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# taz.de -- Sozial-TV in Ägypten: Die ehrliche Kost der Frau Ghalia
> Eine neue Show bringt die Rezepte aus Kairos Armenviertel ins TV. Der
> Star der Sendung stärkt nicht nur den Magen der Mittellosen, sondern auch
> ihren Geist.
Bild: Das Fastenbrechen mit einer freien Mahlzeit für alle in Kairo.
KAIRO taz | Ein kleiner Herd, angeschlossen an eine Propangasflasche,
verbeulte Aluminiumtöpfe ohne Henkel und eine Reihe von zerkratzen
Plastikschüsseln im Regal, ein angerosteter Kühlschrank. Eine typische
Szenerie in einer der Küchen der Millionen Haushalte in Kairos
Armenvierteln oder in einer der meist bescheidenen Wohnungen entlang des
Niltals.
Nur dass diese Küche nachgestellt ist und das Bühnenbild einer ziemlich
ungewöhnlichen Fernsehkochsendung bildet. Sie ist eine der neuen kreativen
Blüten im revolutionären Ägypten der Nach-Mubarak-Zeit. Denn wenn die etwa
einstündige Show "Frau Ghalia" mehrmals wöchentlich live ausgestrahlt wird,
geht es nicht darum, ein delikates Gourmetmahl zu zaubern.
Frau Ghalia zeigt den Zuschauern, wie man auch mit wenig Geld in Würde
kochen kann. Das ist wohl der Schlüssel zum Erfolg in einem Land, in dem
ein Ägypter sein Leben mit dem Satz beschreibt: "Fleisch esse ich nur in
meinen Träumen und an Feiertagen."
Doch wirklich einzigartig wird die Sendung nicht durch die
Studioausstattung, sondern durch Frau Ghalia selbst. Denn Ghalia Alia
Mahmoud, der neue Kochstar am ägyptischen Fernsehhimmel, macht das Ganze
erst richtig authentisch. Die 33-Jährige ist eine typische Matrone aus
Kairos Armenvierteln.
## Essen für einen Euro
Kräftig gebaut, nicht auf den Mund gefallen, voll Humor, aber auch
gezeichnet von einem Leben, in dem es oft ums Überleben ging. Mit ihr
können sich jene vier von zehn Ägypter identifizieren, die mit etwas mehr
als einem Euro am Tag auskommen müssen. Die vielen Menschen an den Ufern
des Nils, die am Ende des Monats weniger als 100 Euro nach Hause bringen
und damit ihre Familie durchbringen müssen.
Im Studio sieht es genauso aus wie bei Frau Ghalia zu Hause, in Waraq,
einem Viertel am westlichen Nilufer in Kairo, mit engen, dunklen Gassen, in
dem sich die Nachbarn auf den Balkonen quer über die Straße fast die Hand
reichen können.
"In so einem Haus wie meinem, da leben zehn Menschen, und die müssen mit
umgerechnet maximal vier Euro satt werden", erzählt Frau Ghalia. "Wenn das
Essen nicht reicht, dann verdünne es noch etwas mit Wasser, sodass jeder
etwas zu essen hat", zitiert sie ihre Mutter. Bevor sie heute ins Studio
gekommen ist, hat sie zu Hause für ihren Mann, einen Sammeltaxifahrer, und
ihre Kinder gekocht.
Dass Essen hat etwas mehr als einen Euro gekostet. Ein Kilo Kartoffeln, ein
halbes Kilo Tomaten, ein viertel Kilo Zwiebeln und ein halbes Kilo Reis.
Das hat an diesem Tag fünf Menschen satt gemacht. Damit habe sie wieder
einiges gespart und könne sich am Ende der Woche ein halbes Kilo Fleisch
kaufen, erklärt sie.
Und genauso kocht sie im Studio, an diesem Tag eine Art Pizza aus
Blätterteig, auf den sie Ziegenkäse streut. Dabei erzählt sie ihren
Zuschauern, wie wichtig es ist, sein Geld nicht nur für Essen auszugeben,
sondern auch etwas für die Bildung der Kinder zur Seite zu legen. "Ihr
könnt auch einmal eine Mahlzeit ausfallen lassen", sagt sie. "Esst einmal
nicht und kauft dafür Stifte und Hefte für eure Kinder, denn sie sind die
einzige Hoffnung, eines Tages aus der Armut auszubrechen", doziert sie.
## "Wir kochen alle gleich"
Zwischendrin sagt sie auch ein paar Dinge, die die große Politik in ihre
Küche bringen. Etwa: "Wenn du dein Geld nicht ehrlich, sondern durch
Korruption gewonnen hast, dann wird es irgendwann deine Suppe versalzen",
oder wenn die Muslimin ein "Egal ob christliche Kopten oder Muslime, am
Ende kochen wir alle gleich", einwirft.
In Frau Ghalias Show geht es mitunter recht bunt und laut zu.
Beispielsweise wenn sie ihre Nachbarn mitbringt, um Plätzchen für das Fest
nach dem Fastenmonat Ramadan zu backen. Dann sitzt da eine ganze Familie am
Boden rund um einen niedrigen Tisch und knetet, rollt aus und singt dabei,
während Frau Ghalia die Rezeptur erklärt.
Oder wenn sie aus Anlass der Geburt des Sohnes des Regisseurs der Sendung
ein kleines Fest im Kochstudio organisiert und gemäß altägyptischer
Tradition durch das laute Schlagen eines Klöppels gegen einen Metallmörser
die bösen Geister nicht nur aus dem Kochstudio vertreibt, sondern gleich
noch aus dem Leben des Neugeboren.
"Beim Kochen geht es um ein gutes Herz und dass die Seele des Kochs in das
Essen einfließt", erläutert sie ihre Philosophie. "Du kann eine Menge Geld
für Essen ausgeben, und es schmeckt am Ende doch schlecht; und du kannst
mit wenig Geld schmackhaft kochen", meint sie. Als sich während einer
Sendung ein Anrufer über das billige Essen und die Ausstattung ihrer
Sendung mokiert, bleibt Frau Ghalia zunächst gelassen.
"Du hast natürlich das Recht, mein Kochen zu kritisieren, das finde ich in
Ordnung", antwortet sie, um dann energischer fortzufahren: "Wenn du dich
aber über unsere Armut lustig machst, da ist meine Grenze. Dafür schäme ich
mich nicht, und wir kämpfen darum, Geld zu sparen, um aus ihr
auszubrechen." Während des Rests der Sendung meldeten sich nur noch
Menschen per Telefon, die den ersten Anrufer wüst beschimpften.
Die Idee zu der Sendung stammt von Muhammad Gohar, der nach dem Sturz
Mubaraks seinen eigenen Fernsehsender, 25TV, gründete, benannt nach dem 25.
Januar, dem Tag, als der Aufstand gegen den Diktator begann. Frau Ghalia
war die Küchenhilfe seiner Schwester, die in einem der reicheren Vororte
von Kairo lebt. Als er sie vor zwei Monaten mit seiner Idee ansprach, war
sie sofort dabei.
"Im alten Mubarak-Regime kamen die Armen im Fernsehen nicht vor. Frau
Ghalia ist ein Durchbruch. Ihr ist Armut nicht peinlich. Die sagt: ,Ja, wir
sind arm, aber wir arbeiten daran, unsere Armut zu besiegen.' Das ist neu",
sagt Gohar.
## Armut ist keine Schande
Die Revolution hat die soziale Frage in Ägypten auf den Tisch gebracht, die
gleichzeitig auch ihre größte Herausforderung darstellt. Allein seit der
Abdankung Mubaraks wurden 90 Gewerkschaften gegründet. Jeden Tag wird
anderswo für bessere Arbeitsbedingungen und Löhne gestreikt. Mit Frau
Ghalia ist der Geist des Tahrirplatzes auch ins Kochstudio eingezogen. "Ich
will zeigen, dass man sich nicht für seine Armut schämen muss und dass man
mit der Revolution auch offen über seine Träume reden kann", meint sie
dazu.
Der Erfolg der Show gibt ihr recht. Die Facebook-Seite der Kochsendung hat
inzwischen über 13.000 Fans. Auf einer anderen Website wird sogar
vorgeschlagen, Frau Ghalia solle doch bei den nächsten
Präsidentschaftswahlen kandidieren.
"Trotzdem ist Frau Ghalia auch nach 40 Folgen immer noch die Gleiche
geblieben. Sie kommt mit dem Bus ins Studio, sie trägt kein Make-up, und
sie kauft die Zutaten für ihre Rezepte immer noch in ihrem Viertel ein, wo
sie bis heute mit den Händlern um die Preise feilscht", legt Habiba
Hischam, die junge Produzentin der Show, die hinten im Regieraum sitzt,
dar. Die breite Basis der Zuschauer komme aus den Armenvierteln. "Die
sagen: 'Sie isst und kocht wie wir, das sehen wir uns an.' "
Das, glaubt Hischam, sei auch das Geheimnis der Show. "Die Idee und die
Köchin sind einfach ehrlich, und bisher gibt es meines Wissens in den
arabischen Sendern und weltweit kein ähnliches Format", sagt sie, schiebt
ihre langes, welliges Haar zur Seite und verfolgt am Monitor Frau Ghalias
Kochperformance.
Frau Ghalia selbst ist inzwischen ein Star. Wenn sie auf den Markt in ihrem
Armenviertel geht, kennt sie dort jeder. Alle machen Bemerkungen zu ihrer
Sendung. "Auch wenn die Leute keine Bildung haben, sie sind meine größten
Kritiker und sagen ganz offen, ob ihnen etwas gefallen hat oder nicht",
erzählt sie.
Selbst Wohlhabende, die früher auf der Straße einfach durch sie
hindurchgeblickt und sie nie beachtet haben, kennen sie jetzt. Kürzlich
hielt eine Frau in einem Mercedes neben ihr, ließ die elektrischen Fenster
herunter und grüßte sie mit der Frage: "Frau Ghalia, wie machen Sie Ihre
Linsensuppe?"
Wenn man in Deutschland 6 Leute zum Abendessen einlädt, können schon mal
leicht 100 Euro weg sein, erklärte ich ihr. Frau Ghalia blickt verwundert
und beginnt zu lachen. "Damit", sagt sie "kann ich hier in Kairo eine ganze
Gasse vom ersten bis zum letzten Haus satt machen."
20 Oct 2011
## AUTOREN
Karim Gawhary
Karim El-Gawhary
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