# taz.de -- Die Wahrheit: Ein zärtlicher Grantler | |
> Es ist schon etwas recht eigentlich Wundersames um diesen Eckhard | |
> Henscheid, der da heute zu Amberg im Oberpfälzischen seinen Ehren-... | |
Bild: Der Publizist und Politiker Gerhard Zwerenz. | |
...und Freudentag, sein siebzigstes Wiegenfest zu begehen sich anschickt. | |
Ein Anlass zu dankbarer Heiterkeit bzw. heiterer Dankbarkeit nicht nur für | |
ihn, den rüstigen, ja durchaus kreglen Jubilar selbst, sondern fraglos auch | |
für uns, seine Leser und Gefolgsleute, die wir in ihm einen allerersten | |
Meister unseres neueren schöngeistigen Schrifttums auf das innigste | |
verehren. Jawohl. Genau. | |
Was hat es denn aber mit dem Henscheid auf sich bzw. was hat er | |
Rühmenswertes geleistet? Nun, vor allem und zuvörderst hat er natürlich | |
ausnehmend viele ausnehmend schöne Bücher geschrieben, doch dazu später | |
mehr. Dann auch hat er mit seinen Kombattanten und Konföderierten | |
Gernhardt, Bernstein, Waechter, Knorr, Poth, Traxler und Eilert seinerzeit | |
in den 60ern des vergangenen Säkulums die sagenumwobene "Neue Frankfurter | |
Schule" formiert und damit wie von ungefähr eine literärische Stilepoche | |
eröffnet, die wir hier mal vorderhand als Renaissance der Hochkomik | |
bezeichnen und etikettieren wollen. | |
Und bei dieser Gelegenheit haben die Genannten unsere bundesdeutsche | |
Nachkriegskultur - hast du nicht gesehen! - wie zauberisch entkrampft bzw. | |
erlöst. Erlöst? Sowieso, erlöst. Später hat Henscheid mit seinen Spezln und | |
Spießgesellen noch die Zeitschrift Titanic begründet, jenes Flaggschiff der | |
Satire und Sinnfreiheit, und darin insbesondere die verdienstvolle Rubrik | |
"Humorkritik" eingerichtet, die er hernach jahrzehntelang vorbildlich | |
betreut hat. Und apropos Neue Frankfurter Schule: Gerade beim Henscheid | |
sind ja dann tatsächlich viele von uns Jüngeren in die Schule gegangen, mit | |
wechselnden Erfolgen… | |
Andere wiederum haben einfach nie gerafft und geschnallt, was der Henscheid | |
für einer ist und was wir an ihm haben. Der Prof. Habermas zum Exempel hat | |
ihn einen "Wirrkopf" geheißen, der H.-D. Hüsch ihn einen "Stalinisten" | |
geschimpft, und dem M. Reich-Ranicki ist gleich rein gar nichts zum | |
Henscheid eingefallen. | |
Aber dafür ist dem Henscheid manches zum Reich-Ranicki eingefallen, und zum | |
Habermas und zum Hüsch auch - du lieber Himmel, haben wir lachen müssen, | |
als wirs gelesen haben; und wenn wir zuzeiten besonders be-, ja | |
niedergedrückt sind von dieser "Verlags- und Gauner- und Deppenwelt" | |
(Henscheid) und eines Trostes eminent bedürftig, dann lesen wirs noch mal | |
nach und lachen wieder und immer wieder. | |
Na gut, na ja, ein arger Grantler ist er schon, der Henscheid, alles was | |
recht ist; er grantelt bisweilen und mosert und zieht vom Leder, dass es | |
eine Art hat; aber er schimpft und schäumt sozusagen nie ganz ungeneigt, | |
vielmehr mit "zärtlicher Langsamkeit" (Nietzsche), sodass uns Wesen & | |
Wirken seiner Opfer, seiner Lieblingstörinnen und -toren (L. Rinser, H. | |
Böll, H. Küng, G. Zwerenz und all die anderen) irgendwie letztlich doch | |
sehr einleuchten und wir sie beinahe lieb gewinnen. | |
Wenn auch freilich nicht so lieb wie Henscheids Favoriten und Hausheilige, | |
etwa den Freiherrn von Eichendorff oder Karl Valentin oder F. W. Bernstein, | |
die er auf das Schönste und Affinste gerühmt und gefeiert und erklärt hat. | |
Und Henscheids eigene Schriften? All die Romane, Erzählungen, Idyllen, | |
Märchen, Gedichte, Aufsätze, Glossen, die der große Amberger bislang | |
unablässig und scheints unermüdlich zutage gefördert hat? Ja, "Henscheid | |
ist ein Erdteil", wie sein Kollege Martin Mosebach, gepriesen sei er | |
seinerseits, vor Jahren schon neidlos erkannte und aussprach. Was also | |
sollen wir bloß herausgreifen aus der schier inkommensurablen | |
Henscheidschen Fülle und Mannigfaltigkeit an Formen, Tönen, Sprachgesten - | |
im leider allzu beschränkten Rahmen eines Festtagstuschs? | |
Vielleicht - bei aller Anerkenntnis und Würdigung gerade der stilistischen | |
Bandbreite und des Kontrastreichtums in Henscheids OEuvre - beschränken wir | |
uns vorläufig auf ein extradickes Lob jener Erzählpassagen des Meisters, | |
die uns denn doch die allerliebsten sind und in denen er, so wills uns | |
bedünken, vollends und gänzlich zu sich selbst kommt: die anrührend zarten, | |
innig-lyrischen nämlich, die ja auch schon Arnold Schönberg an Gustav | |
Mahlers Werk zu rühmen wusste ("aber zum Schönsten gehören die zarten, | |
duftigen Klänge …"). | |
Man denke beispielsweise an Großmutters Heimgang in Frau Killermann greift | |
ein oder an des kindlich-reinen Toren Hermann Einkehr in die | |
Pensionsgaststätte Hubmeier in der Entengasse in Maria Schnee oder an Karl | |
Roßmanns Begegnung mit dem grau gescheckten Kätzchen (überhaupt die | |
Henscheidschen Tiere, diese persönlichen Lieblingserlöser des Autors!): | |
"Karl setzte sich aufrecht in sein Bett, das Kätzchen sah ihn stärkend | |
nochmals an mit Nachdruck. Da fühlte Karl es und wußte es, daß dies | |
mitnichten alles Unsinn sei und als ein Unsinn rasch vergänglich, in Nichts | |
und Staub ja schon zerfalle; sondern das Erz der reinen Wahrheit." | |
Ist der gefürchtete Polemiker Henscheid zuletzt gar ein Idylliker und | |
Nostalgiker? In seiner Prosa klingen klassische Vorbilder und Inspiratoren | |
- die Brüder Grimm, Eichendorff, Dostojewski, Kafka - natürlich immer | |
wieder an, aber das alles ist eben nie einfach herbeizitiert & montiert | |
(postmodern? ach geh!), wird nie zum bloßen "Material" degradiert; es ist | |
immer neu behaucht und belebt, zudem streng funktionalisiert. | |
Das "altdeutsch Gemüthafte", von dem Henscheid einmal sagt, in ihm sei | |
"trotz allem eher verweilen als weißgott sonst wo", tönt in seinen Texten | |
wohl traut, nie aber heimelig-folkloristisch; es macht immer | |
Bewusstseinsschichten und -zustände der Figuren anschaulich, situiert diese | |
in einer konkreten, auch geschichtlichen Wirklichkeit. | |
Wahr ist aber sicherlich auch dies: Der Kämpfer Henscheid, der sich der | |
Wirrnis, der Idiotie und dem "schweren allseitigen Niedergang" allweil | |
beherzt entgegenwirft, kennt sehr wohl auch das Besänftigende & Trostreiche | |
und weiß es zu beschwören wie selten einer. | |
Er lebe hoch, er lebe lang, der Eckhard Henscheid, auf dass er noch oft, | |
wie gewünscht, die Oberon-Ouvertüre hören könne und das Posthorn-Solo aus | |
Mahler 3,3 und das Adagio mesto aus Brahms op. 40, vor allem Takt 59 und | |
63; und wir selbst wollen auch noch eine Weile durchhalten, damit wir noch | |
viele Male lesen können: Henscheids Geht in Ordnung - sowieso -- genau --- | |
und Die Mätresse des Bischoffs und Roßmann, Roßmann und Wie Max Horkheimer | |
einmal sogar Adorno hereinlegte und Frau Killermann greift ein und Die | |
Wurstzurückgehlasserin und Große Wut und Die Postkarte und Maria Schnee und | |
Kleine Poesien und Auweia und… | |
14 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Christian Maintz | |
## TAGS | |
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