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# taz.de -- Siegfried Neuenhausen macht "soziale Kunst" in Hannover: Der Künst…
> Hannover-Hainholz gilt als Problembezirk. Der Künstler Siegfried
> Neuenhausen hat zusammen mit den Bewohnern des Viertels einen Platz
> gestaltet - unter Rückgriff auf die Idee der "sozialen Plastik" von
> Joseph Beuys.
Bild: Neuenhausen und die "Hainhölzer Schuhe" auf dem neu gestalteten Figurine…
Auf dem zentralen Figurinenplatz in Hannover-Hainholz steht ein neues
Kunstwerk. "Hainhölzer Schuhe" heißt es, der Künstler Siegfried Neuenhausen
hat es dem Stadtteil feierlich übergeben. Gestaltet wurde es von Menschen
aus Hainholz, darunter zehn arbeitslosen Frauen, die für die Reliefkacheln
ihre Lieblingsschuhe aussuchten. Wenn ein Motiv über zwei Kacheln lief,
mussten sich die Gestalterinnen absprechen - Neuenhausens Konzept.
Seit fast dreißig Jahren wohnt und arbeitet der renommierte Künstler im
Stadtteil Hainholz, etwa dreieinhalb Kilometer vom Zentrum Hannovers
entfernt. Bereits 2001 hat die Stadt Hannover den Stadtteil für
sanierungsbedürftig erklärt. Doch die Mühlen der städtischen Planung mahlen
langsam. Immer noch prägen verlassene Gebäude das Bild.
Die zentrale Straße, eine typische Stadtausfallstraße, führt an einfachen
Mehrfamilienhäusern entlang, an Produktionshallen von Zulieferbetrieben,
Möbelketten, Discountern, Baumärkten und einem Gefängnis. Siegfried
Neuenhausen ist in Turnschuhen unterwegs. Stoppt.
"Hier war bis vor kurzem noch ein Sportgeschäft. Das lief seit vielen
Jahren. Jetzt ist es zu." Der 79-Jährige legt sich die Hand über die Augen
und versucht, durch die blinde Glasscheibe zu blicken. Auf seiner
"Hainholz-Meile", wie er die Straße liebevoll nennt, mache ein Geschäft zu
und ein - meist internationaler - Imbiss auf und umgekehrt.
In Hainholz leben aktuell 6.664 Menschen, sie stammen aus 85 Ländern. Mehr
als zwei Drittel davon sind unter 17 Jahren. Und mit insgesamt 27,5 Prozent
bezieht fast jeder dritte Einwohner hier Transferleistungen und Hilfe zum
Lebensunterhalt. Das Konzept zur Sanierung wurde 2005 beschlossen. Seitdem
wird gebaut.
Als Neuenhausen 1983 sein Atelier in der ehemaligen "Kornbrennerei August
Schmidt" eröffnete, baute er den Gebäudekomplex in eine Künstler- und
Ateliergemeinschaft um. "Das war quasi meine erste Hainholz-Aktion", sagt
Neuenhausen.
Die ehemalige Brennerei ist der zentrale Ort, das Herz der Kunst, die
Neuenhausen für Hainholz schuf. Hier entstanden die überlebensgroßen,
farbenfrohen Skulpturen "Dame und König" für den Figurinenplatz und auch
die sieben Artikel des Grundgesetzes, die auf Fliesen geprägt in den Boden
eingelassen sind. Alle Teile sind Unikate - gefertigt von 80 Einwohnern des
Stadtteils unter der Anleitung Neuenhausens und seiner Mitarbeiter.
Für eine Skulptur in Planung formten junge und alte Menschen vieler
Nationalitäten 72 Selbstportraits zu einem Relief auf tönernen Kacheln.
Neuenhausen würde ihr gerne die Widmung "Dem Stadtteil seine engagierten
Bürger" verpassen. Doch noch ist der Ort, an dem die Skulptur stehen soll,
der "Park der Generationen", nicht fertiggestellt.
Während die Bewohner des Stadtteils bei der Gestaltung der Selbstportraits
frei waren, musste Neuenhausen für die ringförmigen Keramik-Elemente, aus
denen die Figurinen "Dame und König" bestehen, genaue Vorgaben machen.
"Hier kam es nicht nur auf Kommunikation an, sondern auch auf große
Präzision", sagt er. Doch die Namen der Leute wurden auf der Eisenplatte im
Boden verewigt. "Auf diese Weise sind sie für immer mit dem Werk
verbunden."
Seit er Anfang der 1960er Jahre als Kunsterzieher arbeitete, beschäftigt
sich Neuhausen mit der Vermittlung von Kunst. 1964 erhielt er eine
Professur an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig.
"Meine frühe Berufung, mit 33 Jahren, das hatte alles mit meinem
kunstpädagogischen Engagement zu tun, das ich hier in Niedersachsen, als
Referendar in Papenburg, entwickeln durfte. Einer der nur Kunst macht,
kommt da nicht weiter", sagt er.
Neuenhausen arbeitete mit Psychiatrie-Patienten, er lernte, gemeinsam mit
Insassen der JVA Bremen Steinskulpturen zu fertigen und baute in Hannover
überlebensgroße Arbeiterplastiken mit Häftlingen, die im "Hotel zur Kugel"
einsaßen, wie die JVA in Hainholz wegen eines inzwischen abgerissenen,
runden Gasspeichers hieß. "Das sind die Vorläufer der Hainholz-Projekte",
sagt er. "Das ganze Know-how, das Handling, habe ich mir da angeeignet."
Als Neuenhausen von den Sanierungsplänen in Hainholz erfuhr, warb er bei
Nachbarn, Stadtplanern und Kulturgruppen "Wenn ihr hier saniert, müsst ihr
auch an die Kunst denken!" Er traf auf offene Ohren und sammelte auf eigene
Faust Geld von öffentlichen und privaten Sponsoren für seine Projekte.
Es ist eine arbeitsreiche Zeit für Neuenhausen. Gerade lief eine
Ausstellung seiner Arbeiten im Kunstverein Hannover, wo er er seine
typischen kleinen Bronze-Figuren als Menschen-Massen installierte. Im
Sprengel Museum Hannover stehen seine großen gesellschaftskritischen
Plastiken, wie "Die Bürger von B.", eine Gruppe Menschen ohne Gesicht,
voneinander abgewandt.
Als Künstler bildet Neuenhausen ab, im Leben will er sich einmischen. "Als
Hainholzer möchte ich Gemeinschaft stiften und individuelle, künstlerische
Erfahrung ermöglichen", sagt er. Der Beuyssche Begriff der "sozialen
Plastik" schwingt da mit. "An diesem Stadtteil möchte ich exemplarisch
zeigen, was Kunst, die man zusammen macht, bewirken kann."
Als erste Aktion, die er nur mit Künstlern durchführte, entstand 1991 die
achtzig Meter lange "Bilderwand" gegenüber seiner Kornbrennerei. Da, wo die
"Hainholz-Stele" steht, mit Themen aus dem Stadtteil und seiner
unterschiedlichen Bewohner, ist ein Platz, ein Treffpunkt entstanden.
Riesige Fahnen, genäht von Jung und Alt, haben einen Sommer lang an der
ansonsten unspektakulären Straße geweht.
Manche haben sich bei Wind und Wetter wie Gebetsfahnen verbraucht. Einige
hatten ihr Revival bei der Enthüllung der beiden Figurinen jetzt im
September. Die Nähmaschinen gingen danach an eine Nähwerkstatt von
Selbstständigen im Stadtteil. Aus der Frauengruppe, die die Schuhfliesen
formte, fanden zwei Arbeit. Das ist nicht die Quote, die sich Jobcenter
wünschen, aber Neuenhausen weiß, dass die Frauen die gemeinsamen drei
Monate nicht mehr missen möchten.
Hans Cronau, bei der Stadt Hannover zuständig für Stadtsanierung, sieht mit
Aktionen wie diesen "den Stadtteil für seine Aufgabe qualifiziert und die
Menschen entsprechend ihren Fähigkeiten begleitet", wie es das
Sanierungskonzept vorschreibt. Mit Förderprogrammen, die Namen trugen wie
"Soziale Stadt", wurden für Hainholz bisher 8,3 Millionen Euro ausgegeben.
Der Gesamtbedarf wurde mit 23 Millionen Euro errechnet. Da die Bundesmittel
stark gekürzt wurden, können wohl nicht alle Planungen umgesetzt werden.
Obwohl die Lage nicht so drastisch sei, wie befürchtet, "ist die Situation
noch unbefriedigend", so Cronau. Aktuell berät der Bund über die jährlich
zu bewilligenden Mittel.
Neuenhausens Problem ist das nicht. Er muss jetzt den Katalog und die
Abrechnung für den Figurinenplatz machen. "Das sind so viele Aktenordner",
zeigt er mit ausgetreckten Armen. "Das mache ich selbst." Und dann geht er
die Treppe hoch in seine Wohnung, zu seinem Schreibtisch. Gleich daneben
eine kleine Bibliothek.
Auf einem Tisch steht das Hänge-Modell seiner nächsten Ausstellung - eine
Retrospektive seiner Projekte im Kubus in Hannover. Sei eröffnet im
Dezember, dann wird er 80.
21 Sep 2011
## AUTOREN
Beate Barrein
## TAGS
Wolfenbüttel
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