# taz.de -- Paradoxe Energiewende: Wer viel verbraucht, wird belohnt | |
> Die deutsche Industrie lässt sich die Kosten der Energiewende großzügig | |
> kompensieren. Das belastet die Stromkunden mit bis zu zwei Milliarden | |
> Euro im Jahr. | |
Bild: Heiße Stromfresser: Die Schwerindustrie verbraucht besonders viel Energi… | |
BERLIN taz | Deutsche Stromkunden werden im nächsten Jahr belastet, weil in | |
den Gesetzen zur Energiewende Privilegien für Teile der Industrie eingebaut | |
worden sind. Zudem treibt ein Urteil des Bundesgerichtshofs die Preise. Die | |
Grünen-Bundestagsabgeordnete Bärbel Höhn geht von bis zu zwei Milliarden | |
Euro Belastung aus - was die Stromrechnung um rund sechs Prozent erhöhen | |
könnte. | |
Noch sind solche Zahlen mit Vorsicht zu genießen, weil die Auswirkungen der | |
Privilegien schwer abzuschätzen sind. Es geht dabei um die "Netzentgelte", | |
eine Art Maut für Stromtrassen, die jeder Kunde entrichtet, damit die | |
Energie vom Kraftwerk zu ihm fließt. 2009 machte das 24 Prozent des | |
Strompreises aus. | |
Einige besonders energieintensive Industrien waren in der Vergangenheit | |
teilweise davon befreit, mit gutem Grund: Stahlhütten zum Beispiel drosseln | |
ihre Produktion, wenn gerade besonders viel Verbrauch herrscht, um die | |
Netze gezielt zu entlasten. Das Paradoxe: Im neuen Gesetz werden alle | |
Industrien komplett von den Netzentgelten befreit, wenn sie nur genug | |
Energie verbrauchen und pro Jahr mindestens 7.000 Stunden Strom ziehen. | |
Private Haushalte, Handel und sonstige Industrien müssen den Anteil der | |
Netzgebühren übernehmen. "Das ist klare Klientelpolitik", schimpft die | |
bündnisgrüne Energieexpertin Ingrid Nestle. Der Verband der Industriellen | |
Energie- und Kraftwirtschaft (VIK), der die stromintensive Industrie | |
vertritt, verwies auf günstigere Stromkosten im Ausland und die Gefahr | |
eines Abwanderns. Gleichzeitig räumte VIK-Hauptgeschäftsführerin Annette | |
Loske ein: "Die Energiewende hat auch Verbesserungen gebracht." | |
Der zweite Punkt betrifft ebenfalls die Netzentgelte: Wie viel die | |
Netzbetreiber mit der Strommaut maximal erlösen dürfen, regelt die | |
Bundesnetzagentur. Der Betrag sollte von 2009 bis 2013 jedes Jahr um | |
pauschal 1,25 Prozent sinken, danach noch mehr - zum Wohle der Verbraucher. | |
Die Netzbetreiber sollten so zu mehr Kosteneffizienz gezwungen werden. | |
Der Bundesgerichtshof erklärte das für ungültig - und zwar, weil es kein | |
Gesetz dafür gibt. Die wichtige Urteilsbegründung kam Mitte Juli dieses | |
Jahres, trotzdem hat es die Regierung versäumt, ein Gesetz zu formulieren - | |
das kritisiert Höhn. "Den Experten war klar, dass der Prozess verloren | |
geht", sagt sie. Verbraucher zahlen jetzt drauf, bis ein Gesetz formuliert | |
ist. | |
19 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arzt | |
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