# taz.de -- Türkisches Vorgehen gegen die PKK: "Blutige Rache" in kleinen Dosen | |
> Der erwartete Großeinsatz türkischer Truppen im Nordirak bleibt aus. | |
> Ankara ist zurückhaltend – und vermutet die Unterstützer der neuen | |
> PKK-Kampagne im Ausland. | |
Bild: Patrouille im Grenzgebiet: Türkische Militärfahrzeuge nahe Silopi. | |
ANKARA taz | Mit pausenlosen Luftangriffen auf vermutete Lager der | |
kurdischen Guerilla im Nordirak hat die türkische Armee gestern ihre | |
Kampagne gegen die PKK fortgesetzt. Als Antwort auf den PKK-Großangriff in | |
der Nacht von Dienstag auf Mittwoch, bei dem 24 Soldaten getötet worden | |
waren, gingen bereits am Mittwoch auch türkische Bodentruppen über die | |
Grenze in den Nordirak, um dort PKK-Kämpfer zu verfolgen. | |
Gestern wurden weitere Eliteeinheiten per Hubschrauber in grenznahe Gebiete | |
im Nordirak verlegt, sodass nach Informationen türkischer Medien jetzt rund | |
800 türkische Soldaten, die aus der Luft und mit schwerer Artillerie | |
unterstützt werden, im Nordirak kämpfen. | |
Trotzdem ist diese Militärkampagne nicht der zuvor schon diskutierte | |
Großeinsatz der Armee im Nordirak, der von vielen politischen Beobachtern | |
als Antwort auf den PKK-Angriff eigentlich erwartet worden war. Danach | |
sollten tausende von Soldaten auf breiter Front die Grenze überschreiten | |
und bis zu dem zentralen Lager der PKK Führung in den 100 Kilometer | |
entfernt liegenden Kandil-Bergen vordringen. Stattdessen operieren die | |
türkischen Einheiten bislang lediglich in einem Grenzstreifen von rund acht | |
Kilometern Tiefe. | |
Der große Militärschlag, den vor allem die nationalistische Opposition | |
immer wieder fordert, entspricht dem in der türkischen Gesellschaft | |
mittlerweile weit verbreiteten Bedürfnis, mit der PKK endlich ein für alle | |
Mal Schluss zu machen. Selbst der sehr besonnene Staatspräsident Abdullah | |
Gül hat sich in einem öffentlichen Statement am Mittwoch dazu hinreißen | |
lassen, von einer "blutigen Rache" zu sprechen, die die PKK nun erwarten | |
müsste. | |
Doch ausgerechnet der oft unbeherrschte Ministerpräsident Tayyip Erdogan | |
warnt jetzt vor unüberlegten Aktionen, zu denen man sich im Zorn nicht | |
hinreißen lassen dürfte. Damit würde man der PKK nur in die Falle gehen. | |
Denn bei aller Frustration in der türkischen Mehrheitsgesellschaft: Erdogan | |
und seine Generäle wissen nur zu gut, dass der "Krieg gegen den | |
Terrorismus" militärisch nicht zu gewinnen ist. Man hat ja bereits alles | |
probiert, einschließlich eines weiträumigen Einmarschs in den Nordirak im | |
Winter 2008. | |
## Mossad? Syrien? Oder der Iran? | |
Erdogan hat deshalb in seiner Fernsehansprache am Mittwoch versucht, die | |
Schuldigen für den anhaltenden Misserfolg im Ausland auszumachen. Einer der | |
Hauptverdächtigen aus türkischer Sicht ist der israelische Geheimdienst | |
Mossad. In Ankara ist unvergessen, dass der israelische Außenminister | |
Lieberman auf dem Höhepunkt der Krise um das geenterte Gaza-Hilfsschiff | |
"Mavi Marmara" davon sprach, dass Israel die PKK ausrüsten könnte, wenn die | |
Türkei weiterhin die Hamas unterstützen würde. | |
Außerdem haben sich die Spannungen mit Syrien und Iran verschärft, seit | |
Erdogan öffentlich den Rücktritt des syrischen Staatschefs Assad fordert. | |
Dass diese im Gegenzug die PKK fördern, wäre nicht das erste Mal und | |
deshalb nicht ganz abwegig. | |
Doch diese Schuldzuweisungen sollen letztlich nur davon ablenken, dass die | |
Regierung Erdogan mit ihren bisherigen Schritten zu Lösung der Kurdenfrage | |
nicht weitergekommen ist. Kleinere kulturelle Angebote auf der einen und | |
massive Repression auf der anderen Seite, haben die Mehrheit der Kurden | |
nicht überzeugt und die kurdische Nationalbewegung nicht isolieren können. | |
Die legale Kurdenpartei BDP, die mit 36 Abgeordneten im Parlament vertreten | |
ist, fordert eine Autonomieregelung, die den meisten Türken allerdings viel | |
zu weit geht. | |
Eine politische Lösung ist aber auch erst dann möglich, wenn die derzeit | |
geltende Verfassung so geändert wird, dass beispielsweise die kurdische | |
Sprache auch in der Schule und staatlichen Institutionen zugelassen werden | |
kann. Es ist deshalb wahrscheinlich kein Zufall, dass der Angriff der PKK | |
just an dem Tag stattfand, als in Ankara die Parlamentskommission, die den | |
Entwurf einer neuen Verfassung diskutieren soll, das erste Mal | |
zusammentrat. | |
20 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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