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# taz.de -- Die Kultusministerkonferenz: Black Box der Unzuständigkeit
> Ewig interessierte sich niemand für die Kultusministerkonferenz. Jetzt
> treibt sie Gymnasien und Hochschulen an den Rand des Ruins – und
> Bildungsbürger auf die Barrikaden.
Bild: Im Schnelldurchgang zur Reifeprüfung – da kann's schon mal Chaos geben.
Auf der Straße und in den Medien kocht die Empörung über das verkürzte
Abitur hoch. Das G8, das Abi in acht Jahren, sei ein "Diebstahl der
Kindheit", schimpfen die Zeitungen landauf, landab. "Die Turbo-Schule ist
Quatsch", steht im Stern.
Das alles war bereits im Jahr 2008. Damals wachte die Nation auf und
merkte, was die Kultusminister da eigentlich ausgeheckt hatten. Wie sollte
es weitergehen mit dem Gesellenstück des Bildungsbürgers, dem Abitur, zu
dem man den Weg von bisher neun auf acht Jahre verkürzt hatte? Mittlerweile
erleben wir gewissermaßen die dritte Protestwelle dagegen.
Alle warteten damals gespannt auf eine Reaktion der Schulminister,
vereinigt in der unaussprechlichen "Ständigen Konferenz der
Kultusminister", kurz KMK. Da versuchte in Berlin gerade Annegret
Kramp-Karrenbauer, die neue Präsidentin der KMK, zu erklären, wie famos das
Bonsai-Abi bei ihr zu Hause im Saarland klappe. Einer der Reporter fragte
trocken: "Wird sich die KMK mit dem Thema befassen?" - "Mit welchem
Thema?", fragte die heutige Ministerpräsidentin des Saarlands. - "Mit dem
Turboabi. Werden die Kultusminister es noch einmal thematisieren?", hakte
der Kollege nach. "Eigentlich eine gute Idee", sagte Kramp-Karrenbauer.
So ist die KMK. Mögen draußen Pisa- oder Rechtschreib-Stürme toben, die
Kultusminister rührt das nicht. Sie hüten ihr meterdickes Konvolut an
Beschlüssen wie einen Goldschatz. Die Konferenz der 16 Landeskultusminister
regelt penibel das deutsche Schulleben und wacht über Abschlüsse, Lehrpläne
und Sommerferien. Anfragen wies sie noch vor kurzem empört zurück. Die KMK
ist einfach anders.
## Vorstaatlicher Verteidigungsposten
Und so ist sie seit 1947. Noch ehe in der Bundesrepublik das Grundgesetz
verabschiedet war, zimmerten sich die Kultusminister schon ihre Ständige
Konferenz zusammen. Seitdem dünkt sich das Gremium als eine Art
vorstaatlicher Verteidigungsposten: Uneinnehmbar, etwas Höheres, zum
Schutze der Kulturhoheit der Länder. Mochte man sie auch als griechische
Landschildkröte verspotten - die Kultusminister juckte das wenig.
Jetzt könnte das anders werden. Denn sie haben gleich zwei gigantische
Fehlleistungen zu verantworten. Sie peitschen Abiturienten im
Schnelldurchgang zur Reifeprüfung - und sie haben nicht genug Plätze für
die beschleunigten Studienbewerber geschaffen. Und wieder geht das
Bürgertum auf die Barrikaden.
Peter Körte zum Beispiel. Er ist Journalist und leidenschaftlicher Gegner
des Turboabiturs. Körte sieht die zivilgesellschaftliche Infrastruktur von
Musikschulen über Sportvereine und Kirchengruppen gefährdet. Und das nur,
"weil Gymnasiasten keine Zeit mehr für etwas anderes haben, als zu lernen.
Was werden das eigentlich für Menschen, deren Alltag von der Schule fast
gänzlich kolonisiert wird?", fragt der Berliner Anti-G8-Aktivist. Körte ist
ein G8-Grünschnabel, ein Neuling. Aber es gibt ihn, und er ist wütend.
Körte gehört der dritten Protestwelle gegen das schlampig beschleunigte
Abitur an.
Die erste Welle begann um 2001 herum, als die Länder den Weg zum Abitur zu
verkürzen begannen. Der Protest war verhalten. Ganz anders 2008. Da merkte
der TV-Talker Reinhold Beckmann, dass seine Kinder immer ziemlich spät und
sehr erschöpft nach Hause kamen. "Unsere Kinder sind total überfordert!",
polterte er. Die Bild-Zeitung begann eine Serie, und sogar die Kanzlerin
monierte, dass die Stundenzahl und die Lehrpläne nun überhaupt nicht
angetastet wurden.
## Minister- contra Beamtenrunden
Nun ist die KMK ein komplizierter Mechanismus. In diversen Ausschüssen
beharken sich Minister- und Beamtenrunden. Alles muss einstimmig abgenickt
werden, alles hinter verschlossenen Türen. Die Kultusminister sind eine Art
Blackbox der Unzuständigkeit. Egal, wo man Kritik hineinwirft, sie kommt
nie wieder heraus.
Als Merkel und diverse Ministerpräsidenten über das G8 zu motzen begannen,
zogen die KMK-Kärrner maliziös die Augenbrauen hoch. "Das ist Populismus",
sagte etwa der bienenfleißige Staatssekretär Günter Willems (CDU). "Jetzt
melden sich diejenigen zu Wort, die das achtjährige Gymnasium in ihren
Ländern möglicherweise ohne ausreichende Beteiligung der Betroffenen
durchgesetzt haben." Ein Fingerzeig auf Rabiatreformer wie Edmund Stoiber,
der das Schnellabitur einfach angeordnet hatte - gegen den Willen seiner
Kultusabteilung.
Der Streit über das Schnellabi ist kompliziert. Im Kern geht es um die Zahl
265. Das sind die sogenannten Wochenstunden, welche die Kultusminister als
Mindeststandard für das Abitur festsetzten. Wie diese Stunden über acht
Jahre Gymnasialzeit zu verteilen sind, blieb den einzelnen Ländern
überlassen. Eine echte inhaltliche und pädagogische Reform des Gymnasiums
gab es freilich nie.
Auf Deutsch hieß das: Die Stoffpläne wurde nicht entrümpelt, sondern von
neun auf acht Jahre gestaucht, und das hieß tagtäglich sieben, acht oder
gar neun Stunden in die Schule! "Es war krass, sogar die Bücher waren
voller Fehler", erinnert sich Irinia Heitmann vom Albert-Einstein-Gymnasium
in München. "Wir hatten regelmäßig Nervenzusammenbrüche und Burn-outs. Ich
hab erlebt, dass Schüler mitten im Unterricht das Weinen anfingen, einfach
so."
Fast jeder politische Protest endet irgendwann. Der gegen das achtjährige
Gymnasium aber ist unerschöpflich. Egal, wie alt die Beschlüsse sein mögen,
sie werden immer neu verdammt. Peter Körte etwa gesteht freimütig ein,
"dass ich die Auswirkungen der verkürzten Schulzeit erst in ihrer ganzen
Schärfe wahrgenommen habe, als mein eigenes Kind davon betroffen war".
## Aus Weinkrämpfen wird Wut
Körte und seine Berliner G8-Gegner denken aber gar nicht daran, aufzuhören.
Neue Regierung, neues Gück. Ihm ist es egal, wenn sich "die lokalen
Schulverantwortlichen impotent stellen. Jedes Land hat einen
Handlungsspielraum und kann selbst bestimmen, ob es das
Neunjahres-Gymnasium als Option anbieten will."
Zehn Jahre nach Einführung des Schnellabis stehen die Kultusminister vor
einem Scherbenhaufen. Erste Länder bieten das Abi bereits parallel in acht
und neun Jahren an. Das nährt wiederum den Protest in anderen Ländern. Und
während unten im Gymnasium die Protestflamme aufflackert, brennen die Unis
bald lichterloh. Denn die Bürgerkinder merken, dass sie für Weinkrämpfe und
Lernstress nicht etwa belohnt, sondern bestraft werden: Es fehlen 50.000
Studienplätze, viele Turboabiturienten stehen auf der Straße.
Zu verantworten hat das erneut - die KMK. Die Kultusminister haben den Bund
frech herausgefordert, ihnen die Studienplätze zu bezahlen. Dafür wurde
eigens ein milliardenschwerer Hochschulpakt geschmiedet - bezahlt von
Berlin. Aber die Gegenleistungen der Länder sind Stückwerk geblieben. Mit
provisorischen Hörsälen, Nachtschichten und befristeten Dozenten wollen die
Länder den Ansturm bewältigen. Nachhaltige Uni-Politik sieht anders aus.
Die Studienberechtigten des Jahres 2011 wirken gelassen, noch. "Ich
vermute, dass allenfalls die Hälfte gleich studiert", berichtet etwa
Bernhard Daniel Schütze, Schülersprecher und G8-Abiturient aus Bremervörde.
"Uns war klar, dass es sowieso nicht genug Studienplätze für alle geben
würde."
## Schwamm drüber!
Aber auch Bürgerkinder werden wütend, wenn man sie um den gerechten Lohn
für ihre Arbeit betrügt. Und genau das tun die Kultusminister gerade.
Im ihrem 64. Jahr steht die KMK vor einer Zerreißprobe. Ihre Schulminister
haben das Prunkstück des deutschen Schulwesens verkürzt und verhunzt - das
Gymnasium. Und ihre Hochschulminister haben zugleich versäumt, ausreichend
Studienplätze aufzubauen. Das bedeutet, sie haben in ihrem
Verfassungsauftrag versagt. Die Kultusminister haben zudem den
unausgesprochenen Pakt mit den Bildungsbürgern gebrochen. Geht es in
Hauptschulen schlimm zu - Schwamm drüber! Schmuddelkinder waren für das
Bildungsbürgertum noch nie das Zielpublikum. Aber wenn die Kultusminister
in ihrem Kerngeschäft schlampen, den Bürgerkindern Karrierevorteile zu
verschaffen, reagiert der Souverän sauer.
Das ist der Stand der KMK vor dem heißen Herbst des Studentenansturms: Sie
kann nicht Gymnasium, sie kann keine Studienplätze. Dabei steht KMK für
Kultur. Eigentlich.
30 Sep 2011
## AUTOREN
Christian Füller
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