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# taz.de -- Bau der Mauer bei Bethlehem: "Unser Dorf wird zum Käfig"
> Das palästinensische Dorf Al Walaja zwischen Jerusalem und Bethlehem
> wehrt sich gegen den Mauerbau. Dutzende Olivenbäume und alte Pinien
> wurden gefällt.
Bild: Schon vergangenes Jahr kam es in Al Walaja wegen des Mauerbaus zu Auseina…
WALAJA taz | Omar Shananeer müsste sich eigentlich freuen. Auf Kosten des
israelischen Staatshaushaltes wird in diesen Tagen eine unterirdische
Zufahrt zu seinem kleinen Häuschen gebaut. Umgerechnet rund eine halbe
Million Euro wird dieser exklusive "Tunnel" kosten. Das ist ein Vielfaches
dessen, was sein Haus wert ist.
Was Shananeers Begeisterung für diese vermeintliche israelische
Großzügigkeit indes trübt, ist die Tatsache, dass das neue Bauwerk mit der
Errichtung einer vier Meter hohen Zaunanlage rings um sein Haus verbunden
ist. Die unterirdische Einfahrt wird nach Bauende seine einzige Verbindung
zum Rest des Dorfes al-Walaja sein, das im Grenzgebiet zwischen Bethlehem
und Jerusalem liegt.
Shananeers Häuschen ist etwas abseits am Ende der Straße gelegen. Noch kann
er vom Fenster aus auf die Weinberge des katholischen Cremisan-Klosters
blicken. Er und seine fünfköpfige Familie weigern sich, umzuziehen, was
nötig wäre, um das Haus abzureißen und die Trennanlagen dort zu errichten,
wo sie das israelische Verteidigungsministerium geplant hat. Schaufelbagger
und Raupen ebnen das Land ein, auf dem bis vor kurzem noch Dutzende
Olivenbäume, alte Eichen und Pinienbäume standen. Die Zäune und die
Betonmauer sollen rund um das Dorf führen. Damit wären die Shananeers
gleich doppelt umzingelt.
Mit dem Bau der neuen Mauer und Zäune werden die gut 2.000 Einwohner von
al-Walaja im Verlauf des Konflikts dann rund 85 Prozent ihres einstigen
Landes verloren haben. Rund 70 Prozent des Landes mit 30 Quellen musste
al-Walaja nach dem Krieg von 1948 abtreten. Nach dem Sechstagekrieg von
1967 und der Erweiterung der Stadtgrenzen von Jerusalem ging noch einmal
die Hälfte der verbliebenen 30 Prozent an Israel. Auf einem Großteil wurden
die benachbarten Siedlungen Har Gilo und Gilo errichtet.
Gilo war jüngst in den Schlagzeilen, nachdem die Jerusalemer
Stadtverwaltung den geplanten Neubau von über eintausend Wohneinheiten in
der Siedlung verkündete. Die Entscheidung ist international umstritten. Der
Siedlungsbau gilt als größtes Hindernis auf dem Weg zu
Friedensverhandlungen.
## Einspruch vor dem Obersten Gerichtshof
"Unser Dorf wird zum Käfig, zum Gefängnis", klagt Sheerin al-Araj,
Bewohnerin von al-Walaja und Aktivistin der zivilen Widerstandsgruppe gegen
die Mauer. "Wie wird das sein, in einem Gefängnis aufzuwachen, mit einem
Zaun auf der einen Seite und einer Mauer auf der anderen und mit einem Tor,
das auf Anweisung eines Soldaten geöffnet und geschlossen wird."
Die in England studierte Politologin ist federführend bei den wöchentlichen
Demonstrationen im Dorf, die nach dem Vorbild des palästinensischen Dorfes
Bilin gewaltfrei bleiben sollen. Außerdem legte al-Walaja Einspruch vor dem
Obersten Gerichtshof ein und hofft darauf, per Urteil die Route der
Trennanlagen zu eigenen Gunsten verändern zu können. "Unser
Einspruchsverfahren steht aus, trotzdem wird weitergebaut", schimpft
al-Araj. Viele arbeitsfähige Männer würden wegziehen, fürchtet sie, wenn
das Dorf vor Gericht verlieren sollte.
"Der zeitliche Rahmen für die Fertigstellung des Zauns ist 2013", teilte
das Verteidigungsministerium auf Anfrage mit, ohne sich speziell auf
al-Walaja beziehen zu wollen. Insgesamt 200 km Trennanlagen sollen bis
dahin errichtet werden. "Wenn sie die Mauer auf der ,grünen Grenze'
errichteten, würde ich beim Bau eigenhändig mit anfassen", verspricht
al-Araj. Die alte Waffenstillstandslinie liegt jedoch gut 200 Meter von der
geplanten Mauerstrecke entfernt.
Dass die Trennanlagen auf dem Land der Bauern von al-Walaja errichtet
werden, habe "mit der Frage der Sicherheit nichts zu tun", findet die
energische Enddreißigerin, der der Plan des israelischen
Verteidigungsministeriums nicht einleuchten will. "Diese Mauer ignoriert
unsere Rechte", schimpft sie. "Sie ist eine Einladung zum Widerstand und
zur Gewalt."
Der 68-jährige Bauer Abu Adji will nicht mehr kämpfen. "Wir konnten nichts
tun", sagt er, als vor ein paar Wochen die Soldaten kamen und über 70
seiner Bäume aus der Erde holten. "Sie waren mit Hunden und Pferden hier",
erzählt er. Erst einen Tag später habe er zusammen mit seinem Bruder die
Bäume wieder abholen dürfen, um sie an einem anderen Ort wieder
einzupflanzen. "Ich komme jeden Tag hierher, um mich von meinem Land zu
verabschieden, das mir genommen wurde."
25 Oct 2011
## AUTOREN
Susanne Knaul
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