# taz.de -- Aufstieg einer Protestpartei: Lass mich dein Pirat sein | |
> Fünf Jahre nach ihrer Gründung stehen die Piraten vor dem Einzug ins | |
> Abgeordnetenhaus. Umfragen sehen sie bei bis zu 9 Prozent - für Renate | |
> Künast keine gute Nachricht. | |
Bild: Ein neuer Anblick: Kandidaten der Piratenpartei machen Wahlkampf in Berli… | |
BERLIN taz | Seit einer Woche etwa häufen sich die Fälle. Da ist der | |
Kollege, bislang Grünen-Wähler, der laut überlegt, seine Stimme bei der | |
Berliner Landtagswahl am Sonntag der Piratenpartei zu geben. Da ist die | |
Freundin, die über ihrem Briefwahlzettel grübelnd auf einmal findet, man | |
müsse doch den etablierten Parteien zeigen, dass es so nicht weitergehe, | |
und aus Protest Piraten wählen. Da ist der Typ auf der Party, der meint, er | |
habe auch schon gewählt - ja, genau, Piraten. Ähm, was ist da eigentlich | |
los in Berlin? | |
Beginnen wir von vorn, denn am Anfang sind die Meinungsforscher. Mitte | |
August steht in der sechsten Spalte der Wahlumfragen, nach CDU, SPD, | |
Grünen, FDP und Linkspartei auf einmal nicht mehr nur "Sonstige", sondern | |
auch "Piraten". Dahinter: 4,5 Prozent. Und mit den darauffolgenden Umfragen | |
klettern die Werte weiter, über die Fünfprozenthürde hinweg, unter der die | |
Stimmen für viele Wähler als verschenkt gelten. Fünf Prozent, fünfeinhalb, | |
sechs, sechseinhalb und jetzt auf einmal neun. Hallo, Abgeordnetenhaus! | |
Für eine Partei fünf Jahre nach ihrer Gründung, die bundesweit noch in | |
keinem einzigen Landesparlament vertreten ist, die in Berlin nicht einmal | |
auf bezirklicher Ebene in den Parlamenten sitzt, die Unterschriften sammeln | |
musste, um überhaupt zur Wahl antreten zu dürfen, ist das ein einzigartiger | |
Umfragewert. Und es ist ein Wert, der die politische Landschaft in Berlin | |
und nicht nur dort neu mischen könnte: Wann zog denn zum letzten Mal eine | |
neue Partei ins Landesparlament? Wann zog überhaupt zuletzt eine neue | |
Partei in ein Landesparlament? Eine komplett neue, keine umbenannte oder | |
fusionierte. Eben. | |
So ganz aus dem Nichts kommt die Piratenpartei trotzdem nicht: Bei der | |
Europawahl im Sommer 2009 bekommt sie in Berlin 1,4 Prozent, bei der | |
Bundestagswahl einige Monate später sind es stadtweit schon 3,4 Prozent. | |
Monatelang explodieren daraufhin die Mitgliederzahlen, aus der kleinen | |
60-Personen-Partei, wo man sich nicht nur mit bürgerlichem Namen kennt, | |
sondern auch per Nickname und favorisierter Biermarke, wird innerhalb eines | |
halben Jahres ein Verband mit über 700 Mitgliedern. Knapp über tausend sind | |
es heute. | |
## Reiz des Unbekannten | |
Der Piratenpartei ist bewusst, dass sie noch den Charme des Neuen hat. Des | |
Dagegenseins, des Protests, des Sichverweigerns. Nicht umsonst werden die | |
Kandidaten nicht müde zu betonen, dass vor allem die Nichtwähler ihre | |
Zielgruppe sind. Die sie, so die ganz altruistische Argumentation, | |
gleichzeitig an die Demokratie heranführen möchten. | |
Die Meinungsforscher sagen aber auch etwas anderes: Zunehmend verlieren die | |
Grünen Wähler an die Piratenpartei. Mit dem Protestgedanken würde das ganz | |
gut zusammenpassen, schließlich begannen die Grünen einst als Partei des | |
Dagegenseins und sind jetzt auf einmal auffallend dafür. Vor allem dafür, | |
in die Regierung zu kommen, das ist in Berlin nicht anders als in anderen | |
Ländern und im Bund. | |
Was bleibt bei den Piraten, wenn man das Protestpotenzial abzieht? | |
Fundierte Ideen in Sachen Bürgerbeteiligung, Transparenz und Netzpolitik. | |
Schwarze Löcher bei wirtschafts-, finanz- und umweltpolitischen Themen. | |
Forderungen, die stark in Richtung Utopie gehen im hoch verschuldeten | |
Berlin, wie eine kostenlose Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs - | |
"fahrscheinlos" heißt das im Wahlprogramm, weil es Bus und Bahn natürlich | |
trotzdem nicht umsonst gibt. Eine Landesliste, auf der zwischen 14 Männern | |
nur eine einzige Frau steht, zuständig für - Achtung Klischee! - Jugend. | |
## An Ego mangelt es nicht | |
## | |
Das Selbstbewusstsein der Piraten ist groß. Schon als die Umfrage mit den | |
4,5 Prozent noch weit entfernt war, gab es einzelne Gedanken in Richtung | |
Koalitionsverhandlungen und die Frage, wie unverzichtbar für das eigene | |
Profil denn einzelne Programmpunkte seien und bei welchen man in | |
Verhandlungen auch ein paar Zugeständnisse machen könnte. | |
Doch sollten sich die steigenden Umfragewerte am Sonntag bewahrheiten, | |
hätte die Piratenpartei in einer Frage womöglich nicht genug | |
Selbstbewusstsein an den Tag gelegt: Die 15 Kandidaten auf der Landesliste | |
reichen - je nach Ergebnis der anderen Parteien und der Überhang- und | |
Ausgleichsmandate - für etwa 10 Prozent der Wählerstimmen. Für Abgeordnete, | |
die umziehen oder ihr Mandat niederlegen, gäbe es keine Nachrücker. | |
"Unser Ziel ist der Einzug ins Abgeordnetenhaus", gibt sich der | |
Pressesprecher bescheiden. Man werde schon in den ersten Sitzungen von den | |
Piraten hören, eine Schonfrist gebe es nicht, sagt Spitzenkandidat Andreas | |
Baum. Klar ist: Zumindest die Wähler, die die Piratenpartei aus Protest | |
oder wegen des Charmes des Neuen wählen, müssen bei einem Erfolg der | |
Piraten wohl eine neue Partei gründen. In fünf Jahren kann man deutlich | |
altern. | |
16 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
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