# taz.de -- Porträt Klaus Wowereit: Die SPD bin ich | |
> Gegen den Willen von Wählern und seiner SPD beginnt Klaus Wowereit die | |
> Koalitionsverhandlungen mit der CDU. Geschafft hat er das mit Familie, | |
> Peitsche und Autobahn. | |
Bild: "Der ständige Kampf mit meinen Brüdern hat mich gestählt." | |
BERLIN taz | Es gibt da diesen Satz von Klaus Wowereit, der zeigt, dass er | |
wirklich ein Berlin-Versteher ist. "Berlin hat eine Ausstrahlung, eine | |
Wildheit und auch eine Schönheit, wie wir sie in dieser Kombination nicht | |
noch einmal auf dieser Welt finden." | |
Mit dieser Liebeserklärung an Berlin hat Klaus Wowereit im November 2010 | |
auf einem Parteitag seine erneute Kandidatur für das Amt des Regierenden | |
Bürgermeisters bekannt gegeben - und die 220 Delegierten in Ekstase | |
versetzt. Klaus Wowereit, dem sie lange Zeit Amtsmüdigkeit und die Flucht | |
in die Bundespolitik unterstellt hatten, war wieder da. | |
In dieser Form, das spürten alle an diesem Novembermorgen, würde Renate | |
Künast, die grüne Herausforderin, keine Gefahr sein für ihren Wowi. Die SPD | |
würde entweder das Bündnis mit der Linken fortsetzen - oder mit Rot-Grün | |
ein Signal auch für einen Wechsel im Bund geben. | |
Ein knappes Jahr später sitzt Klaus Wowereit im Versammlungsraum der | |
Zentrale der Berliner SPD in der Weddinger Müllerstraße und versucht den | |
Journalisten die Vorteile eines Bündnisses mit der CDU zu erklären. Die | |
Grünen, das hat die Wahl vom 18. September 2011 zum Abgeordnetenhaus | |
gezeigt, waren nicht nur keine Gefahr, sie sind an sich selbst und einem | |
kleinen Autobahnstummel von 3,2 Kilometern gescheitert. | |
## Grünes Trauma | |
"Nicht einmal Hilfskellner", ätzte der Tagesspiegel in Richtung der | |
Ökopartei, die mit der Wowereit-SPD eine "Koalition auf Augenhöhe" eingehen | |
wollte. In der SPD-Zentrale legt Wowereit nach, meint, die Grünen hätten | |
ein "Trauma mit der Augenhöhe". Sie hätten einfach nicht gewusst, dass der | |
mit den meisten Stimmen auch den Ton angebe. "Die CDU", ist sich Wowereit | |
sicher, "weiß das." | |
So schnell wie in diesen Tagen hat sich die SPD in Berlin noch nie gedreht. | |
Noch vor der Wahl galt ein Bündnis mit den Grünen als Wunschkoalition. | |
SPD-Landes- und Fraktionschef Michael Müller sprach sogar von einer | |
"Sehnsucht nach Rot-Grün". Mit der CDU dagegen sei eine Koalition so gut | |
wie ausgeschlossen. "Bei der SPD ist es so, dass von der Basis bis zur | |
Spitze alle riesige Probleme haben, mit der CDU zusammenzuarbeiten", sagte | |
Müller in einem taz-Interview. | |
Nun muss die SPD-Basis ihre "riesigen Probleme" mit der CDU hintanstellen | |
und die Rolle rückwärts ihrer Parteiführung abnicken. Bereits am heutigen | |
Mittwoch beginnen die Koalitionsverhandlungen zwischen der SPD und den | |
Christdemokraten. Zuvor war der erwartete Aufstand der Parteilinken | |
ausgeblieben. Der Grund ist einfach. Bei einem Nein zur CDU wäre Wowereit | |
zurückgetreten. Ohne den Regierenden aber wäre die Berliner SPD kopf- und | |
gesichtslos. | |
Klaus Wowereit weiß das. Schon auf seiner Krönungsmesse hat der 57-Jährige | |
sich selbst zum alleinigen Programm erklärt. "Ich glaube, die SPD hat viele | |
andere Leute, aber nicht so einen guten wie mich", rief Wowereit - und sein | |
Publikum dankte es ihm. Und noch eines gab Wowereit den Genossen auf den | |
Weg: "Eins kann ich euch garantieren, einfach wird es mit mir in den | |
nächsten fünf Jahren nicht werden." So spricht kein Politiker, der seine | |
Stadt und seine Partei versteht, so spricht einer, der mit der Peitsche | |
regiert. | |
## Rot-roter Tabubruch | |
Die Partei bin ich: Das war schon so, als Wowereit 2001 auf die politische | |
Bühne trat. Mit seinem Outing als Schwuler beherrschte der damalige | |
Fraktionsvorsitzende der SPD im Abgeordnetenhaus die Medien - und bereitete | |
in aller Stille einen Tabubruch vor. Ein halbes Jahr später stand das erste | |
rot-rote Bündnis in Berlin, der Stadt der deutschen Teilung und des | |
Mauerbaus. | |
Wochenlang hatte Wowereit Koalitionsverhandlungen mit den Grünen und der | |
FDP geführt. An der Forderung nach einer Motorbootsteuer ließ er sie | |
scheitern. Der SPD-Rechten blieb nichts anderes übrig, als gute Miene zum | |
bösen Spiel zu machen. | |
Fünf Jahre später traf es die Grünen ein zweites Mal. Die SPD hatte die | |
Ökos nach der Wahl 2006 zu Sondierungsgesprächen eingeladen - und ließ sie | |
platzen. Einen Tag später begannen die Koalitionsverhandlungen mit der | |
Linken. Rot-Rot wurde fortgesetzt. Die Grünen hätten sich mit ihrer | |
Forderung nach drei Senatsressorts unprofessionell verhalten, hieß es in | |
der SPD. So geht es nun schon seit Jahren bei den Berliner | |
Sozialdemokraten. Klaus Wowereit entscheidet - und die Partei schiebt eine | |
Erklärung hinterher. | |
## Erfolgreich drohen | |
Nicht einmal die eigenen Parteigenossen sind vor dieser One-Man-Show | |
sicher. Legendär ist die Erpressung der SPD-Delegierten auf einem Parteitag | |
im Juni 2010. Nachdem die Genossen den umstrittenen Weiterbau der | |
Stadtautobahn A 100 zuvor abgelehnt hatten, pfiff Parteichef Müller zur | |
erneuten Abstimmung. Um den Genossen das rechte Votum abzupressen, drohte | |
Wowereit: "Wir alle wissen, welchen Schaden die Ablehnung dieses Projekts | |
für die Partei und den Senat haben würde." | |
Die Drohung hatte Erfolg, wenn auch nur knapp. Mit einer Mehrheit von fünf | |
Stimmen folgte der Parteitag seinem Regierenden Bürgermeister. Nicht wenige | |
Sozialdemokraten hofften von da an, die A 100 in einem Bündnis mit den | |
Grünen zu verhindern. Vergeblich, wie sie nach dem jähen Abbruch der | |
Verhandlungen durch Wowereit seit vergangenem Dienstag wissen. | |
In seiner Autobiografie "… und das ist auch gut so" beschreibt Klaus | |
Wowereit, wie er schon als Kind das Überleben der Familie sichern musste: | |
"Monatlich wurde ich zum Kohlenhändler geschickt, um ihm stolz einen | |
100-Mark-Schein zu überreichen oder aber kleinlaut zu fragen, ob er noch | |
einmal anschreiben könne. Damals habe ich jene Art von Diplomatie gelernt, | |
die mir als Politiker bis heute zugutekommt, auch wenn mancher Parteifreund | |
das anders sehen dürfte." | |
## Der Lehrer traute ihm nicht viel zu | |
Vielleicht ist es diese Kindheit, die Wowereit als Politiker geprägt hat. | |
Früh starben zwei seiner vier Geschwister, die seine Mutter, eine | |
Ostpreußin, von drei Männern hatte. Ein Bruder lebt seit einem Unfall im | |
Rollstuhl. Seine Mutter erkrankte früh an Krebs, sodass Wowereit nicht nur | |
den Bruder im Rollstuhl, sondern auch die Mutter pflegen musste. Dass er | |
als Erster in der Familie studierte, war keine Selbstverständlichkeit. | |
"Deine Mutter ist doch nur Arbeiterin, das schaffste doch sowieso nicht", | |
sagte ihm ein Lehrer. | |
Anfang der siebziger Jahre trat Klaus Wowereit in die SPD ein. Erst in der | |
Politik konnte er zeigen, was in ihm steckte - und was er als Kind beim | |
Kohlenhändler gelernt hatte: "Wer sich nicht durchsetzen konnte mit | |
Argumenten, Versprechen oder Drohungen, hatte keine Chance", schreibt | |
Wowereit in seiner Lebensbeichte. "Ich glaube, der ständige Kampf daheim | |
mit meinen Brüdern hat mich durchaus gestählt für die ersten politischen | |
Kabbeleien. Mit Ballett- und Klavierunterricht wäre ich deutlich schlechter | |
vorbereitet worden auf jenes liebenswert-brutale Schlachtfeld namens SPD." | |
Alles war Kampf, erinnert sich Wowereit in seiner Autobiografie: "Wer die | |
Rivalen nicht wegbiss, war verloren. Das klingt brutal, hatte aber einen | |
entscheidenden Vorteil. So wurde sichergestellt, dass nur abgehärtete | |
Politiker nach oben kamen. Das frühe Stahlbad hat uns manche spätere | |
Enttäuschung erspart." | |
## "Stahlbad" der Koalitionsverhandlungen | |
Die SPD als Schlachtfeld und Klaus Wowereit als Feldherr. So war das | |
damals, so ist das heute. Ab Mittwoch werden die Berliner CDU und ihr | |
Spitzenkandidat Frank Henkel zu spüren bekommen, was das "Stahlbad" der | |
Koalitionsverhandlungen bringen wird. Zwischen der SPD, die auf 28,3 | |
Prozent der Wählerstimmen kam, und der CDU mit ihren 23,3 Prozent liegen | |
nur 5 Prozentpunkte - tatsächlich ein Fall von Augenhöhe. | |
Wowereit aber weiß, wie wichtig der CDU die erste Regierungsbeteiligung in | |
Berlin seit zehn Jahren ist - und wird sie entsprechend niederringen. Seine | |
Partei wird es ihm danken. Einen "Heide-Mörder" wird er bei seiner | |
Wiederwahl nicht befürchten müssen. Die knappe Mehrheit mit den Grünen | |
dagegen war ihm ein Gräuel. Ein offenes Geheimnis ist, dass Wowereit nicht | |
einmal den eigenen Reihen traute. | |
Zum Vatermord wird es also nicht kommen, wenn Klaus Wowereit gegen den | |
Wähler- und Parteiwillen sein armes und kreatives Berlin die nächsten fünf | |
Jahre mit der CDU regieren wird. Zum geordneten Übergang an der | |
Parteispitze aber auch nicht. Wenn Wowereit dem Vernehmen nach 2013 in die | |
Bundespolitik geht, steht mit Parteichef Müller zwar ein Nachfolger parat, | |
doch den könnte dann der ganze Brass der Genossen treffen, der eigentlich | |
Klaus Wowereit, dem absolutistischen Führer einer eigentlich demokratischen | |
Partei, gilt. | |
12 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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