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# taz.de -- Gefangenenaustausch im Nahen Osten: Häftling Nummer 473
> Ahlam Tamimi ist eine von 1027, die im Tausch für Gilad Schalit
> freigelassen werden soll. Jetzt soll sie abgeschoben werden – in ihrem
> Heimatdorf wird dennoch gefeiert.
Bild: 16-mal lebenslänglich und doch wieder frei: Ahlam Tamimi, auf einem Fami…
NABI SALEH taz | Es ist die Nummer 473 auf der Liste der palästinensischen
Häftlinge, die im Tausch für den israelischen Soldaten Gilad Schalit auf
freien Fuß kommen sollen, die Shvuel Schijveschuurder keine Ruhe lässt.
Am 9. August 2001 verlor Schijveschuurder seine Eltern und drei Geschwister
bei einem Bombenattentat. Die Nummer 473 auf der Liste ist Ahlam Tamimi.
Sie hatte den Attentäter nach Jerusalem gebracht und vor dem
Sbarro-Restaurant abgesetzt, wo er sich kurze Zeit später selbst in die
Luft sprengte. 15 Menschen starben damals. 130 wurden verletzt.
Kurz vor Mitternacht entschieden die Richter, eine Reihe von Anträgen gegen
den Geiselhandel, darunter auch der von Schijveschuurder, abzulehnen.
"Binde ein schwarzes Band an die Flagge auf deinem Haus", hatte er noch
während der Verhandlung dem Vater der israelischen Geisel, Noam Schalit,
zugerufen. "Heute ist ein Tag der Trauer."
Ahlam Tamimi gehört zu den Häftlingen, die aufgrund der Schwere ihrer
Verbrechen ins Exil abgeschoben werden. In ihrem Heimatdorf Nabi Saleh wird
trotzdem gefeiert. Eine Woche lang mit Debka-Tänzern und Ansprachen, mit
Empfängen und einem riesigen Buffet, das die Leute aus dem kleinen Dorf
herrichten, weil drei Häftlinge aus Nabi Saleh das Gefängnis verlassen.
Alle drei gehören der Familie Tamimi an.
## "Sie ist eine witzige Frau"
Ahlams Bild hängt zusammen mit ihren beiden Cousins Nisar und Ahmad an der
Wand neben dem Festzelt. "Sie ist eine witzige Frau", beschreibt sie
Machmud Tamimi, ein dritter Cousin Ahlams und der Bruder von Nisar. Während
des Kriegs von 1967 flohen die Eltern Ahlams nach Jordanien. Erst Ende der
90er Jahre kehrte die Familie zurück. "Sie ist klug und charismatisch",
sagt Machmud bewundernd. Als sie kurz vor dem Abitur stand, besuchte
Machmud die Familie in Jordanien. "Sie hatte nur ein Bild in ihrem Zimmer,
das von Nisar."
Nisar Tamimi saß damals schon im Gefängnis. Zusammen mit zwei Mitgliedern
einer Fatah-nahen Terrorgruppe hatte er einen Siedler erstochen. Für Ahlam
wurde er damit zum Helden. Obwohl sich die beiden nur dreimal physisch
begegneten, heirateten sie im Gefängnis.
"Die Ehe war eine Herausforderung für die Gefängnisbehörde", erklärt
Machmud. "Sie sollte signalisieren: ,Wir kommen hier wieder raus.' Ahlam
war zu 16-mal lebenslänglicher Haftzeit verurteilt worden. Die beiden
Eheleute hätten sich mit der "Hochzeit auf dem Papier" auch selbst Mut
machen wollen.
## Sie bereut nichts
Auf absehbare Zeit werden sie nicht zusammenkommen, denn für entlassene
Häftlinge gelten strenge Reisebeschränkungen. Ahlam Tamimi wird, solange
Israel die Grenzen kontrolliert, nicht ins Westjordanland reisen dürfen.
Zum Zeitpunkt des Attentats war sie gerade 20 Jahre alt, stand im letzten
Semester an der Birzeit-Universität, wo sie Journalismus studierte, und war
politisch aktiv im Studierendenrat als Vertreterin der Fatah. Erst nach
Beginn der Intifada im September 2000 sei sie radikaler geworden, berichtet
ihr Cousin Machmud. Die Hamas rekrutierte die junge Frau, die damals schon
für einen lokalen Fernsehsender als Journalistin arbeitete.
"Sie hat niemanden getötet", versucht Machmud ihr Zutun zu dem blutigen
Attentat herunterzuspielen. "Sie half nur bei der Organisation." Wer in
Wahrheit verantwortlich für den Tod der Menschen im Sbarro-Restaurant ist,
sei nicht Ahlam, es seien die Besatzer. "Sie sind in ein Land gekommen, das
nicht ihnen gehört." Dass Ahlam den militanten Kampf gegen Israel wieder
aufnehmen könnte, glaubt Machmud nicht. "Sie hat genug für die
Palästinenser geopfert."
Ahlams deutlich ältere Schwester Iftichar, die in Nabi Saleh verheiratet
ist, gibt sich weniger überzeugt davon, dass der Kampf für Ahlam vorbei
ist. "Solange die Besatzung andauert, ist es immer möglich, dass sie ihre
militanten Operationen wieder aufnimmt", sagt die 51-Jährige. In einem
Interview, das ein israelischer Fernsehsender im Gefängnis mit ihr führte,
zeigte Tamimi keinerlei Zweifel über ihre Tat. Sie bereue nichts, sagte
sie. "Warum sollte ich?"
18 Oct 2011
## AUTOREN
Susanne Knaul
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