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# taz.de -- Arbeitsbedingungen bei H&M: Wer kann, der darf nicht
> H&M präsentiert sich nach außen als soziales Unternehmen. Mitarbeitern
> werden Aufstiegschancen versprochen. In der Realität gibt es sie kaum.
Bild: Die Arbeitsbedingungen vei H&M glänzen selten so wie die Schaufenster.
BERLIN taz | Eigentlich ist Claudia Schwintowski (Name geändert)
Schauspielerin. Weil ihre Karriere ins Stocken gekommen war, suchte sie
einen Job - und ging zu Hennes & Mauritz. Der schwedische Textilhändler war
ihr sympathisch, die Arbeit stellte sie sich locker, unangestrengt und
dynamisch vor. Was der Begrüßungstag, den H&M für neue Mitarbeiter
ausrichtete, zu bestätigen schien.
Getränke, Obst und Süßigkeiten standen auf den Tischen des Raums, in dem
zwei Filialleiterinnen die neuen "Sales Advisors" genannten H &
M-Verkäuferinnen empfingen. Entsprechend der Unternehmenskultur wurde
geduzt und zuerst mal erklärt, wie wichtig die Mitarbeiter für die Firma
seien - und dass ihnen ohne eine klassische Ausbildung alle Türen offen
stünden; "Wer kann, der darf" sei für H&M mehr als ein Motto.
Dann wurde eine Dokumentation über einen Zulieferer in Indien gezeigt. An
Nähmaschinen sitzende Frauen berichteten, warum sie gern für H&M arbeiten.
Die Filialleiterinnen erklärten, dass alle Zulieferer Arbeitszeiten
einhalten und angemessene Löhne zahlen müssten. Damals wusste Claudia
Schwintowski noch nichts über die Arbeitsbedingungen beim kambodschanischen
Zulieferer M&V. Später berichteten Medien, dort werde an 7 Wochentagen 14
Stunden gearbeitet. 300 Beschäftigte seien zusammengebrochen.
Beim Begrüßungstag aber schien der Mensch im Mittelpunkt der
H&M-Philosophie zu stehen. Am Ende bekamen alle neuen Mitarbeiter einen
Flyer mit einer roten Schleife und den Worten "für dich", in dem stand, was
die Firma für sie bereithält: betriebliche Altersvorsorge, Personalrabatt,
Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Damit wurden sie in die H & M-Wirklichkeit
entlassen.
Dort hängte die neue Sales Advisorin Tag für Tag Kleidung auf Bügel und
schleppte Kisten. Abends tat ihr der Rücken weh, in ihrer Freizeit konnte
sie kaum noch etwas unternehmen. Sie bekam 7,84 Euro brutto in der Stunde.
Von den angekündigten Entwicklungsmöglichkeiten war nie wieder die Rede.
Nach Ansicht von Orhan Akman ist das die bei H&M alltäglich. Mitarbeiter
würden mit dem Versprechen gelockt, ihnen stünden alle Türen offen, sagt
der Mitarbeiter der Gewerkschaft Ver.di, "aber diese Aufstiegsmöglichkeiten
gibt es gar nicht".
## Keine konkreten Zahlen
Ein H&M-Sprecher erklärt zur Frage, wie viele Beschäftigte tatsächlich den
Aufstieg schaffen: "Mit konkreten Zahlen können wir aus Wettbewerbsgründen
nicht dienen."
Ebenso wenig transparent wurden Arbeitszeiten gehandhabt. Eigentlich hätte
Schwintowski zehn Stunden pro Woche arbeiten sollen. Aber bereits bei der
Anstellung habe sie unterschreiben müssen, dass sie flexibel sei und auch
auf Abruf arbeiten könne. Damit wurde jeder Zweitjob unplanbar.
"Vollzeitstellen sind bei H&M heute Luxus", so Ver.di-Mitarbeiter Akman. Er
beschäftigt sich seit 10 Jahren mit dem Textilhändler. "H&M greift in die
private Zeitplanung ein. Das ist nicht das, was man von einer Firma
erwartet, die sich nach außen als sozial darstellt." 2010 hat H&M einen
Gewinn von 2,1 Milliarden Euro gemacht.
Angaben darüber, wie viele der 18.000 deutschen Angestellten flexibel
arbeiten, macht das Unternehmen nicht. Der Firmensprecher erklärt
lediglich: "Viele Mitarbeiter schätzen die Möglichkeit, ihre Arbeit bei uns
an ihre Lebenssituation anpassen zu können." Kurzfristige Arbeitsanfragen
seien bei H&M freiwillig und würden mindestens vier Werktage im Voraus
angekündigt.
Das sieht Heiner Köhnen anders: "Besonders in Filialen, die keinen
Betriebsrat haben, wird oft sehr kurzfristig geplant", sagt der Mitarbeiter
des weltweiten Gewerkschaftsnetzes TIE Global, der für die
Hans-Böckler-Stiftung die Situation der Beschäftigten bei H&M analysiert
hat. Von 379 Filialen bundesweit hätten ganze 106 eine
Arbeitnehmervertretung gewählt.
## "Guten Tag, Claudia"
Als Claudia Schwintowski in ihrer Filiale nach dem Betriebsrat fragte,
erklärte ihre Chefin, den brauche man nicht, man sei doch ein Team. "Die
Gründung von Betriebsräten wird bewusst verhindert", sagt Orhan Akman von
Ver.di. "H&M stellt sich als mitarbeiterfreundlich dar, aber hinter den
Kulissen werden die Rechte der Beschäftigten missachtet." Das gelte auch
für die im Konzern üblichen, aber illegalen Kontrollen der Taschen der
Mitarbeiter bei Dienstschluss: "Das darf nur die Polizei bei
Verdachtsfällen."
Nach einiger Zeit bekam Schwintowski eine Entzündung am Fuß. Sie konnte
kaum noch laufen und meldete sich krank. Drei Wochen später fragte die
Chefin, ob sie nicht trotzdem kommen und im Sitzen Kleidung aufbügeln
könnte. Claudia Schwintowski lehnte ab.
Wenig später sagte ihre Chefin, die Probezeit würde nicht verlängert, weil
sie zu oft krank gewesen sei. Im Kündigungsschreiben wurden keine Gründe
genannt. Immerhin blieb H&M in einem Punkt der angeblichen
Unternehmenskultur treu: Das Schreiben beginnt mit den Worten "Guten Tag,
Claudia".
26 Sep 2011
## AUTOREN
Friederike Ott
## TAGS
Textilbranche
KiK
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