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# taz.de -- Verdi-Bundeskongress: Mit altem Vorsitzenden in härtere Zeiten
> Frank Bsirske bleibt Gewerkschaftschef. Den 60-Jährigen treiben die
> Eurokrise, härtere Konflikte mit den Arbeitgebern und die Effizienz der
> eigenen Organisation um.
Bild: Vor den anbrechenden harten Zeiten schnell noch ein Schläfchen: Delegier…
LEIPZIG taz | Eigentlich war der Montag ein sehr guter Tag für Frank
Bsirske. Die rund 1.000 Delegierten der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi
wollen den 59-Jährigen auch die nächsten vier Jahre an der Spitze ihrer
Organisation sehen. Mit 94,7 Prozent wählten sie Bsirske auf ihrem
Bundeskongress in Leipzig zum vierten Mal ins Amt. Bei der letzten Wahl
2007 hatte Bsirske 94,3 Prozent erhalten. Er kommentierte das Ergebnis als
"ermutigend". Es sei ein "ganz, ganz starkes Signal".
Dennoch drückt Bsirske der Schuh. Bereits am Sonntag hatte er in seiner
Rede zu den zurückliegenden vier Jahren Verdi-Politik die großen
Sorgenkinder der Gewerkschaft benannt: die Euro-Schuldenkrise, die
schlechte Haushaltslage der Kommunen - vor allem aber die veränderte
Gangart so manch eines Arbeitgebers. "Die Sozialpartnerschaft ist brüchig
geworden", resümierte Bsirske. Und längst nicht immer gelingt der
Gewerkschaft eine so gute Gegenwehr wie im Fall des Drogeriekonzerns
Schlecker.
Der hatte Anfang 2010 mehrere Tausend Mitarbeiter mit Tarifverträgen
gefeuert, um neue Leute für Stundenlöhnen von knapp über fünf Euro in
sogenannten XL-Märkten anzustellen. Das Experiment schlug fehl. Verdi
strömten die Schlecker-Beschäftigten zu, Schlecker musste zurückrudern -
auch weil die Gewerkschaft öffentlichkeitswirksam gegen die
Dumpingstrategie mobilisierte. "Schlecker hat gezeigt, was Verdi bewirken
kann, wenn wir als Gegenmacht handeln und Gestaltungsmacht beweisen", sagte
Bsirske am Sonntag.
Kein Wunder also, dass so mancher der Gewerkschafter am Rednerpult dafür
warb, dass die Organisation mit noch knapp 2,1 Millionen Mitgliedern
konfliktbereiter werden müsse. "Mehr Konfliktorientierung halte ich für
absolut notwendig", unterstrich auch der alte und neue Gewerkschaftschef.
Erinnerte jedoch zugleich daran, dass man bereits jetzt in der
Bundesvorstandssitzung alle zwei Wochen "fünf, acht oder zehn
Streikbeschlüsse" fasse. Streiks, von denen die Öffentlichkeit meist kaum
etwas mitbekommt.
## Gewerkschaft der 1.000 Berufe
Denn eines der Probleme von Verdi: die Gewerkschaft der 1.000 Berufe und
rund 200 Branchen hat es - ganz anders als die Industriegewerkschaft Metall
- vor allem mit kleinen Betrieben und zersplitterten
Beschäftigungsverhältnissen zu tun. 200 Beschäftigte unter einem Dach
gelten in der Dienstleistungsbranche schon als Großbetrieb, im Einzelhandel
oder bei den privaten Postdienstleistern ist es schon eine Herausforderung,
überhaupt mit den Beschäftigten in Kontakt zu treten.
So sind von den VerkäuferInnen mittlerweile fast ein Viertel nur noch als
400-Euro-JobberInnen beschäftigt und damit nur wenige Stunden in der Woche
am Arbeitsplatz. Und bei den Postboten gibt es gar keinen festen Arbeitsort
mehr, sondern nur noch ein Fahrrad, mit dem die Briefe zugestellt werden.
Ob schwierig zu organisieren oder nicht: Verdi will für künftige
Auseinandersetzungen besser gewappnet sein.So hat die Gewerkschaft
beschlossen, den Streikfonds schrittweise bis 2013 von derzeit sechs auf
acht Prozent der jährlichen Einnahmen und des Vermögensbestandes
aufzustocken. Wie hoch der Fonds tatsächlich ausfällt, darüber schweigt
sich die Gewerkschaft aus. Man will der Arbeitgeberseite nicht zu viel
Einblick gewähren.
Nur so weit wollte sich Gerd Herzberg, stellvertretender
Verdi-Vorsitzender, in die Karten schauen lassen: In den letzten Jahren
habe man rund 200 Millionen Euro an streikende Beschäftigte gezahlt. Die
Aufstockung erfolge zur Vorsorge. "Wir haben die Einschätzung, dass die
Auseinandersetzungen härter werden", sagte Herzberg. Verdi-Sprecher Schmitz
erklärt: "Wir erreichen Tarifabschlüsse immer häufiger nur, wenn wir
teilweise in den Arbeitskampf gehen, zumindest in Warnstreiks."
Doch nicht nur die Zunahme von schlecht bezahlten Jobs und
gewerkschaftsfeindlichen Arbeitgebern machen Bsirske Sorge. Auch im Inneren
der Gewerkschaft liegt einiges im Argen. Mit mehrheitlich großem Schweigen
quittierten die Delegierten am Sonntag Bsirskes kritischen Blick auf die
eigene Mitgliederwerbung. Der Gewerkschaftschef verwies auf eine
Untersuchung des Europäischen Gewerkschaftsinstituts. Danach betreibt die
Hälfte aller befragten Betriebs- und Personalräte überhaupt keine
Mitgliederwerbung, nur fünf bzw. zehn Prozent tun dies intensiv.
## Schwachstellen angehen
Ein Ergebnis, dass die Gewerkschaft nachdenklich stimmen muss - schließlich
hat sie sich seit einigen Jahren die intensive Mitgliederwerbung auf die
Fahnen geschrieben. "Es sind Schwachstellen, die wir angehen müssen", sagte
Bsirske und ermahnte die Betriebs- und Personalräte sowie Vertrauensleute,
an ihrem Selbstverständnis zu arbeiten. Es müsse zudem darum gehen, in den
Betrieben genauer nachzuhören, wie und ob die Gewerkschaftsarbeit überhaupt
ankommt, forderte er. Bsirske verwies dazu auf zurückliegende
Auseinandersetzungen im Münchner Nahverkehr: "Da haben 92 Prozent der
Beschäftigten unseren Tarifvertrag abgelehnt." Es gebe also Nachholbedarf.
Erreicht hat die Organisation trotzdem, dass sich der drastische
Mitgliederschwund verlangsamt. Traten im ersten Halbjahr 2010 noch fast
69.600 Mitglieder aus Verdi aus, waren es im ersten Halbjahr 2011 knapp
67.000. Die Zahl der Eintritte hat sich in den gleichen
Vergleichszeiträumen erhöht: Von knapp 48.000 auf etwas über 54.000. Damit
kann die Gewerkschaft auch mehr Einnahmen verbuchen. Für 2011 erwartet sie
knapp 415 Millionen Euro, fast drei Millionen mehr als noch 2008. Es könnte
der Beginn der langsamen Trendwende sein für eine Organisation, die
zwischen 2001 und 2011 um fast 900.000 Mitglieder geschrumpft ist.
19 Sep 2011
## AUTOREN
Eva Völpel
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