# taz.de -- Grüne nach Berlinwahl: Der Traum ist aus | |
> 5 Prozent mehr und doch verloren: Die Kandidatur Renate Künasts weckte | |
> himmelhohe Erwartungen. Jetzt sind die Grünen in der Realität gelandet. | |
Bild: Geschwächt zurück in die Bundespolitik: Renate Künast. | |
BERLIN taz | Renate Künast sieht müde aus, als sie in rotem Blazer vor ihre | |
Parteifreunde tritt, um das Ergebnis zu kommentieren. Sie beglückwünscht | |
ihre WahlkämpferInnen, schildert, wie sie fünf Jahre für die Abwahl des | |
rot-roten Senats gekämpft hätten. "Ihr habt gefightet", ruft sie in die | |
applaudierende Menge, die dicht gedrängt im Festsaal Kreuzberg steht, | |
mitten im Berliner Urkiez der Grünen. "Und das eine habt ihr geschafft." | |
Rot-Rot, wenigstens dafür reicht es nicht mehr. Was sie nicht geschafft | |
haben, deutet Künast nur an. Denn für die Grünen ist es ein zwiespältiges | |
Ergebnis. Von 13,1 Prozent bei der vorherigen Wahl auf knapp 18, das ist | |
ein Sieg. | |
Künasts Problem ist nur, dass sie nicht an ein paar Prozentpunkten mehr | |
gemessen wird. Sondern am Platzen eines grünen Traums. Selten war die | |
Partei mit so großen Hoffnungen in einen Landtagswahlkampf gestartet. Vor | |
einem knappen Jahr war Künast angetreten, Klaus Wowereit aus dem Amt zu | |
jagen, ihre Partei lag in Umfragen bei 30 Prozent, das Grüne Rathaus schien | |
zum Greifen nah. Die Erwartungen in ihrer Partei und in den Medien waren | |
himmelhoch. | |
Angesichts dessen ist Künast krachend in der Realität gelandet. Ihr | |
Ergebnis liegt in einer extrem Grünen-affinen Stadt sogar noch unter dem | |
Bundestrend, sie schaffte nur Platz 3 hinter der bräsigen CDU. Eine | |
strahlende Gewinnerin sieht anders aus. Dennoch ist wahrscheinlich, dass | |
Wowereit mit den Hauptstadt-Grünen regiert. Der Fraktionschef der Berliner | |
Grünen, Volker Ratzmann, bringt seine Partei am Abend schon in Stellung. | |
Wowereit müsse sich jetzt entscheiden, sagt er: "Mit den Grünen in die | |
Zukunft oder mit der CDU zurück in die 90er zu Diepgen und Landowsky." | |
Eberhard Diepgen und Klaus-Rüdiger Landowsky, das waren Protagonisten der | |
großen Koalition, die die Stadt in den 90ern lähmte. | |
## Krampfhaft kämpfende Künast | |
Die eine Ursache für Künasts Drama gibt es nicht. Im Wahlkampf kamen Pech - | |
etwa in Gestalt betrunkener Wahlkampfmanager -, aber vor allem massive | |
strategische Fehlplanungen und Schwächen der Kandidatin zusammen. "Aus | |
diesem Wahlkampf wird der ganze Laden viel lernen", schwante es der | |
Parteispitze schon vor Wochen. | |
Zuallererst der Kandidatin selbst. Die krampfhaft kämpfende Künast kam | |
gegen den aufreizend entspannten Wowereit einfach nicht an. Sie wird - wie | |
angekündigt - nicht in die Berliner Landespolitik gehen, sondern | |
Fraktionsvorsitzende im Bundestag bleiben. Doch die Rückkehr zum Status quo | |
ist unmöglich. Künasts Ausflug hat die Gewichte im Kräfteverhältnis des | |
grünen Führungsquartetts im Bund verschoben. Sie reiht sich geschwächt | |
neben den beiden Parteivorsitzenden Claudia Roth und Cem Özdemir und ihrem | |
Amtskollegen Jürgen Trittin wieder ein. | |
Besonders Trittin profitiert. Während Künast in Tempelhof oder | |
Friedrichshain Flyer verteilte, profilierte er sich als starke Stimme in | |
der Eurokrise und Wortführer der Opposition im Bundestag, immer wieder | |
zerlegte er rhetorisch die Politik der Kanzlerin, zog genüsslich über die | |
Unfähigkeit ihres Wirtschaftsministers her. | |
Auch die Partei wird Lehren aus Berlin ziehen. Eine der wichtigsten ist, | |
wie verstörend in der Wählerschaft die Aussicht auf eine Koalition mit der | |
CDU wirken kann. Künasts erklärtes Ziel, Regierende werden zu wollen, war | |
am Ende nur noch mit der CDU zu verwirklichen, was linke WählerInnen | |
scharenweise zur SPD oder den Piraten trieb. Dieser Effekt erwies sich als | |
Falle für Künast. Und half den Piraten zum ersten Einzug in ein | |
Landesparlament in der deutschen Geschichte überhaupt. | |
## Grüne hatten sich mehr erhofft | |
"Wegen des Bürgermeisteramtes auf Grün-Schwarz zu beharren war der | |
Genickschuss", analysiert ein Stratege in der Parteizentrale vor einigen | |
Tagen. Und: Das Bekenntnis Künasts zu Rot-Grün zehn Tage vor der Wahl | |
machte es nur schlimmer. Im Fernsehduell mit Wowereit wirkte es wie ein | |
panischer Rückzieher, der nur darauf zielte, die Verschreckten | |
zurückzuholen. | |
Entsprechend klang der Jubel im Festsaal Kreuzberg etwas bemüht, als die | |
ersten Hochrechnungen über den Bildschirm liefen. Auch Landeschef Daniel | |
Wesener applaudiert, verzieht dabei aber keine Miene. "Das beste Ergebnis, | |
das wir in Berlin je hatten", kommentiert er. Und schiebt nach: "Aber es | |
bleibt natürlich hinter den Erwartungen zurück." So geht es wohl den | |
meisten hier. | |
Eine weitere Lehre wird deshalb sein, Erwartungen von Öffentlichkeit, | |
Parteifreunden und Medien vorsichtiger zu managen und rechtzeitiger | |
herunterzudimmen. Die euphorische Ankündung vor einem Jahr, Wowereit das | |
Rathaus abzunehmen, sieht mancher Grüner im Nachhinein als Fehler - weil | |
sie unterschätzte, wie stark die SPD in der Stadt verankert ist, wie stark | |
der Sozialdemokrat auf der Straße wirkt, wie wenig aussagekräftig frühe | |
Umfragen sind. | |
Auch wenn es im Moment nicht so aussieht, als wollten die Grünen jemals | |
einen Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl küren, nach dieser Wahl | |
werden sie es sich noch besser überlegen. Wahr ist, dass diese Wahl ein für | |
die Grünen sensationelles Jahr beendet: In Baden-Württemberg übernahmen sie | |
die Regierung, in Sachsen-Anhalt zogen sie in den Landtag ein und | |
verdoppelten ihr Ergebnis, in Rheinland-Pfalz verdreifachten sie es und | |
regieren mit der SPD, in Mecklenburg-Vorpommern schafften sie es zum ersten | |
Mal ins Parlament. Wahr ist aber auch, dass in diesem letzten Sieg ein | |
Scheitern liegt. | |
18 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
S. Alberti | |
K. Litschko | |
U. Schulte | |
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