# taz.de -- Kritischer Nachruf auf Steve Jobs: Ein verspäteter Hippie | |
> Er hat das Technische mit dem Sinnlichen versöhnt und Computer zu | |
> käuflichen Ikonen gemacht. Besser ist die Welt durch Steve Jobs nicht | |
> geworden, ein bisschen bequemer schon. | |
Bild: Perfekte Symbiose: Jobs-Silhouette und Apple-Logo. | |
Die wahre Größe eines Menschen zeigt sich oft erst dann, wenn es ans | |
Sterben geht. "Der Tod ist wohl mit Abstand die beste Erfindung des | |
Lebens", sagte Steve Jobs noch vor sechs Jahren in einer Rede an | |
Absolventen der Stanford University: "Er ist der Katalysator des Wandels. | |
Er räumt das Alte weg, damit Platz für Neues geschaffen wird." | |
Wer so redet, für den ist Leben und Markt eins. Als er in der Nacht auf | |
Donnerstag mit 56 Jahren seiner schweren Krankheit erlag, ging damit nicht | |
nur eine sehr amerikanische Biografie, nicht nur eine der erfolgreichsten | |
Karrieren der jüngeren Wirtschaftsgeschichte, sondern auch endgültig die | |
Ära der Blumenkinder zu Ende. Denn Steve Jobs war nicht nur das "kreative | |
Genie", der "Visionär" oder "inspirierende Mentor", als der er im | |
offiziellen Nachruf seines Unternehmens gefeiert wird – er war ein | |
verspäteter Hippie. | |
1973 hatte Jobs das exklusive Reed College in Oregon ohne Abschluss | |
verlassen und, von seiner Überzeugungskraft abgesehen, keine besonderen | |
Talente vorzuweisen. Also arbeitete er bei der Computerspielfirma Atari und | |
sparte Geld, um auf einer Reise nach Indien die Erleuchtung zu finden. | |
Atari bezahlte den Flug bis nach Deutschland, dort verdiente sich Jobs den | |
Rest hinzu. Endlich in Indien angekommen, war Guru Shri Neem Karoli Baba | |
gerade gestorben. Schlimmer noch, er war als Trickbetrüger entlarvt worden. | |
Auf dieser enttäuschenden Reise wurde Steve Jobs erstmals klar, "dass | |
Thomas Edison vielleicht viel mehr getan hat, um die Welt zu verbessern, | |
als Karl Marx und Neem Karoli Baba zusammen". | |
## Nächte auf der Hippie-Apfelfarm | |
Wieder zurück in den USA kündigte er seinen Job bei Atari – und trieb sich | |
weiter herum. Schlief bei Freunden auf dem Boden, auf einer Farm | |
befreundeter Hippies, die dort Äpfel züchteten, nahm manchmal LSD und | |
pilgerte hin und wieder zum lokalen Hare-Krishna-Tempel, um dort kostenlos | |
etwas zu essen zu bekommen. Unterdessen hatte sein alter Schulfreund Steve | |
Wozniak beim Computerriesen Hewlett-Packard angeheuert – und nebenbei einen | |
Tüftlerverein namens Homebrew Computer Club gegründet. | |
Wozniak war es, der auf diesen Treffen seine ersten selbst gelöteten | |
Computer an andere Nerds verkaufte. Mit Tastatur! Und Bildschirm! Und Jobs | |
war es, der das Potenzial erkannte und mit seiner Ausstrahlung zum nächsten | |
Schritt drängte, wie Wozniak sich erinnert: "Wir saßen in seinem Auto, und | |
er sagte: 'Na ja, auch wenn wir Geld verlieren, haben wir doch eine Firma. | |
Wenigstens einmal im Leben haben wir eine eigene Firma.' Das überzeugte | |
mich. Und ich war aufgeregt, wenn ich mir uns so vorstellte: zwei beste | |
Freunde, die eine Firma gründen." | |
Kurz darauf verkaufte Jobs seinen alten VW-Bus, um mit einem Startkapital | |
von 1.000 Dollar eine Firma zu gründen, die, "wenn uns nicht noch ein | |
besserer Name einfällt" (Steve Jobs), einfach Apple heißen und wenige Jahre | |
später einen Markt für "personal computer" zunächst schaffen und dann | |
dominieren sollte. Seine eigene Arbeit beschrieb Jobs später so: "Ich | |
machte in den frühen Tagen alles – Dokumentation, Verkauf, | |
Versorgungskette, den Boden wischen, Chips kaufen, was auch immer. Ich habe | |
mit meinen eigenen beiden Händen Computer zusammengebaut. Und als die | |
Industrie wuchs, machte ich damit einfach weiter." | |
Erfolgreich inszenierte er sich als Visionär der Branche, als Revolutionär | |
und Magier. Und er positionierte Apple anlässlich der Markteinführung des | |
Macintosh 128k als "gute" Alternative zu Größen wie IBM oder Microsoft. Zu | |
diesem Zweck ließ er den Regisseur Ridley Scott das Werbefilmchen "1984" | |
drehen, in dem die Konkurrenten mit dem "Big Brother" aus dem Roman von | |
George Orwell gleichgesetzt, Apple selbst aber als Freiheitskämpferin | |
dargestellt wurde. | |
Tatsächlich stand der Macintosh mit seiner modernen Benutzeroberfläche, den | |
"Drag and Drop"-Funktionen und allerlei anderen Ideen in krassem Gegensatz | |
zum damaligen Stand der Dinge. Während die sogenannten early adopters die | |
Wundermaschine liebten, taten Geschäftskunden den Macintosh als nettes | |
Spielzeug ab. Der anfängliche Erfolg geriet ins Stocken. | |
## Unberechenbarer Perfektionist | |
Zugleich machte sich der perfektionistische Charakter des Steve Jobs | |
erstmals negativ bemerkbar. Einen Mitarbeiter soll er im Fahrstuhl gefeuert | |
haben, einen anderen nur deshalb, weil er ihm Mineralwasser einer falschen | |
Marke vorsetzte. Am Firmensitz in Cupertino soll er noch in den letzten | |
Jahren seine Angestellten um ihr iPhone gebeten haben – um sie zu | |
entlassen, wenn das Gerät nicht mit einem Passwort gesichert war. | |
Schon 1981 schickte Jef Raskin, technischer "Vater des Macintosh", dem | |
damaligen Apple-Präsidenten Mike Scott eine zehn Punkte umfassende | |
Beschwerdeliste über Steve Jobs. Darin hieß es unter anderem, Jobs würde | |
regelmäßig Vereinbarungen platzen lassen, die Leistungen anderer nicht | |
anerkennen, persönlich ausfällig werden, Mitarbeiter unterbrechen und nicht | |
ausreden lassen und seine Entscheidungen von oben herab fällen. Als Jobs | |
von diesem Memo erfuhr, feuerte er Raskin. | |
1985 stieg sein alter Freund Wozniak aus, und kurz darauf wurde Steve Jobs | |
von seinem eigenen Vorstandsvorsitzenden, John Sculley, aus dem Unternehmen | |
gedrängt. "Aus Ekel", wie er sagte, verkaufte er fast alle seine Aktien bei | |
Apple. Er war 30 Jahre alt, 100 Millionen Dollar schwer – und raus aus dem | |
Geschäft. | |
Den Tiefpunkt seiner Karriere sollte er 1993 erreichen. Was an seiner | |
Nachfolgefirma Next erfolgreich war, wurde an den Kamerahersteller Canon | |
verhökert, und auch sein eher als Hobby gemeintes Engagement bei | |
Animationsfilm-Entwicklungsfirma Pixar kostete mehr Geld, als es | |
einbrachte. Zu dieser Zeit ging Jobs kaum mehr zur Arbeit, sondern spielte | |
lieber zu Hause mit seinem Kind. Was ihn – und Pixar – rettete, war der | |
Film "Toy Story". Der computeranimierte Film ließ den parallel | |
erscheinenden klassischen Trickfilm "Pocahontas" alt aussehen und spielte | |
allein in den USA 160 Millionen Dollar ein. | |
Pixar sollte im Filmgeschäft so groß werden, wie Apple es in der | |
Computerindustrie längst war. Unterdessen hatte Microsoft aufgeholt und | |
Apple auf dem Markt der Heimcomputer arg zugesetzt. Als das Unternehmen in | |
den 500 Tagen unter dem damaligen Vorsitzenden Gil Amelio 1 Milliarde | |
Dollar verlor, wurde Jobs als Vorstandsvorsitzender zurückgeholt. Als | |
Einmannrettungsschirm machte er sich 1997 an die Arbeit. | |
Keine zwei Jahre später hatte Jobs die Firma saniert. Er gab ihr das coole | |
Image zurück, kaufte hervorragende Entwickler ein und konzentrierte sich | |
auf eine überschaubare Produktpalette, die vor allem eines auszeichnete: | |
Sie sah gut aus. Die Reihe der i-Produkte begann mit dem iMac, die vom Team | |
um den Designer Jonathan Ive als fröhlich-bunte Blasen aus durchscheinendem | |
Kunststoff gestaltet wurden. Es folgte 1999 das ähnlich poppig gestaltete | |
iBook, beworben als "iMac to go". | |
Überhaupt spielte die Werbung eine Schlüsselrolle: "Think different" war | |
1997 der Claim einer Kampagne, mit der Leute für Computer interessiert | |
werden sollten, die sich nicht für Computer interessierten. Oder, wie der | |
damalige Apple-Marketingchef Allen Olivo sagte: "Die Werbung ist für Leute, | |
denen es egal ist, was ein Computer kann, die aber wissen wollen, was sie | |
mit dem Computer machen können", nämlich die Welt verändern. Dieser | |
breitbeinige Idealismus ist inzwischen längst das Markenzeichen eines | |
synkretistischen Mischkonzerns mit esoterischem Einschlag und käuflichen | |
Ikonen. | |
## Jünger statt Kunden | |
Deshalb hat Apple heute auch kaum Kunden, sondern vor allem Jünger. Und die | |
haben, wie alle Jünger, einen romantisch verklärten Blick auf ihren Guru. | |
Produkte von Apple mögen zu teuer, sie mögen technisch rückständig sein | |
oder unter katastrophalen Bedingungen produziert werden – das Bekenntnis zu | |
Apple bleibt davon unberührt, es ist, wie jedes religiöse Bekenntnis, ein | |
Willensakt. | |
Die Strategie, der EDV so etwas wie Menschlichkeit zu verleihen, ein | |
sperriges Produkt also hand- und seelenschmeichlerischer zu machen, hat | |
Apple unter Jobs zu dem gemacht, was es heute ist. Bestenfalls wirken die | |
innovativen Geräte mit ihren gelungenen technischen Taschenspielertricks | |
wie pure Magie. | |
Mit diesem auf Zugänglichkeit fixierten Ansatz hat Jobs die Musik- wie die | |
Mobilfunkbranche revolutioniert und Produkte in einem Markt durchgesetzt, | |
den die Konkurrenz zuvor jahrelang erfolglos bearbeitet hatte. Wie nebenbei | |
hat er damit auch die Art und Weise verändert, wie wir heute Filme sehen, | |
Musik hören, Telefongespräche führen oder eben am Computer arbeiten. Er hat | |
etabliert, was wir den "digital lifestyle" nennen. Aber hat er damit die | |
Welt verbessert? | |
Steve Jobs hat das alte Hippie-Ethos der Gegenkultur auch auf | |
Unternehmenskulturen anwendbar gemacht. Im Grunde sind deshalb auch der | |
iMac, das iPhone oder das iPad nichts anderes als Manifestationen der | |
romantischen Idee, das Technische könnte mit dem Sinnlichen vereinbar sein. | |
Das Ergebnis in seinem Glanz aber hat nur einen neuen | |
Verblendungszusammenhang geschaffen. Als Hippie ist Steve Jobs also | |
gescheitert. Besser ist die Welt durch ihn nicht geworden, ein bisschen | |
bequemer schon. Thomas Edison immerhin wäre stolz gewesen. | |
6 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Arno Frank | |
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