# taz.de -- Verdi-Bundeskongress in Leipzig: Willkommen bei den Dinosauriern | |
> Jung rebelliert gegen Alt - zumindest für kurze Zeit. Der Nachwuchs ist | |
> unzufrieden über die berufliche Situation. Verdi lernt was über ihr | |
> Nachwuchsproblem. | |
Bild: Fühlen sich ungerecht behandelt: Junge Arbeitnehmer. | |
LEIPZIG taz | "Hier ist noch ein Platz für einen grauen Dinosaurier". Die | |
Gewerkschafter, die am Mittwochmorgen mit der Straßenbahnlinie 16 wie jeden | |
Tag zum etwas außerhalb gelegenen Messegelände fahren, auf dem der | |
Verdi-Bundeskongress stattfindet, brechen in Lachen aus. "Das schöne ist, | |
irgendwann werden sie selbst zum Dinosaurier", sagt ein geschätzt | |
50-Jähriger, dem das typische Verdi-Schlüsselbändchen samt Zutrittskarte | |
für das Messegelände um den Hals baumelt. | |
"Sie", das ist die Verdi-Jugend. Einen Tag zuvor war es auf dem ruhigen und | |
konfliktfreien Verdi-Bundeskongress in Leipzig erstaunlich hoch her | |
gegangen: Jugend gegen Alte lautete der Schlachtruf - zumindest so verstand | |
es der eine oder die andere. Die junge Verdi-Kongressdelegierte Lydia | |
Taubert aus Leipzig rief den Älteren im Saal zu: "Dinosaurier sterben über | |
die Zeit einfach irgendwann aus und wir rücken nach." Die so Angesprochenen | |
quittierten die Debatte teils mit Heiterkeit, teils mit deutlicher | |
Verschnupftheit und Buh-Rufen. | |
Die Verdi-Jugend hatte ein Veto-Recht in Tarifkommissionen gefordert. | |
Hinter der Forderung stecke der Frust, bei Tarifabschlüsse für alle | |
Beschäftigten immer mal wieder übergangen zu werden: "Die Forderungen der | |
Jugend werden nicht mal bei den Arbeitgebern eingebracht. Das stinkt mir | |
einfach gewaltig", ruft die junge Delegierte Tanja Aumer selbstsicher und | |
in schönstem bayerischem Dialekt den rund 1.000 Delegierten entgegen. Der | |
Nachwuchs will beispielsweise, dass Übernahmegarantien für Azubis in | |
Tarifverträge verhandelt werden und sich die Verdianer gegen abgesenkte | |
Azubi-Entlohnungen und -Standards stemmen - so, wie sie die deutsche Post | |
AG mittlerweile in ihrer Billigtochter First Mail praktiziert. | |
Wenn es um neue Löhne und Arbeitsbedingungen geht, ist die Jugend mit | |
mindestens zwei Vertretern in den Verdi-Tarifkommissionen vertreten. Doch | |
das reicht ihnen nicht: "Ich bin derjenige, der zu den Azubis geht und | |
sagt: Wir konnten das leider nicht durchsetzen, die Grauen wollten nicht | |
mitgehen", beschreibt Benjamin Wermuth aus München das Dilemma von | |
gemeinsamen Verhandlungen für Jung und Alt. Durch den Saal tönen ein | |
merklich entrüstetes Raunen, aber auch einzelne Lacher von "den Grauen". | |
## Die Starken stützen die Schwachen | |
Ein Veto-Recht bei Tarifverhandlungen? Das ist für Verdi ein rotes Tuch. | |
Schließlich kratzt das Begehren an einem Selbstverständnis der | |
Gewerkschaft: die Starken stützen die Schwachen, niemand schert im Betrieb | |
mit tariflichen Sonderforderungen aus. | |
Schmerzhaft musste die Gewerkschaft in den vergangenen Jahren feststellen, | |
dass dieser Appell oft nicht mehr trägt: Viele Ärzte oder Piloten haben der | |
Organisation mittlerweile den Rücken gekehrt, kämpfen in ihren | |
Berufsgewerkschaften Marburger Bund oder Cockpit nur noch für ihre | |
Ständeinteressen, nicht mehr auch für die Löhne der Krankenschwestern oder | |
Stewardessen. | |
Dazu könnte es in Zukunft noch häufiger kommen. Die "rechtlichen | |
Rahmenbedingungen zur Verteidigung der Tarifeinheit in den Betrieben" seien | |
seit dem letzten Bundeskongress sehr viel schwieriger geworden, hatte | |
Verdi-Chef Frank Bsirske gewarnt. Hintergrund ist, dass das | |
Bundesarbeitsgericht im Juni 2010 die jahrzehntelang praktizierte Leitlinie | |
"Ein Betrieb - ein Tarifvertrag" für hinfällig erklärt hatte. Die | |
Verdi-Spitze unterstütze daraufhin eine gemeinsame Initiative des | |
Arbeitgeberverbandes BDA und des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), die | |
den Gesetzgeber dazu aufforderte, die Tarifeinheit per Gesetz wieder | |
herzustellen. | |
Daraufhin brach an der Verdi-Basis, in den Fachbereichen und Bezirken ein | |
Sturm der Entrüstung los. Verdi musste seine Unterstützung für die | |
DGB-BDA-Initiative beim Gewerkschaftsbund zurückziehen. Die Gewerkschafter | |
sahen in einem neuen Gesetz zur Tarifeinheit Einschränkungen des | |
Streikrechts herauf ziehen. | |
Nun ist die Organisation ganz auf ihre eigene Fähigkeit zurückgeworfen, zu | |
überzeugen. "Es wird umso wichtiger sein, Beteiligung zu bieten und zu | |
konkretisieren, wo und wie wir Unterschieden zwischen den | |
Beschäftigtengruppen tarifpolitisch gerecht werden können", forderte | |
Bsirske seine Gewerkschaft auf. | |
Mit einer scharfen Replik antwortet derweil Bundesvorstandsmitglied Andrea | |
Kocsis auf die Jugendlichen. Ihr Fazit: "Ein Vetorecht der Jugend würde im | |
schlimmsten Fall zu einer Entsolidarisierung beitragen." Die Jugendlichen | |
würden sich damit über die Interessen der übrigen Mitglieder stellen. Es | |
ist weniger was sie sagt, als wie sie es sagt, was zu Murren in einigen | |
Reihen führt. "Dreht ihr endlich den Saft ab", raunt ein deutlich | |
Post-Jugendlicher-Gewerkschafter. Auch er ist gegen ein Vetorecht, versteht | |
aber den Unmut der Jungen. "So hart muss man nicht einsteigen." Die junge | |
Lydia Taubert kontert es später auf ihre Weise: "Mit Andrea haben wir | |
einfach einen so absoluten T.rex, der auch mal beißen kann, aber trotzdem | |
ganz nett ist." | |
Der Antrag auf ein Veto-Recht wird schließlich mit großer Mehrheit | |
zurückgewiesen, die Jugend bittet am nächsten Tag um Entschuldigung, man | |
habe niemanden mit seiner Wortwahl verletzten wollen. Gezeigt hat der | |
Nachwuchs den Verdianern, dass es viel Arbeit und Beteiligung braucht, um | |
die Jungen bei der Stange zu halten und neue Mitglieder zu gewinnen. Ende | |
2009 waren gerade einmal fünf Prozent der Mitglieder bei Verdi Jugendliche. | |
22 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Eva Voelpel | |
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