das Ja der | |
Bevölkerung. Bei der Abstimmung über die EU-Verfassung lehnten 2005 die | |
Niederländer und die Franzosen diese ab. Bei einem Referendum würde Ihr | |
Projekt doch scheitern. | |
Vieles könnten wir auf den Weg bringen, ohne die Verträge zu ändern. Ich | |
bin Jurist. Ich sehe da immer Möglichkeiten. Schon jetzt steht in den | |
Verträgen, dass die EU Entscheidungen treffen kann, um die Stabilität des | |
Euro zu gewährleisten. Etwas anderes wäre auch die Wirtschafts- und | |
Steuerunion nicht. Aber ich habe auch keine Angst vor Volksabstimmungen. | |
Ich bin überzeugt, dass die Mehrheit der EU-Bürger den Euro will. | |
Allerdings müsste solch ein Referendum europaweit organisiert werden. | |
Schließlich geht es um europäische Politik. Und dann bekämen auch einzelne | |
nationale Befindlichkeiten weniger Gewicht. | |
Aber auch die Deutschen würden es vermutlich nicht mitmachen, sich von | |
Berlusconi und Papandreou reinregieren zu lassen. | |
Genau deshalb braucht diese neue Union starke Institutionen - unabhängig | |
von einzelnen Regierungschefs. Angela Merkel und Nicolas Sarkozy haben den | |
Fehler gemacht, die Wirtschaftsregierung auf der zwischenstaatlichen Ebene | |
einzurichten - mit läppischen zwei Treffen im Jahr. Das ist doch Blödsinn. | |
Die Staats- und Regierungschefs sind dafür nicht geeignet. Sie sind keine | |
Spezialisten. Eine Wirtschaftsregierung muss sich zweimal in der Woche | |
treffen. Wenn es notwendig ist, auch zweimal am Tag. | |
Wie wollen Sie dieses Gremium organisieren? | |
Ich möchte es in der Europäischen Kommission ansiedeln mit dem Kommissar | |
für Wirtschaft und Währung an der Spitze. Dieses Gremium muss die Macht | |
bekommen, direkt Sanktionen gegen Mitgliedstaaten zu verhängen, wenn sie | |
sich nicht an die Regeln für einen stabilen Euro halten. | |
Das hieße Entmachtung der nationalen Regierungen. Erhalten Sie dafür | |
Unterstützung in Berlin und Paris? | |
Das werden wir sehen. Der holländische Premierminister Rutte hat ähnliche | |
Ideen wie ich. Auch Schäuble will eine weitergehende europäische | |
Integration. Das ist ein Anfang. Im Wettbewerbsrecht funktioniert es ja | |
auch. Glauben Sie ernsthaft, nur ein einziges privates Unternehmen, das | |
gegen den fairen Wettbewerb verstößt, würde zu Strafzahlungen verurteilt, | |
wenn die Mitgliedstaaten darüber entscheiden müssten? Das klappt nur über | |
die EU-Kommission. Das brauchen wir auch für den Euro. | |
Dafür bräuchten es eine starke EU-Kommission. Ihr Präsident José Manuel | |
Barroso tanzt den Mitgliedstaaten aber nach der Pfeife. | |
Ich will ihn nicht kritisieren. Aber wir dürfen unsere Entscheidungen nicht | |
von einer konkreten Person abhängig machen. Hier geht es um langfristige | |
Maßnahmen. | |
11 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Ruth Reichstein | |
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