# taz.de -- Wirtschaft in Argentinien: Großes Wachstum, große Armut | |
> Argentiniens Präsidentin Cristina Kirchner bleibt im Amt. Doch 10 Jahre | |
> nach der Krise steigt die Inflation. Zudem ist die Wirtschaft einseitig | |
> abhängig von den Exportbranchen. | |
Bild: Die Wachstumsraten sind erfreulich - doch ob die Baubranche profitiert? A… | |
BUENOS AIRES taz | Die argentinische Wirtschaft scheint zehn Jahre nach der | |
großen Krise wieder stabil zu sein. Wachstumsraten von jährlich um die 9 | |
Prozent sorgen für steigende Beschäftigtenzahlen. | |
"In einigen Branchen sieht es wirklich gut aus", bestätigt Roberto Lavagna. | |
Als Wirtschaftsminister hatte er von 2002 bis 2005 zusammen mit dem | |
damaligen Präsidenten Néstor Kirchner das Land aus der Krise geführt. Das | |
Wachstum sei jedoch nicht nachhaltig: "Wir erleben vor allem ein | |
Konsumfest, an dem sich der Staat mit stetig steigenden Ausgaben aktiv | |
beteiligt." | |
Wenn die Wirtschaft um 9 Prozent wachse, müsse die Investitionsquote bei | |
etwa 23 Prozent liegen. "Seit 2006 liegen wir jedoch unter 20 Prozent", so | |
Lavagna. Hinzu komme ein enormer Kapitalabfluss. "Seit 2006 sind 70 | |
Milliarden Dollar außer Landes gegangen." 2005 war das letzte Jahr, in dem | |
mehr Kapital nach Argentinien kam, als das Land verlassen hatte. | |
Die Situation ist heute zweifellos besser als 2001 und 2002. Damals war | |
über die Hälfte der Bevölkerung in die Armut abgerutscht. Aber jetzt sind | |
vor allem die unteren Einkommensschichten wieder stark gefährdet, 25 bis 30 | |
Prozent zählen schon als arm. Der Grund: Eine Inflation von 25 Prozent | |
macht jede Sozialpolitik zunichte. Die Preise steigen, weil die Nachfrage | |
das Angebot übersteigt. | |
Zudem ist Argentiniens Wirtschaft einseitig abhängig von den | |
Exportbranchen, und das heißt: von der Entwicklung der Weltwirtschaft. Als | |
der Weltmarktpreis für die Tonne Sojabohnen zuletzt um rund 100 Dollar | |
sank, bedeutete das gleich dreistellige Millionenverluste. | |
## Es reicht nicht für die Wohnung? Dann ein Auto! | |
Die argentinischen Fahrzeughersteller rechnen für 2011 jedoch weiter mit | |
einem Verkauf von bis zu 850.000 Fahrzeugen, 25 Prozent mehr als 2010. Auch | |
das hängt durchaus mit den Krisenentwicklungen zusammen: Analyst Mauricio | |
Lansco erklärt die steigende Nachfrage vor allem mit dem Bestreben der | |
Verbraucher, sich mit dem Kauf langlebiger Konsumgüter vor dem | |
Kaufkraftverlust zu schützen - zumal zur Inflation und der drohenden | |
Abwertung des Peso zum Dollar auch noch relativ günstige Zinsen für | |
Konsumentenkredite kommen. | |
"Wer einen Job hat, zwischen 25 und 35 Jahre alt ist und nicht genügend | |
Mittel für die Eigentumswohnung hat, der kauft sich heute ein Auto." | |
Und weil die Nachfrage boomt, drängen immer noch Hersteller auf den Markt, | |
die keine Fertigungsstätten in Argentinien haben. Zum Schutz der heimischen | |
Autobauer hat die argentinische Regierung nun verfügt, nur noch Wagen ins | |
Land zu lassen, wenn der Importeur Waren im gleichen Wert exportiert. | |
Unternehmen wie BMW suchen deshalb händeringend nach Exportmöglichkeiten. | |
Vor Kurzem unterzeichneten die Münchner Autobauer im Beisein der | |
argentinischen Industrieministerin Débora Giorgi eine | |
Verpflichtungserklärung, nach der für jeden eingeführten BMW der Gegenwert | |
in Reis ausgeführt wird. | |
Jetzt stehen rund 200 BMW-Fahrzeuge im Hafen von Buenos Aires vor der | |
Zollabfertigung - neben anderen ausländischen Marken: Für Porsche wird | |
Rotwein exportiert, Alfa Romeo baut eine Biospritanlage auf, und die | |
Fahrzeugbauer Hyundai, Mitsubishi und Nissan haben sich für den Export von | |
Mineralwasser, Speiseeis und Sojabohnen entschieden. | |
24 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Vogt | |
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