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# taz.de -- Revival für kleine Buchläden: Die Leser folgen der Handlung
> Woanders gehen sie ein, in Berlin florieren sie: Kleine, unabhängige
> Buchhandlungen. Gegründet von Literaten, Idealisten und pfiffigen
> Geschäftsleuten.
Bild: Stapelweise Druckwerke
Regentage sind nicht gut fürs Geschäft. Philipp Sawallisch steht vor dem
Büchertisch in seinem Laden und rückt die beiden Empfehlungen der Woche
zurecht: "Homicide" von David Simon, Gary Shteyngarts "Super Sad True Love
Story". Seine Geschäftspartnerin sitzt vor dem Laptop, recherchiert ein
wenig im Netz. Kaum ein Mensch kommt an den zwei Schaufenstern vorbei oder
wirft einen Blick in den schlicht eingerichteten, 50 Quadratmeter großen
Buchladen.
Doch der Eindruck täuscht: "Es läuft richtig gut für uns", sagt Sawallisch.
"Wir haben uns zur richtigen Zeit für den richtigen Ort entschieden." Vor
einem Jahr eröffnete der 31-Jährige gemeinsam mit einer Bekannten die
Buchhandlung "Stadtlichter" in der Neuköllner Bürknerstraße. Der
Literaturliebhaber folgt damit einem Berliner Trend: Trotz
Wirtschaftskrise, der Schwierigkeiten von Ketten wie Hugendubel und Thalia
und der Konkurrenz aus dem Internet öffnen in Berlin Jahr für Jahr neue
inhabergeführte Buchhandlungen.
"Das wundert mich auch", sagt der Berliner Geschäftsführer des
Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Detlef Bluhm. Sechs neue Läden
hätten allein in diesem Jahr eröffnet, rund 300 Buchhandlungen gibt es
damit in der Stadt. Mit krisenbedingten Schließungen machen eher die Ketten
Schlagzeilen, während sich die meisten Einzelhändler in der Branche
behaupten. Doch generelle Erfolgsfaktoren sind schwer auszumachen. "Es
kommt immer auf die Persönlichkeit an und auf die Lage des Geschäfts", sagt
Bluhm. "Buchhandel ist nun einmal etwas sehr Individuelles."
Vielleicht floriert die Branche auch deshalb so in Berlin: Die Stadt ist in
Bewegung, offen für Trends, auf die aufgesprungen und reagiert werden kann.
Zudem sind Mieten und Lebenshaltungskosten vergleichsweise günstig, was die
Hemmschwelle vor Gründungen senkt. "Die Standortwahl ist extrem wichtig",
bestätigt Sawallisch. Er hatte sich auch Räume in der Flughafenstraße
angeschaut. Die Gegend schien ihm aber insgesamt "zu wenig entwickelt". In
der Bürknerstraße, nahe dem Maybachufer und damit im Herzen von
"Kreuzköln", fanden seine Partnerin und er das ideale Lokal: Die Miete ist
günstig, das Viertel im Aufwind, und aus Kreuzberg schwappt das
zahlungskräftige Bürgertum herüber.
Auch David Mesche von der Friedrichshainer "Buchbox" misst dem Standort
entscheidende Bedeutung zu. "Die Leute verlassen den Kiez selten, und wir
vermitteln ihnen hier ein Lebensgefühl, eine Weltsicht, derentwegen sie
immer wieder zu uns kommen", beschreibt Mesche sein Konzept. Er begann vor
sechs Jahren in Friedrichshain mit dem ersten Geschäft, mittlerweile hat er
drei Filialen in Prenzlauer Berg eröffnet. Sie liegen zum Teil nur
Gehminuten voneinander entfernt. "Das funktioniert aus dem gleichen Grund:
Die Kunden bleiben in ihrem Kiez. Denen reicht es oft schon, wenn sie 200
Meter weniger laufen müssen."
Nur so ist wohl erklärbar, warum sich auch in der Kreuzköllner Ecke mit dem
"Leseglück", den "Stadtlichtern" und der "Buchkönigin" drei Buchhandlungen
mit ähnlichem Sortiment halten. "Ich glaube nicht, dass die Nähe schlecht
sein muss", sagt Sawallisch von den Stadtlichtern. Er hält es eher für
möglich, dass eine kleinteilige Struktur von Geschäften die Branche
insgesamt stützt, Buchläden quasi im öffentlichen Bewusstsein hält. Ähnlich
sieht es Susan Pfannstiel, Chefin von Leseglück in der Ohlauer Straße. "Die
Leute kaufen sehr kiezbezogen."
Wem das zugehörige Nachbarschaftsgefühl fehlt, dem helfen clevere
Geschäftsleute schon einmal nach: Buchbox-Chef Mesche etwa verteilt
Stempelkarten an seine Kunden. Ist eine Karte voll, kann sie in der
Bäckerei nebenan gegen einen Kaffee getauscht werden. Bei einer
Schaufensterdekoration zum Thema "Raus ins Grüne" stimmte sich die Buchbox
mit dem nächsten Fahrradladen ab. So bleiben die Umsätze im Kiez. "Das
funktioniert", bekräftigt Mesche.
Dazu kommen die Touristen. Begriffe wie "Verdrängung" und
"Touristifizierung" sind in der Branche nicht unbedingt negativ besetzt.
"Es heißt oft, Buchläden kommen am Ende der Gentrifizierung", erzählt
Jessica Ebert. Vor fünf Jahren eröffnete sie mit einer Kollegin das
"ebertundweber" in der Falckensteinstraße. Die Straßenzüge im Wrangelkiez
machten unlängst Schlagzeilen, weil Anwohner gegen Touristen und die
Aufwertung ihres Viertels zu Felde zogen.
Zum ebertundweber kommen Zuzügler und mehr Passanten auf den Straßen als
Neukunden. Die Amerikanerin etwa, die mit ihrem Freund durch den Laden
stöbert und einen Cartoon-Band kauft. "Ich war vergangenes Jahr hier,
damals zufällig", erzählt die schrill angezogene Frau mit der übergroßen
Brille auf Englisch. "Das Sortiment an Cartoons war super, das habe ich mir
gemerkt, weil ich selber zeichne."
Das Sortimentskonzept von ebertundweber ist einfach: "Wir präsentieren, was
unseren Interessen nachkommt", sagt Jessica Ebert. Ihre Partnerin Katja
Weber und sie hatten sich anfangs auf zwei Leitlinien verständigt: Das
Design sollte übersichtlich sein, und kleine Verlage sollten Platz finden.
"Inzwischen haben wir das Konzept etwas aufgeweicht", gibt Ebert zu. In den
kleinteiligen, gewürfelten Regalen entlang der Wände des überschaubaren
vorderen Raums stehen die Bücher dicht an dicht. "Anfangs haben wir alle
Bücher frontal ausgestellt."
Ebert schmunzelt mittlerweile über ihren Anfangsenthusiasmus. Mit der Zahl
der Kunden stiegen die Bücherwünsche, das Sortiment wurde größer.
Allerdings sind Verlage wie Revolver oder kookbooks immer noch prominent
ausgestellt. "Wir denken, das passt hier gut in den Kiez."
Auch Sawallisch und seine Geschäftspartnerin suchen in der Regel selbst
aus; auf Verlagsvertreter, die den Buchhandlungen eine Vorauswahl bieten,
verzichten sie. Die beiden haben etwa 1.600 Titel vorrätig. "Man weiß vor
allem schnell, was man nicht braucht." Bei den Stadtlichtern sind das
pseudohumorige Ratgeber. "Dieses ganze
Warum-der-Mann-oben-liegt-und-Frauen-nicht-einparken-können", sagt
Sawallisch. Es passe einfach nicht ins Konzept ernsthafter Literatur.
Generell ist Berlin ein gutes Plaster für inhabergeführte Geschäfte. Die
Stadt ist kleinteilig organisiert - das begünstigt die Ansiedlung von
Einzelhändlern auf kleinen Flächen. "Die wenigsten neuen Buchhandlungen
sind reine Spezialgeschäfte, die meisten bieten ein breites Sortiment und
setzen eigene Schwerpunkte", sagt Branchenkenner Bluhm.
Läden wie "Motto" in der Skalitzer Straße, der sich auf Independentverlage
und künstlerisch gestaltete, schwer erhältliche Bände spezialisiert hat,
sind die Ausnahme. In das im Hinterhof gelegene Geschäft kämen sehr viele
internationale Kunden, sagt Jennifer Chert. Katze Tinte turnt durch die
Regale, in der Mitte steht ein ausladender Tisch mit Empfehlungen, der
mehrmals im Monat neu bestückt wird. "Auf uns sind Künstler und Galeristen
aufmerksam geworden. So wird der Erfolg zum Selbstläufer", erklärt Chert,
warum Motto trotz des Nischenangebots steigende Umsätze verzeichnet.
Begünstigt werden Neugründungen durch die relativ geringen
Investitionskosten: Ein Geschäft mit großen Schaufenstern, ein paar
Billy-Regalen und einem Tapeziertisch plus Bücher ist eigentlich alles, was
Gründer brauchen. Bücher werden zum Ankaufspreis ins Sortiment genommen,
die Spanne zum Verkaufspreis liegt je nach Vertrag, Sparte und Titel
zwischen 30 und 40 Prozent. Wer sich ein Remissionsrecht sichert, kann
Ladenhüter zum Verlag oder an den Großhändler zurückgeben. Große Sprünge
lassen sich so nicht machen, aber es reicht zum Leben. "Buchhändler
verdienen generell wenig; finanziell bin ich genauso gut gestellt wie
früher, als ich bei einer Kette angestellt war", sagt der gelernte
Buchhändler Mesche.
Konkurrenz sehen die Kleinen ausschließlich im Internet, nicht in
Handelsketten wie Thalia und Hugendubel. "Wir liefern persönliche Beratung
und sind um die Ecke", sagt Leseglück-Inhaberin Pfannstiel. Ihr Kollege
Sawallisch bestätigt: "Die Leute müssen nicht in die Buchhandlungen, wie
früher noch - sie wollen." Wer sich entscheide, ein Buch im Geschäft zu
kaufen, schätze das Einkaufsgefühl im kleinen Laden, die persönliche
Ansprache und versierte Verkäufer.
Der Onlinehandel bleibt der Gegenspieler: Bis ins Wohnzimmer können die
flexibelsten Einzelhändler nicht dringen, und an der Preisschraube lässt
sich wegen der Buchpreisbindung kaum drehen. Vorteil für die Start-ups der
jüngeren Zeit ist lediglich, dass sie von vornherein um die Konkurrenz
wussten - anders als alteingesessene Händler oder Filialisten, die ihr
Geschäftsmodell mühsam auf den Internettrend abstimmen mussten.
Wer da mithalten will, muss flexibel sein und pragmatisch handeln. "Man
kann nicht mehr wochenlang warten, bis ein Buch da ist", findet Sawallisch.
Wenn ein Kunde ein Buch möchte, das der Großhändler gerade nicht vorrätig
hat, hört er beim Verlag selbst nach. Liegt es auf Lager, steigt er aufs
Fahrrad und holt die Ware direkt ab. "Sonst gehen die Leute zu Amazon."
13 Oct 2011
## AUTOREN
Dennis Drögemüller
Kristina Pezzei
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